Als die Beschäftigten der Saarbrücker Gießerei Neue Halberg-Guss am Montag, dem 22. Januar, ihr Werk betreten, erwartet sie zwischen den verwitterten Mauern eine Überraschung. Das Traditionsunternehmen, dessen Geschichte bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht, hat einen neuen Eigentümer. Und eine neue Geschäftsführung. Die Übernahme des Autozulieferers mit seinen über 2000 Mitarbeitern, spezialisiert auf Zylinderkurbelgehäuse und Kurbelwellen, hat am vorherigen Freitag das Bundeskartellamt genehmigt.
Der Name des Investors sagt niemandem etwas: eine gewisse Castanea Rubra Assets GmbH, deren lateinischer Name „rote Kastanie“ bedeutet. Betriebsrat und Arbeitnehmervertreter sind überrumpelt, sie können den Kollegen kaum etwas sagen. „Der Informationsfluss vonseiten der neuen Gesellschafter war spärlich“, erinnert sich Patrick Selzer von der IG Metall Saarbrücken.
Schnell aber wird klar, dass hinter dem Investor eine größere Unternehmensgruppe steht: Prevent. Als die Betriebsräte diesen Namen googeln, tritt ihnen der Schweiß auf die Stirn. „Der neue Eigentümer lag mit unserem wichtigstem Kunden im Clinch“, sagt Selzer – gemeint ist Volkswagen. Über Nacht sind „die Halberger“, wie sie sich selbst nennen, in einen der größten Konflikte der deutschen Autoindustrie geraten. Und als sie bei ihren Gewerkschaftskollegen in Wolfsburg nachfragen, werden ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
Prevent, ein Beteiligungsimperium, das von der bosnischen Hastor-Familie kontrolliert wird, hat sich in den letzten Jahren zu einem Schreckgespenst der Branche entwickelt. Es begann 2015 in Brasilien, als zu Prevent gehörende Zulieferer bessere Bedingungen vom langjährigen Kunden Volkswagen forderten. Nach Darstellung von VW kam es zu einem Lieferstreik, gefolgt von kostspieligen Produktionsausfällen.
Der Autobranche stehen rauere Jahre bevor
2016 schwappte der Streit nach Deutschland. Die Prevent-Töchter Car Trim und ES Automobilguss warfen VW unrechtmäßig gekündigte Aufträge vor und stellten die Lieferung wichtiger Bauteile ein. Bei VW standen Bänder still. Ein Jahr später versuchte Prevent, mit Aktienzukäufen die Kontrolle beim oberpfälzischen Zulieferer Grammer zu übernehmen, für den VW ein wichtiger Kunde ist. Der Versuch wurde mithilfe eines chinesischen Investors abgewehrt, offenbar unter Druck von VW.
Möglicherweise ist der Konflikt auch ein Vorbote dafür, dass dem erfolgsverwöhnten Automobilbau rauere Jahre bevorstehen. Das Vorgehen von Prevent ist oft ähnlich: Eine Investmentfirma mit einem exotischen Namen wie Cascade, Parramatta oder eben Castanea Rubra steigt bei einem Komponentenhersteller ein, der viel an VW liefert. Dann werden über Preiserhöhungen und Rechtsstreitigkeiten die Daumenschrauben angezogen.
Als der Konflikt zwischen VW und Prevent begann, reagierten viele Zulieferer noch mit klammheimlicher Freude. Die großen Autokonzerne halten ihre Lieferanten gerne an der kurzen Leine, sie drücken auf die Preise, wälzen Entwicklungskosten ab und lassen mit Zahlungen schon mal auf sich warten. Manchem gefiel es, dass dagegen mal einer aufzubegehren schien. „Mein erster Gedanke war: Verdient haben sie es schon“, sagt der Chef eines mittelgroßen Zulieferers über den Konflikt.
Privatdetektive ermitteln
Natürlich trägt auch VW seinen Teil zum Streit bei. Der Konzern geht mittlerweile auf vielen Wegen gegen Prevent vor: mit Anwälten, durch Beratungsgespräche mit gefährdeten Zulieferern und sogar mit Privatdetektiven, die Informationen über den renitenten Gegner einholen sollen.
Doch die Vehemenz, mit der sich Prevent durch den deutschen Automobilbau pflügt, wirkt zunehmend wie Methode – und zwar eine, die für die übernommenen Unternehmen fatal sein kann. Das sagen nicht nur Gewerkschafter, die naturgemäß die Interessen der Beschäftigten im Auge haben, man hört es auch von Beratern und anderen Zulieferern. „Das Muster ist kurzfristige Gewinnmaximierung“, sagt ein Brancheninsider. „Und das kann schnell auf Kosten des Betriebs gehen.“
Die Methode: Durch eines ihrer Investmentvehikel übernimmt die Beteiligungsgesellschaft einen Zulieferer, von dem Volkswagen und andere Autobauer kurzfristig abhängen. Dann werden deutlich höhere Preise gefordert, die die Abnehmer so lange zahlen müssen, bis sie einen anderen Lieferanten aufgebaut haben. Sobald die Verträge gekündigt werden, gerät der Zulieferer in Bedrängnis und wird im Zweifel abgewickelt – aber der Gewinn ist dann bereits abgeschöpft.
Wir sind zwischen zwei große Mühlsteine geraten. Zwischen Volkswagen und Prevent
Halberg-Guss-Betriebsrat Bernd Geier
Anfällig für diese Masche sind große Autokonzerne vor allem dann, wenn sie auf das Single-Source-Prinzip setzen. „Es gibt viele Fälle, in denen es einfach zu teuer ist, mehrere Zulieferer mit einer Aufgabe zu betrauen“, sagt Ralf Kalmbach, Partner der Unternehmensberatung Bain und dort Co-Leiter der weltweiten Praxisgruppe Automotive. „Das erlaubt die Kalkulation nicht.“ Es ist ein gängiges Prinzip, das jedoch Hasardeuren das Spiel erleichtern kann.
Bei Prevent weist man die Kritik zurück und wirft im Gegenteil Volkswagen vor, sich nicht an Abmachungen gehalten zu haben. Ob es überhaupt belastbare Verträge gibt, die einzuhalten gewesen wären, wird derzeit in mehreren Fällen vor Gericht geklärt. Ein Prevent-Sprecher erklärt, man verfolge natürlich langfristige Interessen und suche keinen Streit. „Mit anderen Kunden hat es keinerlei Konflikte gegeben. Wenn man sich überall zurückzieht, wo VW drin ist, kann man die Geschäftstätigkeit aufgeben.“
Der Fall Neue Halberg-Guss (NHG) ist nicht dazu geeignet, das Misstrauen zu zerstreuen. Im Betriebsratsbüro in Saarbrücken hat man sich auf Schwierigkeiten eingestellt. Der Vorsitzende Bernd Geier rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her, er will vor die Tür, braucht eine Zigarette. Zwischen den verwitterten Industriebauten liegt der Geruch von gegossenem Metall in der Luft, durch blaue Schornsteine ziehen die Werksabgase in den Himmel. Geier, der ein bisschen wie der Schauspieler Joachim Król aussieht, streckt seine kräftigen Arme aus. „Wir sind zwischen zwei große Mühlsteine geraten“, sagt er. „Zwischen Volkswagen und Prevent.“
Exorbitante Preise
Neben Saarbrücken fertigt NHG auch in Leipzig, wo etwa 650 Menschen arbeiten. Besonders gut geht es dem Unternehmen schon länger nicht mehr. Nach einer Insolvenz im Jahr 2009 wanderte es durch die Hände mehrerer Finanzinvestoren, zuletzt der Süddeutschen Beteiligungs GmbH.
Mit dem Einstieg von Prevent aber brach rasch ein neuer Konflikt mit VW los. Im März kündigte der Konzern die Lieferverträge mit Car Trim und ES Automobilguss, jenen beiden Prevent-Töchtern, die 2016 einen Produktionsstopp in Wolfsburg ausgelöst hatten. VW hatte beschlossen, sich von dem renitenten Zulieferer endgültig loszusagen – ein Schritt, der in der Branche niemanden mehr überraschte. „Wir haben das reaktive Risikomanagement verstärkt“, heißt es bei Volkswagen.
Doch mit NHG kontrollierte Prevent nun einen weiteren VW-Zulieferer, der bald neue Preisforderungen stellte. Wie hoch die ausfielen, ist umstritten. Bei Volkswagen ist von Preisen bis zum Zehnfachen des Marktüblichen die Rede, bei Prevent heißt es, es sei in einigen Fällen um das Fünffache gegangen. Einzelne Lastwagen, die VW beliefern sollten, mussten den Hof in Saarbrücken unverrichteter Dinge wieder verlassen. Bei Prevent heißt es, VW habe sich zunächst geweigert, die höheren Preise zu bezahlen. Den exorbitanten Anstieg erklärt das Unternehmen damit, dass der VW-Konzern angekündigt habe, nur noch bis Mitte des Jahres NHG-Produkte zu beziehen. Darauf habe man reagieren müssen.
In der NHG-Belegschaft herrschte zu diesem Zeitpunkt allerdings schon die nackte Angst. In einem Fragenkatalog ans Management wurden der Lieferstopp und die Preiserhöhungen thematisiert und gefragt, ob künftig noch Aufträge von VW zu erwarten seien. „Sind unsere Standorte und Arbeitsplätze langfristig abgesichert?“, fragten die Arbeitnehmer. Geschäftsführer Alexander Gerstung brachte in einem sechsseitigen Antwortschreiben „Verwunderung“ zum Ausdruck – und schrieb an anderer Stelle sogar, ihm platze der Kragen. Immerhin räumte er ein, dass der Erhalt der Standorte und Arbeitsplätze keineswegs gesichert sei. „Es findet derzeit eine seitens einiger Auftraggeber aus dem Automobilbereich forcierte Bereinigung von Fertigungskapazitäten am Markt statt“, schrieb Gerstung – ein kaum verhohlener Verweis auf VW. „Die NHG soll hier ausgesteuert werden.“ Am Ende fordert der Geschäftsführer die IG Metall auf, sich statt an ihm doch besser an Volkswagen abzuarbeiten.
Gerstung gehört zu einer Riege von Managern, deren Namen bei Prevent immer wieder auftauchen. Bei ES Automobilguss wird er nach wie vor als Chief Operating Officer geführt. Auch andere Mitglieder der neuen Geschäftsführung sind alte Bekannte. Barbaros Arslan begleitete den von Prevent übernommenen Küchenhersteller Alno in die Insolvenz und leitet die Parramatta Capital Holding, die an der Übernahme von Car Trim beteiligt war. Der Dritte im Bunde, Rogerio Goncalves, war bereits bei mehreren Beteiligungsgesellschaften und Prevent-Töchtern aktiv. Es ist ein All-Star-Team, wenn man so will.
Da bei NHG bald von einer Schließung des Werks in Leipzig und 300 zu streichenden Stellen in Saarbrücken die Rede war, ging die Belegschaft in den Ausstand. Die Produktion stand still, wichtige Kunden wie Deutz konnten nicht mehr beliefert werden, vor dem Werkstor sangen die Streikenden ein Lied: „Geld wär’ für uns alle da, keiner schiebt uns weg! Holt’s zurück aus Panama, keiner schiebt uns weg!“ Ende Juli wurde ein Schlichter beauftragt, einen Sozialtarifvertrag auszuhandeln. Das Vertrauen in eine langfristige Strategie der Geschäftsführung ist gering. „Wir haben nicht gesehen, dass etwas für die Zukunft des Unternehmens getan würde“, sagt IG-Metall-Vertreter Selzer. Besonders misstrauisch hat die Belegschaft gemacht, wie mit einer wertvollen Beteiligung von NHG verfahren wurde.
Ein Umhängen in der Gruppe
Bereits 2015 hatte das Unternehmen die auf Lkw-Motorblöcke spezialisierte südafrikanische Gießerei Atlantis Foundries übernommen, mit dem erklärten Ziel, sich stärker auf Nutzfahrzeuge zu konzentrieren. Die neuen Gesellschafter aber ließen sich als eine ihrer ersten Amtshandlungen die Anteile an Atlantis Foundries als Dividende ausschütten. De facto hat das Werk in Südafrika nun nichts mehr mit NHG zu tun, sondern gehört den Hastors. Als ein bloßes „Umhängen innerhalb der Unternehmensgruppe“ bezeichnet das ein Prevent-Sprecher: „Es bleibt ja beim gleichen Eigentümer.“ Synergien für NHG seien ohnehin nicht erkennbar gewesen. Im Effekt aber wurde Wert aus dem Unternehmen abgezogen.
Nach Einschätzung von Brancheninsidern gibt es noch einige Übernahmekandidaten, mit denen sich VW unter Druck setzen ließe. Hinzu kommt, dass sich die Lage in der Branche ändert. „Es zeichnet sich eine Konsolidierung bei den Zulieferern ab“, sagt Bain-Partner Kalmbach. „Der verfügbare Profitpool verschiebt sich zu einer kleineren Zahl von Unternehmen, auch aufgrund des Wandels hin zur Elektromobilität.“ Viele Bauteile werden in den E-Autos der Zukunft nicht mehr gebraucht. Das setzt Traditionsunternehmen wie NHG zusätzlich unter Druck. Und könnte Übernahmen durch finanzstarke Beteiligungsgesellschaften wie Prevent leichter machen. Irgendein blumiger Name für ein Investmentvehikel wird sich schon finden.