Herr Horovitz, die Deutsche Bank-Aktie ist am vergangenen Freitag um fast 15 Prozent eingestürzt – und keiner weiß so recht warum. Können Sie uns eine Antwort geben?
ANDRÉ HOROVITZ: Die genauen Hintergründe sind tatsächlich unklar. Es scheint aber so zu sein, dass einige spekulative Hedgefonds große Short-Positionen aufgebaut haben. Die Aktie ist daraufhin gefallen, und Ausfallversicherungen auf Anleihen, sogenannte Credit Default Swaps, sind genauso automatisch nach oben gegangen wie die Kreditspannen auf Anleihen. Das hat zur Verunsicherung geführt und zum weiteren Ausverkauf der Aktie.
Mit Credit Default Swaps (CDS) sichern sich Investoren gegen den Ausfall einer Anleihe ab. Einige Experten sagen, dass die Reihenfolge andersrum war – und geben den CDS die Hauptschuld für die Turbulenzen. Hedgefonds hätten hier gezielt Positionen aufgebaut und so die Preise in die Höhe getrieben. Das hat zur Unruhe gegen die Deutsche Bank geführt und die Aktienpreise sind gefallen. Überzeugt sie das nicht?
Nein, das klingt für mich unlogisch. So wie ich das sehe, wurden zunächst die Aktien gehandelt, und nicht die CDS. Wenn überhaupt, dann nur in überschaubaren Mengen. Die höheren CDS-Spreads waren nur die Folge des Aktienverfalls. Es gibt dafür zwar keine konkreten Beweise, aber sehr nachvollziehbare Indizien in den Daten. Außerdem sind CDS der Deutschen Bank extrem liquide. Die Idee, dass Hedgefonds einige Millionen „long“ CDS-Kontrakte eingehen, um schnell Unruhe in den Markt zu bekommen, greift zu kurz. Dafür sind die Arbitragemöglichkeiten wegen der hohen Liquidität dieser Instrumente zu gering.
Das müssen Sie erklären...
Arbitrage, also das gezielte Ausnutzen von Preisunterschieden an Börsen, kann ich nur erzielen, wenn die Spreads zwischen langlaufenden Anleihen und CDS unterschiedlich hoch sind. Dann kann ich gleichzeitig das eine kaufen und das andere verkaufen. Solche Spreads entstehen in der Regel aber nur, wenn die Papiere nicht intensiv gehandelt werden. Ich denke da zum Beispiel an einen kleinen Mittelständler, der Anleihen herausgibt. In diesem Fall reden wir aber vom Milliardenkonzern Deutschen Bank – da gibt es solche Spreads nicht.
Und trotzdem ist die Kritik an CDS nicht neu. Schon die Finanzkrise 2008 sollen sie beschleunigt haben – und das aktuelle Bankenbeben angeblich auch. Welche Rolle nehmen CDS in der aktuellen Krise ein?
Das ist eine sehr berechtigte Frage, auch wenn ich nicht von einer Krise sprechen würde. Dafür ist die Deutsche Bank zu solide. Die CDS sind Derivate, die gerade bei großen Unternehmen wie der Deutschen Bank an bekannten Börsen gehandelt werden. Das heißt: Sie sind sehr liquide, und nicht, wie teilweise behauptet wird, markteng. Hedgefonds oder andere Marktteilnehmer können nur sehr schwer und, wenn überhaupt, mit Unmengen von eingesetztem Kapital, Kurse beeinflussen. Inzwischen sind CDS auch sehr gut überwacht. Das war vor der Finanzkrise noch anders, und ein Grund für die berechtigte Kritik damals. Also: Ich würde die Rolle von CDS in der aktuellen Situation nicht überbewerten.
Was hat sich denn seit 2008 geändert?
Mittlerweile werden fast 100 Prozent der CDS von großen Unternehmen an Börsen mit standardisierten Verträgen gehandelt – so genannten „Centralized Clearing Facilities – und über „ISDA CSA“ („Credit Support Annex“, Anm. d. Red.) werden Cash-Sicherheiten hinterlegt. Die Börsen gehen nur intra-day Risiken ein, in dem am Ende des Handelstages die offenen Positionen ausgeglichen werden. Außerdem gibt es gut kapitalisierte Clearing-Stellen, die das Risiko zerstreuen. Das war früher ganz anders. Vor 2008 wurden die meisten CDS über bilaterale Verträge gehandelt und damit mussten die Teilnehmer hohe Gegenpartei-Ausfallrisiken eingehen wie bei Lehman Brothers. Da mussten Investoren, die sich über CDS von einen Ausfall des Emittenten absichern wollten, tatsächlich um ihr Geld fürchten. Mittlerweile ist das Risiko sehr gering.
Wie kommt es dann, dass CDS weiter als Zockerpapiere gelten?
Weil das grundsätzlich möglich ist – wie eigentlich bei allen Finanzpapieren. Man kann mit CDS per Definition eine Wette auf die Kreditwürdigkeit einer Firma eingehen. Das, was am Freitag passiert ist, hatte damit aber aus meiner Sicht nichts zu tun. Da lief die Wette über den Aktienmarkt. Als die Deutsche-Bank-Kurse gefallen sind, sind die CDS-Spreads nach oben geschossen. So weit, so normal, da sich beide gegenläufig zueinander entwickeln, um Arbitrage zu verhindern. Man kann auch Positionen in CDS über gewichtete Positionen in den Aktien des Anleihen-Emittenten, absichern. Das heißt: Um Arbitrage zu vermeiden, müssen praktisch in Minutentakt die Preise der Aktien, Anleihen und CDS-Kontrakte miteinander stimmig sein. Das Besondere ist nur, dass der Markt extrem nervös ist, und die Entwicklungen dadurch deutlich dynamischer sind.
Der EZB-Bankenaufseher Andrea Enria hat CDS trotzdem als eines der Hauptprobleme ausgemacht. Er will die Papiere stärker regulieren, weil sie „intransparent und illiquide“ seien. Sie behaupten das Gegenteil?
Nein, insgesamt hat er Recht. Es kommt aber auf die Betrachtung an: Viele CDS von kleinen und mittelständischen Unternehmen sind tatsächlich illiquide. Wir reden hier aber über die CDS der Deutschen Bank – einem der wichtigsten deutschen Unternehmen. Da kann überhaupt keine Rede davon sein, dass die CDS illiquide seien. Es ist undenkbar, dass Investoren mit wenigen Millionen Euro gezielt Stimmung über die CDS machen können, um den Aktienkurs der Deutschen Bank in den Keller zu stürzen.
Noch einmal: Sie sagen also, es gab am Freitag keine gezielte Stimmungsmache gegen die Deutsche Bank?
Doch. Über große Pakete von Aktienleerverkäufen. Aber unwahrscheinlich über die CDS-Kontrakte. Welche Interessen dahinterstehen, kann ich nicht sagen. Es ist aber so, dass Aktien, Bonds oder CDS der Deutschen Bank so liquide sind, dass Arbitrage so gut wie unmöglich ist. Das war übrigens auch bei der Credit Suisse so.
Bei der Sie als Chief Risk Officer einst im Vorstand waren…
Ja, und ich würde sagen, dass die Probleme hier, bei der Silicon Valley Bank und bei der Deutschen Bank ganz unterschiedlich waren. Bei der Credit Suisse war das Privatkundengeschäft über hundert Jahre das starke Rückgrat – und wenn die Kunden dann sehen, dass immer mehr Menschen ihr Geld abziehen, zerstört das natürlich das Vertrauen. Bei der Deutschen Bank ist das etwas anderes: Die Bilanz ist gesund, so wie es auch Bundeskanzler Scholz gesagt hat. Vor fünf Jahren hätte ich vielleicht etwas anderes gesagt – aber man hat dort einen sehr guten Job gemacht bei der Restrukturierung.
Und warum haben Hedgefonds dann trotzdem ihre Short-Positionen ausgebaut?
Aus akademischer Sicht kann ich darauf keine Antwort geben. Ich persönlich glaube, dass die Deutsche Bank sehr naheliegend für spekulative Hedgefonds war, die auf eine systemische Ansteckung durch Fälle wie die SVB, First Republic und Credit Suisse gesetzt haben. In der Welt und insbesondere in Europa wäre die Deutsche Bank eine der ersten Institute, die fallen könnte – auch wegen ihrer Historie und der tiefen Verwurzelung in zahlreiche Industrien. Punkt zwei ist die inverse Zinskurve. Aktuell ist es so, dass kurzlaufende Anleihen höhere Zinsen abwerfen als langlaufende Anleihen. Das ist in der Ökonomie sehr häufig mit der Erwartung einer Rezession verbunden – also auch mit Insolvenzen, von denen die Deutsche Bank überproportional stark betroffen wäre. Es zeigt aber schon, wie viel Fantasie dahintersteht.
Wenn so viel Fantasie im Raum hängt: Müssen wir uns aktuell häufiger auf kleinere Flächenbrände wie bei der Deutschen Bank einstellen?
Auf jeden Fall. Andererseits habe ich das in fast vier Jahrzehnten Bankenbranche immer wieder erlebt. Insofern ist das nichts Neues.