Tucker Carlson hatte von allen Abendmoderatoren der US-Nachrichtensender die besten Einschaltquoten. Seine Prime-Time-Show auf dem Kanal Fox News sahen jeden Abend rund drei Millionen Zuschauer. Die Ankündigung des rechten Scharfmachers, eine neue Show auf Twitter zu starten, kann für das neue Spielzeug von Elon Musk nichtsdestotrotz zu einem finanziellen Risiko werden. Nämlich dann, wenn Werbekunden abspringen.
Doch diesen Preis ist der Tech-Milliardär nach Einschätzung von Kapitalmarktexpertin Sandra Navidi bereit zu zahlen. „Musk geht es bei einer Kooperation mit Carlson weniger um kommerzielle Interessen, sondern um die Legitimation und Weiterverbreitung ultrarechten Gedankenguts", sagt die Geschäftsführerin der Beratungsfirma Beyond Global zu ntv.de.
Dass der einflussreiche Moderator Nutzer in schwindelerregender Höhe auf die Plattform zieht, hat bereits sein Ankündigungs-Clip bewiesen, der bisher mehr als 78 Millionen Mal angesehen worden ist. Carlson war eines der bekanntesten Gesichter von Fox News und sorgte immer wieder für Eklats – und hohe Quoten. Der Moderator ist dafür bekannt, Verschwörungstheorien sowie offensichtliche Falschmeldungen zu verbreiten und gegen Minderheiten zu wüten.
Carlson war Ende April von Fox News entlassen worden. Die Trennung erfolgte weniger als eine Woche nach dem historischen Vergleich zwischen Fox News und dem Wahlmaschinen-Unternehmen Dominion im Streit um falsche Wahlbetrugsvorwürfe nach der Präsidentschaftswahl 2020. Fox erklärte sich bereit, knapp 788 Millionen zu zahlen. Carlsons Name war im Zusammenhang mit dem von Dominion angestrengten Verleumdungsverfahren gegen Fox News immer wieder aufgetaucht.
Werbeumfeld reagiert rigoros
„Dadurch, dass Fox den Moderator vom Sender genommen hat, ohne ihn aus seinem Vertrag zu entlassen,kann Tucker sich jetzt als Märtyrer darstellen, der politisch kaltgestellt werden soll. Das verleiht ihm nur noch mehr Macht“, sagt Navidi. Dem Talkmaster, der in seiner Sendung immer wieder als Unterstützer des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump aufgetreten ist, wurden zuletzt auch eigene politische Ambitionen nachgesagt. Sollte er jetzt in letzter Minute wirklich noch in das Rennen um das Weiße Haus einsteigen, wäre Musk ihrer Einschätzung nach außerdem ein mächtiger Strippenzieher hinten den Kulissen.
Wie rigoros Unternehmen auf Veränderungen des Werbeumfelds reagieren, hatte sich schon kurz nach der Übernahme von Twitter durch Musk gezeigt. Seine Entscheidung, im Namen der Meinungsfreiheit die Regeln für die Moderation von Inhalten zu lockern, stieß bei vielen Unternehmen auf Kritik: Innerhalb nur eines Monats verlor der Tech-Milliardär die Hälfte der Top-100-Werbekunden. Im Umfeld von Fake-News und Hassnachrichten wollten viele nicht mehr werben. Werbetreibende, die seit 2020 zwei Milliarden Dollar in Twitter investiert haben, legten ihre Anzeigen auf Eis. Die Tatsache, dass Carlson, dessen Fox-News-Show von den Mainstream-Werbekunden gemieden wurde, jetzt auf Twitter ein Forum bekommt, könnte dem Geschäft der Plattform nun weiter schaden.
In einem Interview mit der BBC behauptete Musk kürzlich zwar erst, dass die meisten Werbekunden auf die Plattform zurückgekehrt seien. Daten des US-Marktforschungsunternehmens Insider Intelligence deuten laut „Business Insider“ allerdings darauf hin, dass weit weniger Firmen wieder Anzeigen schalten, als Musk behauptet. „Die Show von Tucker Carlson ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Musk sich gegenüber den Bedenken der Werbetreibenden in Bezug auf die Moderation von Inhalten unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit taub stellt“, zitiert die US-Nachrichtenseite Semafor den Chefstrategen der Medienüberwachungsorganisation Ad Fontes Lou Paskalis. Musk sei in dieser Hinsicht ein „unbestrittener Meister der selbst zugefügten Wunden“.
Noch sind keine Details über die Show von Carlson auf Twitter bekannt. In seinem kurzen Video-Statement wettert er allerdings gegen die „Mainstream-Medien“ und betont, dass „die freie Meinungsäußerung das wichtigste Recht sei“, das die Menschen hätten. Beobachter halten es deswegen für wahrscheinlich, dass Tucker auf Twitter Gedanken und Meinungen teilen will, für die selbst bei Fox News kein Platz gewesen ist.
Twitter gerade nur 42 Mrd. Dollar wert
Als Reaktion auf die Ankündigung von Carlson schien es dem sonst so wortgewandten Musk wichtig zu sein, vor allem eines klarzumachen: „Wir haben keinen wie auch immer gearteten Vertrag unterzeichnet.“ Für Carlson gelten demnach dieselben Regeln und Vergütungen wie für alle anderen. Medienberichten zufolge hatten sich Carlson und Musk zuvor getroffen, um eine Zusammenarbeit auszuloten. Um möglichen Kritikern schon im Vorfeld den Wind aus den Segeln zu nehmen, stellt er in seinem Statement auch klar: Auf Twitter seien die Menschen in der Lage, zu interagieren, zu kritisieren und zu widerlegen, was auch immer gesagt wird. Er ruft sogar „linke“ Macher auf, in die Fußstapfen von Carlson zu treten.
Bislang sind alle Versuche von Musk, die Einnahmen von Twitter zu steigern, gescheitert. So hat etwa Twitter Blue, das kostenpflichtige Verifizierungsprogramm, kaum Abonnenten angezogen – und schon gar nicht genug, um den Verlust an Werbekunden auszugleichen. In einer Mail an seine verbliebenen Mitarbeiter soll Musk kürzlich geschrieben haben, dass Twitter eines Tages bis zu 250 Milliarden Dollar wert sein könnte. Momentan beträgt der Marktwert des Unternehmens rund 42 Milliarden Dollar.Carlson war für Fox News jahrelang der größte Umsatzbringer im US-Nachrichtenfernsehen. Das dürfte bei Musk für reichlich Optimismus sorgen. Noch im Jahr 2018 generierte der Moderator 190 Millionen Dollar an Einnahmen und damit etwa 16 Prozent des Gesamtumsatzes des Senders. Doch auch Carlsons Werbeeinnahmen gingen in den Folgejahren deutlich zurück. Das Jahr 2021 markierte mit rund 67 Millionen Dollar an Werbeumsätzen den Tiefpunkt. Immer mehr Unternehmen wollten nicht mehr im Umfeld von Carlson werben. Gut möglich, dass Twitter schon bald ein ähnliches Schicksal blühen könnte.
Dieser Text erschien zuerst auf ntv.de.