Anzeige

Zinssenkung „Das ist per Definition ein Vorteil für europäische Aktien“

EZB in Frankfurt
Wenn die EZB im Juni die Zinsen senkt, könnte das Europa-Aktien Auftrieb verleihen
© Eibner-Pressefoto | Eibner-Pressefoto/Florian Wiegan / Picture Alliance
Die EZB könnte vor der Fed die Zinsen senken. Ein Fondsmanager von JP Morgan Asset Management erklärt, was das für Aktien aus Europa bedeutet und warum er derzeit in Energie- und Bankaktien investiert

Capital: Herr Barakos, die Notenbanken in Schweden und der Schweiz haben die Leitzinsen bereits gesenkt, die Europäische Zentralbank wird möglicherweise folgen, ebenso die Bank of England. Ist das ein Vorteil für Aktien aus Europa?
MICHAEL BARAKOS: Tatsächlich wird die EZB erstmals seit ihrer Gründung vor 25 Jahren vor der Fed beginnen, die Zinsen zu senken. Normalerweise würden die Europäer auf die Fed warten, weil sie auf deren globale Führungsrolle schauen. Bei der EZB wird es diesmal aber anders sein, sie haben bereits die Grundlagen für eine Zinssenkung im Juni gelegt, die Fed wird frühstens im vierten Quartal bereit sein. Das ist per Definition ein Vorteil für europäische Aktien.

Die Zinsen sinken, während gleichzeitig die Wirtschaft beginnt sich zu erholen. Bringt das einen weiterer Schub für den Aktienmarkt?
Das wird tatsächlich eine sehr ungewöhnliche Situation sein. Normalerweise sinken die Zinsen, wenn das Wachstum enttäuschend ist oder man sogar vielleicht in einer Rezession steckt. Dann muss die Notenbank stimulieren, jetzt ist es aber umgekehrt. Die Eurozone ist im vergangenen Jahr nicht gewachsen. In diesem Jahr wird sie das definitiv tun. Es ist nur eine Frage, wie viel sie wachsen wird. Wir befinden uns ein wenig in einer perfekten Welt: nicht zu heiß und nicht zu kalt. Im Englischen nennen wird das Goldlöckchen-Szenario.

Was heißt das konkret?
Die Wirtschaft wächst und es gibt Inflation. Man muss sie im Blick haben, aber sie ist nicht außer Kontrolle. Die EZB hat die Inflation inzwischen ziemlich effektiv eingedämmt, nachdem sie anfangs wahrscheinlich zu wenig reagiert hat. Dazu kommt, dass sich die Stimmung der Verbraucher erholt und der fiskalische Stimulus auf Ebene der EU hoch bleibt – aus dem Green New Deal wurde viel Geld noch nicht abgerufen. Das alles bedeutet Rückenwind für die europäische Wirtschaft und wird zu steigenden Unternehmensgewinnen führen.

Das klingt sehr optimistisch, aber welche Risiken bestehen?
Das größte Risiko aus makroökonomischer Sicht ist, dass wir in eine Stagnation fallen. Das hieße, das Wachstum ist schwach oder negativ, während die Inflation hoch bleibt. Das wäre ein wirklich schmerzhaftes Umfeld für politische Entscheidungsträger. Ich glaube aber nicht, dass dies in Europa eintreten wird.

Was stimmt Sie so zuversichtlich?
Die EZB ist die Inflation hart angegangen und hat sie mit deutlichen Zinserhöhungen unter Kontrolle gebracht. Neben Stagflation ist die Geopolitik das andere offensichtliche Risiko.

Sie meinen die Kriege und Krisen von der Ukraine über den Nahen Osten bis China?
Wir haben einige Jahrzehnte an Globalisierung hinter uns. Die Vorteile daraus wurden vielleicht nicht gerecht verteilt, aber die Wirtschaftstheorie lässt keinen Zweifel daran, dass die Vorteile überwogen haben. Das wird sich jetzt für mindestens ein Jahrzehnt umkehren, und das wird kein Nullsummenspiel sein. Wir alle in den entwickelten Ländern wurden zu unseren Lebzeiten mit einer ziemlich ruhigen Umgebung verwöhnt. Das wird sich ändern, sie nannten bereits verschiedene Konflikte. Der Krieg in der Ukraine bringt sehr viel Zerstörung, aber sein mögliches Übergreifen vor unserer Haustür ist ein absolutes Extremszenario. 

Das klingt wenig ermutigend. Lassen Sie uns beim Goldlöckchenszenario bleiben.
Das ist aktuell auch unser Basis-Szenario.

Beruhigend. Dann schauen wir noch mal auf die Perspektive, dass die Euro-Zinsen schon bald sinken.
Die Wirkung ist klar: Der Zinssatz, mit dem sie künftige Gewinne diskontieren, wird sinken. Bei gleicher Bewertung sind dann höhere Aktienkurse in Europa möglich. Deshalb erwarte ich nicht, dass die Wachstumsaktien besser abschneiden als die Value-Aktien, womit sich der Trend der vergangenen etwa sechs Monate umkehren würde. Zur Erinnerung: Im November setzten starke Zinssenkungsfantasien für die Fed ein, die sich aber nicht erfüllten. Es könnte sich also erstmals seit Langem wieder eine Situation ergeben, in dem Value sich besser entwickelt als Growth bzw. Small Caps besser als Large Caps.

Typischerweise wird der Markt in Value und Growth unterteilt, aber spielen in Europa nicht die Qualitätsaktien eine viel wichtige Rolle, sei es Nestlé, Pharmatitel wie Novo Nordisk oder sogar, wie einige sagen, inzwischen auch SAP?
Auf Indexebene ist es fair, das zu sagen. Deshalb waren die europäischen Indizes während der Krisen auch stabiler und konnten sich in den vergangenen drei Jahren gut gegenüber US-Titeln behaupten. Als aktiver Manager schaue ich jedoch darüber hinaus und suche nach guten Wachstums- wie auch Substanzwerten. Gleichzeitig gibt es in beiden Segmenten Problemunternehmen, auf die ich in einem von mir verwalteten Fonds, dem JP Morgan Europe Equity Plus Fund sogar short gehe, also auf fallende Kurse setze

Welche Branchen sind für Sie aktuell besonders attraktiv?
Zwei Sektoren, die sich sehr gut entwickelt haben, sind Banken und Energie. Sie sind nicht mehr so attraktiv wie vor ein paar Monaten, aber noch immer attraktiv.

In Banken wollte doch lange Zeit niemand investieren?
Viele haben etwas verpasst; europäische Bankaktien haben sich in den vergangenen zwei Jahren grob gesagt verdoppelt. Bei vielen Instituten ist das Verhältnis von Risiko zu Ertrag wie auch die Bewertung noch immer sehr attraktiv. Nach der globalen Finanzkrise hatte der Bankensektor der Eurozone große Probleme, aber das Bankensystem von heute ist nicht mehr das, was wir vor 15 Jahren hatten. Es ist sehr gesund und heute sogar überkapitalisiert.

In Ihrem Value-Fonds hat die Allianz-Aktie ein starkes Gewicht. Was macht den Titel neben einer Dividendenrendite von rund fünf Prozent für Sie attraktiv?
Lassen Sie mich über Versicherer im Allgemeinen sprechen. Sie erzielen sehr stabile Gewinne und sind deshalb gute und kontinuierliche Dividendenzahler. Der Sektor insgesamt wird massiv positiv überraschen, das versuche ich im Fonds abzubilden. 

Andere Top-Positionen sind die Energieaktien Shell, BP und Total. Bei ESG-Investoren brauchen Sie sich damit nicht sehen zu lassen.
ESG ist etwas, von dem wir als Haus in einer langfristigen Perspektive überzeugt sind. Aber die Energiewende benötigt Zeit, und Zeit heißt hier Jahrzehnte und nicht Jahre. Aber die Leute taten so, als würde das morgen passieren und es kam zu massiven Überbewertungen etwa im Solar- und Windbereich.

Und bis es mit der „grünen“ Realität soweit ist, lohnen noch die Aktien von Ölkonzernen?
Sie finden viele Energietitel, die Ihnen zweistellige jährliche Renditen bescheren. In wenigen Jahren haben sie also schon das eingesetzte Kapital zurück. Um aber ganz klar zu sein: Wir müssen die Aufgabe ernst nehmen, uns um den Planeten zu kümmern. Bei einem börsennotierten Unternehmen haben wir immer die Chance, mit den Füßen abzustimmen, also zu verkaufen. Das gibt uns Einfluss als Investoren, anders als bei privaten Unternehmen. Die nicht-öffentlichen Unternehmen neigen einfach zur Gewinnmaximierung und dazu, sich um nichts anderes zu kümmern. Sie können für ihr Tun nicht von Investoren zur Rechenschaft gezogen werden. Einen solchen Privatisierungstrend können wir zum Beispiel bei Kohle-Unternehmen in den USA beobachten.

Wie reagieren Sie darauf?
Wir wollen mit unserem Abstimmungsverhalten versuchen, die Unternehmen stärker in die Pflicht zu nehmen. Solange der Übergang zu nachhaltigen Energieformen noch nicht komplett umgesetzt ist, werden die alten Energien wie Öl, aber auch Kohle, ja nach wie vor genutzt. Und wir können beobachten, dass sich die Unternehmen bemühen, zumindest in einigen Bereichen schrittweise Verbesserungen hin zu mehr Nachhaltigkeit umzusetzen.

Schauen wir noch mal auf den Gesamtmarkt, der ist – gemessen am KGV – in Europa nur rund halb so teuer wie in den USA. Gibt es Aufholpotenzial?
Wir lesen viel davon, dass Europa zurückkommt. Nun war Europa nicht weg, der Aktienmarkt hat über die vergangene Dekade eine Rendite von gut zehn Prozent pro Jahr eingebracht. Das war sicherlich weniger als in den USA, aber besser als etwa Japan oder die Schwellenländer. Die europäischen Luxuswerte haben sich sogar besser entwickelt als die US-Techaktien. Aber richtig ist auch: Viele Investoren in den USA sind im Moment in Europa deutlich untergewichtet – oder gar nicht investiert.

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel