Herr Leuchtmann, der japanische Yen ist zuletzt auf den tiefsten Wert seit 1990 gefallen. Warum?
CAPITAL: Im Prinzip setzt sich der Yen-Verfall seit 2022 fort. Alle wichtigen Notenbanken haben die Zinsen angehoben, um die Inflation zu bekämpfen – nur Japan nicht. Jetzt hat die Bank of Japan (BoJ) vor kurzem die Zinsen erhöht, aber von minus 0,1 auf plus 0,1 Prozent. Und das, obwohl die Inflation vom Höchststand von 4,3 auf 2,7 Prozent zurückgegangen ist.
Aber ist es nicht angemessen, die Zinsen auf einem niedrigen Niveau zu halten, wenn die Inflation doch rückläufig ist?
Das Problem ist die Konsistenz. Die Japaner haben ein Inflationsziel von zwei Prozent, und in den 2010er-Jahren, als teilweise Deflation herrschte, versprochen, dass sie sogar Phasen von mehr als zwei Prozent zulassen, bevor sie die Geldpolitik straffen. Jetzt ist die Inflation sogar auf über vier Prozent gestiegen, womit niemand gerechnet hat, und die Japaner haben nicht reagiert. Erst als die Inflation wieder auf 2,7 Prozent gefallen ist, wurden die Zinsen erhöht. Manche fürchten sogar, dass das geradewegs zurück in die 2010er-Jahre führt – dass die Zinsanhebungen zu diesem Zeitpunkt die Inflation vollends abwürgen. Egal von welcher Seite man ansetzt: So recht versteht den Weg niemand.
Der japanische Staat ist mit über 250 Prozent des BIP verschuldet. Ist das vielleicht eine Erklärung – kann sich das Land keine höheren Zinsen leisten?
Das wird niemand offiziell bestätigen, aber ganz sicher ist das ein Punkt. Bei Renditen von 1 Prozent und einer Inflation von 2,7 Prozent lassen sich Schulden immer noch gut bezahlen. Im Gegenteil: Der Staat entschuldet sich sogar.
Zuletzt soll sogar die japanische Notenbank am Devisenmarkt interveniert haben. Bestätigt ist das nicht – aber was haben Sie beobachtet? Und: War das notwendig?
Sehr wahrscheinlich waren das Interventionen. Die Bank of Japan hat also ausländische Währungen zugunsten des Yen verkauft. Hier muss man aber die Handlungsketten verstehen – denn: Nur weil die BoJ Devisen verkauft hat, heißt das nicht, dass sie das wollte.
Sondern?
Wenn die BoJ interveniert, dann handelt sie im Auftrag und auf Rechnung des Finanzministeriums. Ist sie am Markt aktiv, heißt das nicht, dass sie selbst das wollte.
Warum?
Weil die BoJ aktuell noch kein Interesse an einem starken Yen hat. Ihre Geldpolitik ist mit dem Leitzins von 0,1 Prozent weiterhin expansiv, und sie will die Inflation auf dem Niveau immerhin stabilisieren und nicht fallen sehen wie zuletzt. Hierfür wäre ein schwacher Yen vorteilhaft, weil er Importe teurer macht und die Preise damit erhöht. Das Finanzministerium hat ganz andere Motive.
Renditen weniger attraktiv
Und zwar?
Es will die hohe Abwertungsgeschwindigkeit reduzieren, weil diese den Importeuren Probleme bereitet. Die haben plötzlich viel höhere Preise zu zahlen, was zu Anpassungsproblemen führt. Gewissermaßen arbeiten BoJ und Finanzministerium in diesem Punkt zwangsläufig gegeneinander.
Was bedeutet das für Ihr Geschäft? Interessieren sich Ihre Kunden überhaupt für die Schwäche des Yen?
Ehrlich gesagt: nur wenige. Die allermeisten Unternehmen fakturieren nun einmal in Dollar. Nichtsdestotrotz: Alle, die irgendetwas mit dem Yen zu tun haben, sind aktuell hochnervös. Für sie ist es das dominierende Thema.
Die Implikationen für den klassischen Handel durch den schwachen Yen werden schnell klar. Wie sieht es denn auf dem Kapitalmarkt aus?
Die Renditen in Japan sind für Anleger ganz eindeutig weniger attraktiver als in anderen Ländern. Das war auch sicher ein Grund für die starke Abwertung. Dazu kommt der Vertrauensverlust, der dazu führt, dass der Yen nicht mehr als sicherer Hafen wahrgenommen wird. Der sichere Hafen ist ein Status, der stark unterschätzt wird. Viele Anleger verzichten ein Stück weit auf Rendite, um sich gegen Risiken zu versichern. Verliert ein Land wie Japan den Status als sicherer Hafen, erhöht das die Abwertungsgeschwindigkeit.
Was bedeutet der Verfall für Aktionäre, die japanische Aktien häufig in ihren ETFs und Fonds haben?
Es gibt ja währungsgesicherte Produkte. Ich selbst muss mir immer wieder anhören, dass man Währungsrisiken doch bei diesen Centbeträgen ignorieren könnte. Mitunter mag das auch stimmen, aber nicht immer – wie eben jetzt beim Yen. Das werden jetzt viele schmerzlich spüren.