Unter den Mitarbeitern der Bundesbank herrscht Unmut über einen „Modernisierungsplan“, den eine Unternehmensberatung für ihre Institution entworfen hat. Es geht um den Abbau Hunderter Stellen und um eine Überarbeitung der Arbeitsweisen. Gleichzeitig versucht die Bundesbank, die Kritik aus der Politik an ihren wachsenden Verlusten zu entkräften.
Die Bundesbank ist eine konservative und verschwiegene Säule des deutschen Establishments. Doch es brodelt seit Joachim Nagel im vergangenen Jahr Präsident wurde und die Boston Consulting Group ins Haus kam, um die Bank agiler und effizienter zu machen. Das berichten mehrere mit den Plänen vertraute Personen der „Financial Times“.
Wird die Bundesbank zum Dienstleister?
„Die Stimmung unter den Mitarbeitern ist auf dem absoluten Tiefpunkt“, sagte ein Insider. „BCG hat keine Ahnung, wie eine Zentralbank funktioniert und was ihre gesetzlichen Aufgaben sind. Sie haben die Arbeit an der Geldpolitik mit einer Automobilproduktion verglichen, was völliger Unsinn ist.“ Die Bundesbank erklärte dagegen, ihr Plan namens „Wandel“ sei ein „Modernisierungsprozess“. Dieser ziele darauf ab, „die Bank in eine zukunftssichere, agile und digitale Organisation zu verwandeln, die schnell auf komplexe und sich entwickelnde Herausforderungen reagieren muss“. Weiter heißt es: „Die Welt verändert sich und damit auch die Bundesbank.“
Die Berater wollen die Zahl der Mitarbeiter reduzieren. Die Stellen vieler Beschäftigter aus der Babyboomer-Generation , die in den nächsten vier Jahren in Rente gehen werden, sollen nicht wieder besetzt werden. In Erweiterung eines früheren Umstrukturierungsplans soll die Zahl der Vollzeitstellen von 10.294 im vergangenen Jahr um etwa fünf Prozent gesenkt werden.
Mit dem Vorhaben vertraute Personen sagten, es laufe darauf hinaus, dass die Bundesbank zu einem Dienstleister für den öffentlichen Sektor umgewandelt werde. Die Aufgabe der Bank wäre es dann, einen größeren Anteil der staatlichen Rentenfonds und anderer staatlicher Geldpools passiv zu verwalten. Die Berater schlagen außerdem vor, neue abteilungsübergreifende Teams aus verschiedenen Bereichen zu bilden. So soll die starre Struktur der Zentralbank, in der viele Mitarbeitende in getrennten Abteilungen arbeiten, flexibler gestaltet werden.
Bundesbank rechnet mit Verlusten von mehr als 20 Mrd. Euro
Drei Personen, denen der Plan bekannt ist, sagten, er spiegele das wachsende Unbehagen der Bundesbank wider über die Verluste, die vom starken Anstieg der Zinssätze herrührten. Denn wie die Bundesbank erklärte, werden die Verluste in den kommenden Jahren wahrscheinlich mehr als 20 Mrd. Euro an Rückstellungen und Kapital verschlingen. Der Bundesrechnungshof warnte kürzlich sogar, dass die Bundesbank eine Rettungsaktion benötigen könnte, um ihre steigenden Verluste zu decken.
Die Zentralbank selbst bestritt jedoch, dass die zu erwartenden Verluste einer der Hauptgründe für die Entscheidung seien, BCG zu beauftragen. Die US-amerikanische Unternehmensberatung gehört weltweit zu den größten ihrer Branche. Bei der letzten größere Umstrukturierung dieser Art vor 30 Jahren wurde die Bundesbank von der US-Beratungsfirma McKinsey beraten. Weitere Strukturreformen gab es vor etwa 20 Jahren, zur Zeit der Einführung des Euro.
Der Hauptgrund für die „Überprüfung ihrer Aufgaben und die Erkundung des Potenzials für die Optimierung von Prozessen“ besteht wohl in zwei wesentlichen Punkten: Einmal sicherzustellen, dass die Bank über ein „hochmodernes Arbeitsumfeld“ verfügt und dass sie ihre „wichtige und prägende Rolle“ im Zentralbankwesen und in der Finanzaufsicht beibehält, hieß es. BCG erklärte dazu: „Wir äußern uns nicht zu (potenziellen) Kundenaufträgen.“
Banker und Berater im „Culture Clash“
Einige Mitarbeiter halten die Umstrukturierung für überfällig. „Jede Veränderung in dieser Institution ist positiv“, sagte einer. Die Struktur beschrieb er als „verknöchert“, der „überholten wirtschaftlichen Orthodoxie“ verhaftet und „extrem bürokratisch“.
Insgesamt führte die Ankunft von Powerpoint-schwingenden Unternehmensberatern in der behäbigen und engmaschigen Welt der Bundesbank zu einem unvermeidlichen „Culture Clash“, so ein Insider. Ein anderer sagte über die Ideen von BCG: „Es sind alles nur Schlagworte.“ „Die Seniorpartner von BCG haben Erfahrung und Wissen über das Zentralbankwesen, aber die Juniorberater nicht“, sagte ein ehemaliger Mitarbeiter. „Also müssen die Mitarbeiter ihnen alles erklären, und das ist sehr ärgerlich.“
Der ehemalige Bundesbankpräsident Axel Weber, der die Bank von 2004 bis 2011 leitete, kam Anfang des Jahres als Seniorberater zu BCG. Eine Person, die mit seinen Aufgaben vertraut ist, sagte der „FT“ jedoch, dass er nicht in das Bundesbank-Projekt involviert sei und in einem anderen Team arbeite.
Bundesbank befürwortet Zinssätze
Die Zentralbank erhielt weithin öffentliche Bewunderung für ihre raschen Zinserhöhungen nach den Ölschocks der 1970er-Jahre. Sie halfen Deutschland die zweistellige Inflation zu vermeiden, die einen Großteil der westlichen Welt plagte. Der ehemalige EU-Präsident Jacques Delors sagte: „Nicht alle Deutschen glauben an Gott, aber sie glauben alle an die Bundesbank.“
Nagel hat sich an die Spitze der Forderungen nach höheren Zinssätzen gestellt, seit die Inflation in der Eurozone im vergangenen Jahr auf ein Rekordhoch gestiegen ist. Da die Bundesbank aufgrund der höheren Zinssätze große Verluste verzeichnet, hat sie Geld gespart, indem sie die Zinsen für Staatseinlagen gesenkt hat. Außerdem hat sie sich für eine ähnliche europaweite Umstellung bei Einlagen von Geschäftsbanken eingesetzt.
Zwar hat die Bundesbank einen Großteil ihrer Befugnisse an die Europäische Zentralbank übertragen, als die D-Mark 2002 durch den Euro ersetzt wurde. Aber sie unterhält noch immer neun Regionalbüros und 31 Zweigstellen im Land, wo sie Geschäftsbanken in ihrem Gebiet beaufsichtigt und Bargeld ausgibt. Bei der Hälfte der Beschäftigten, die in diesen regionalen Außenstellen arbeiten, ist der Widerstand gegen die Ideen der BCG-Berater besonders groß.
Der Umbruch bei der Bundesbank fällt in eine Zeit, in der ihr sechsköpfiger Vorstand in Bewegung geraten ist. Der Vorstand wird zur Hälfte von der Bundesregierung und den Ländern gestellt. Johannes Beermann ist seit seinem Ausscheiden Ende vergangenen Jahres von der hessischen Landesregierung nicht ersetzt worden. Claudia Buch gibt ihr Amt als Vizepräsidentin auf, um im Januar Leiterin der EZB-Aufsicht zu werden, Joachim Wuermeling verlässt das Gremium ebenfalls zum Jahresende.
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