Die schwächelnde Wirtschaft galt als ein entscheidendes Thema bei der Bundestagswahl – entsprechend aufmerksam verfolgten die Spitzen der Wirtschaftsverbände und die Gewerkschaften den Wahlabend.
Wolfgang Grupp junior, geschäftsführender Gesellschafter von Trigema, forderte im Gespräch mit Capital eine „Wende“ nach der Wahl, bedauerte aber das schwache Abschneiden einiger Ampelparteien. „Besonders schade finde ich, dass die FDP als Partei der liberalen Mitte nicht mehr im Parlament ist“, sagte Grupp. Allerdings werde so die Regierungsbildung hoffentlich einfacher und schneller. „Eine schwarz-grüne Koalition, mit den Ansichten, wie sie die Grünen in Baden-Württemberg vertreten, hätte ich durchaus positiv gefunden.“
Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des Bergsportausstatters Vaude, legte ihre Hoffnungen ebenfalls in eine stabile Regierung, die „den Pessimismus und die Unzufriedenheit“ im Land adressieren könne. „Um die drängende zukunftsorientierte nachhaltige Ausrichtung kompetent anzugehen, tut es mir jedoch leid, dass die Grünen vermutlich nicht an Bord sind“, sagte Dewitz zu Capital.
Merz als Gewinner der Bundestagswahl
Die Präsidentin der „Familienunternehmer“ fordert ebenfalls eine schnelle Wende von Friedrich Merz (CDU). „Unser Land verkraftet keine weitere Legislaturperiode ohne echte Wirtschaftsreformen“, schrieb Marie-Christine Ostermann.
Einen „Neustart“ forderte auch die Präsidentin des Bundesverbandes der Volks- und Raiffeisenbanken, Marija Kolak: „Es ist an der Zeit, dass Politik und Wirtschaft gemeinsam den Stillstand der letzten Jahre überwinden und einen Wachstumspfad einschlagen, der Zuversicht und Innovationskraft freisetzt.“ Sie appelliere an die Parteien, nicht lange zu verhandeln, sondern zügig Reformziele zu vereinbaren. Vor allem „im Wohnungsbau, der Altersvorsorge, beim Bürokratieabbau und in der Stärkung des Mittelstands“.
Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, stimmte im Interview mit dem ZDF am Wahlabend ein. Eine lange Regierungsbildung könne man sich nicht leisten, es brauche ein „sofortiges Umschalten“. „Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands steht auf dem Spiel.“
„Entscheidungs- und Handlungsstau“
Schnelle Reformen fordert auch Peter Leibinger, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). „Der Entscheidungs- und Handlungsstau in vielen für die Wirtschaft existenziellen Fragen wie etwa des Bürokratierückbaus, staatlichen Investitionen, der Energieversorgung und der Sicherheitspolitik gehört dringend aufgelöst“, sagt Leibinger laut Nachrichtenagentur Reuters. Christian Bruch, CEO von Siemens Energy, forderte erwartungsgemäß Impulse in der Energiepolitik. „Der Ausbau von Gaskraftwerken, die Stärkung der Windenergie und die Modernisierung der Stromnetze sind dafür essenziell, genauso wie eine sichere Rohstoffversorgung.“
Laut Christian Sewing, CEO der Deutschen Bank und Präsident des Bankenverbands, muss die künftige Bundesregierung die Stärke haben, in Europa eine Führungsrolle zu übernehmen. „Gerade in diesen unruhigen Zeiten braucht Europa ein starkes Deutschland, das bereit ist, Verantwortung zu übernehmen“, so Sewing.
Sorge wegen starkem AfD-Ergebnis
Die Gewerkschaften rufen ebenfalls zu Schnelligkeit. „Die Industrie und die Beschäftigten können nicht Monate auf klare Perspektiven warten“, schrieb IG-Metall-Chefin Christiane Benner. „Sie brauchen jetzt so schnell wie möglich konkrete Zusagen. Zuversicht kann es nur geben, wenn die demokratischen Parteien sich jetzt zügig Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung widmen.“ Konkret brauche es wettbewerbsfähige Energiekosten, einen Hochlauf der Elektromobilität und Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung
Sorgen machte Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes und SPD-Mitglied, das starke Abschneiden der AfD. „Ich hätte mir natürlich gerne ein klareres Zeichen gewünscht, dass die Parteien der parlamentarisch-demokratischen Mitte einen klareren Regierungsauftrag bekommen“, sagte Fahimi im Interview mit der ARD am Wahlabend. „Fast 20 Prozent für die AfD sind 20 Prozent zu viel und kein klares Zeichen für einen Wirtschaftsimpuls, den wir jetzt brauchen.“
Dass sich schnell etwas in der Wirtschaft ändert, bezweifelt Christoph Ahlhaus, Bundesgeschäftsführer des Mittelstandsverbands BVMW – und wollte deshalb nicht in den Jubel der Unionsparteien einstimmen. „Ich kann dieses Triumphgeheul aus dem Adenauer-Haus heute überhaupt nicht nachvollziehen. Wir haben keine klaren Ergebnisse“, sagt Ahlhaus der ARD. „Es ist nicht klar, wie die Union das Programm, das sie auch der Wirtschaft versprochen hat, durchsetzen soll.“
Ökonomen fordern Reform der Schuldenbremse
Auch bei den Ökonomen wurde die Wahl verfolgt. Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer forderte im Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters schnelle Koalitionsverhandlungen. Um die nötigen Investitionen in Sicherheit, Bildung und Infrastruktur zu stemmen, brauche es eine Reform der Schuldenbremse. „Man kann nur hoffen, dass man sich angesichts der sicherheits- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen rasch und konstruktiv auf einen Koalitionsvertrag einigt, der das Land nach vorne bringt.“
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, fürchtet allerdings, dass es selbst eine Zwei-Parteien-Koalition schwierig haben werde. „Dringend benötigte Reformen dürften dadurch großenteils unmöglich sein, die gesellschaftliche Polarisierung und die Fortsetzung des Erstarkens der AfD das unweigerliche Resultat“, sagte Fratzscher. „Für Wirtschaft und Unternehmen wäre ein weiterer Abstieg unausweichlich.“