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Kommentar Wie krass ist die Welt?

In Davos erlebt man ein zuweilen ratloses Stakkato der Welterklärung. Aber hilft das auf Dauer weiter? Von Horst von Buttlar
Sicherheit wird groß geschrieben beim Weltwirtschaftsforum in Davos
Sicherheit wird groß geschrieben beim Weltwirtschaftsforum in Davos
© Getty Images
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Horst von Buttlar ist Chefredakteur von Capital

Schon morgens, die Sonne ist kaum über die Davoser Berge gekrochen, kann man hier überall Menschen beobachten, die irgendwo vor einer Kamera im Schnee stehen und wild fuchtelnd die Welt erklären. Eine Welt, aus der auf uns so viel einzuprasseln scheint, dass man sie nur noch atemlos im Schlagwortstakkato in Worte fassen kann: Ukraine, China, ISIS, Charlie Hebdo, QE, EZB, Japan, Deflation, Inflation. Und während die Welterklärer im Schnee oder auf Podien noch erklären, seufzt man kollektiv mit hängendem Kopf über die großen, wirtschaftlichen und geopolitischen Risiken, die uns alle bedrohen und bedrücken.

Ja, die Welt ist aus den Fugen, wie Frank-Walter Steinmeier schon vor einigen Monaten bemerkte. Anders gesagt: Die Welt ist scheinbar krass geworden – und gerade auf dem Weltwirtschaftsforum, wo sich diese Woche die Weltelite trifft, schwingt diese Krassheit in fast jeder Runde mit. „Immer wenn ich aus Davos zurückkomme, bin ich ganz deprimiert“, witzelte Google-Chairman Eric Schmidt am Donnerstag auf einem Abendempfang – und hielt mit sprühendem Optimismus dagegen.

Die Welt, das zeigt sich ebenfalls in Davos, scheint nämlich in zweifacher Hinsicht krass geworden zu sein: Neben den geopolitischen Risiken, die den Globus umpflügen, gibt es noch die digitale Disruption, die unser Leben umpflügt, Märkte, Branchen und Unternehmen verändert, zerstört und schafft. Die Krassheit Nr. 1 stimmt die meisten sehr pessimistisch, die Krassheit Nr. 2 – bei allen Ängsten um Arbeitsplätze und Wohlstand – eher optimistisch. Schließlich wird die Digitalisierung mit ihren disruptiven Kräften noch so viele Technologien und Innovation hervorbringen, von denen wir heute nicht einmal ahnen.

Das Problem an diesen Welt-aus-den-Fugen-Erklärungen ist, dass sie vor allem ein diffuses Gefühl der Ohnmacht erzeugen und weniger pragmatische Erkenntnisse: Ja, ganz schön viel los in der Welt, kann man nur beipflichten. Und was machen wir jetzt?

Eine Notenbank kann die ganze Welt kaufen

Wir simulieren zum einen Stärke, Allmacht gegen Ohnmacht: „Eine Notenbank kann theoretisch die ganze Welt kaufen“, sagte vergangene Woche etwas trotzig ein Schweizer Ökonom, nachdem seine Zentralbank aufgehört hatte, den Wechselkurs des Franken zu verteidigen. Man denke diese theoretisch richtige Aussage zu Ende: Nein, die Schweizer Notenbank hat nicht kapituliert, sie hat alles unter Kontrolle (so wie die EZB und die US-Notenbank Fed auch). Wenn aber alle Zentralbanken zur Not die Welt kaufen können, müssten sie sich irgendwann gegenseitig verschlingen - dann könnte die EZB auch die Fed kaufen und umgekehrt. Das ultimative Whatever it takes. Aber wer ist angesichts solch fiktiver Allmächtigkeit wirklich beruhigt? Das Absurde an dem Gedankenspiel zeigt, dass wir Kontrolle und Macht inzwischen simulieren müssen.

Und bringen diese gigantischen Interventionen wenigstens die Rettung? Wenn man Banker befragt, ob sie an einen Erfolg von Mario Draghis neuer Super-Bertha glauben, winken viele ab. „Give me a break“, sagt ein Top-Banker, „das Geld kommt uns doch jetzt schon aus den Ohren raus.“ Aber die Erwartungen seien so hoch und intensiv gewesen, dass die EZB quasi gezwungen war sie zu erfüllen. Sehen so Allmächtige aus?

Das ist nicht das Ende der Welt

Vieles spricht dafür, dass wir diese Krassheit, die uns umgibt, wieder besser und kühler analytischer zerteilen müssen – sonst hat man irgendwann ein Bild im Kopf, dass Ebola-infizierte ISIS-Kämpfer in der Ukraine einfallen und Karikaturisten und den Euro gleich mit auslöschen. Wir spüren dann eine diffuse Bedrohung, in der sich alles mischt zu einem: It’s the end of the world as we knew it. Das Ende der Welt wird am laufenden Band verkündet.

Dabei hat jede Krise ihren eigenen Charakter – und verlangt ein anderes Krisenmanagement: ISIS ist eine neuartige Gefahr, eine brutale und grausame. Im Kampf gegen den Gottesstaat gibt es erste Fortschritte – aber die Auseinandersetzung wird lange dauern.

Ebola war ein entsetzlicher Seuchenausbruch, wie er immer wieder vorkommt (und er scheint aufs erste gestoppt). Der Konflikt mit Russland aber ist eine klassische diplomatische Krise, eine tiefe, vielleicht sogar epochale - und für die Lösung gibt es die Diplomatie. Was bringt es, dauernd das Ende vom Ende des Kalten Krieges auszurufen? Abgesehen davon: War 2011, als wir Fukushima und den arabischen Frühling erlebten, nicht auch schon krass, die Welt nicht viel mehr aus den Fugen? Und was ist mit 2008 (Lehman) oder 1989? Das Stakkato der atemlosen Welterfassung ist immer auch eine Übertreibung – man kann nicht erkennen, dass 2014 oder 2015 einen solchen Schub an Extremen gebracht hat, den unser Gehirn nicht mehr verarbeiten kann.

Raus aus der Komfortzone

Die Disruption der Wirtschaft dagegen hat mit diesen Krisen nichts zu tun – und sie fegt nicht nur über unsere Köpfe hinweg. Ihre Kräfte sind groß, aber steuerbar, es gibt hier Gestaltungsspielraum. Wir müssen nicht automatisch Getriebene sein. Hier dürfen wir gar nicht zulassen, dass wir das einfach nur krass finden, was Uber, Airbnb und all die anderen mit uns und für uns machen. Und wir dürfen nicht zulassen, dass Amazon und Facebook uns mit ihren Datenbanken erschlagen. Jedes Unternehmen muss sich eine Art disruptiven Ausschnitt bilden: Wie wird unser Geschäftsmodell angegriffen und durch wen? Und was können wir, was sind unsere Fähigkeiten – und wie müssen wir uns neu aufstellen?

Das eigentlich Krasse an solchen Analysen ist dann oft nur der Bruch mit dem alten Geschäftsmodell, den alten Gewohnheiten, der Komfortzone, in der Cash immer in Strömen vorhanden war. Und irgendwann sehen wir dann eher die Chancen der Technologie, wie sie unser Leben verändert und verbessert.

Wir müssen die Welt weniger krass finden, um nicht in ohnmächtigen Pessimismus zu versinken.

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