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Kryptowährungen Wie ein Landwirt Putin mit einer Kryptowährung herausfordert

Der russische Bauer Michail Schljapnikow hat schon mit einer parallelen Papierwährung experimentiert. Sie wurde 2015 beschlagnahmt.
Der russische Bauer Michail Schljapnikow hat schon mit einer parallelen Papierwährung experimentiert. Sie wurde 2015 beschlagnahmt.
© IMAGO
Russlands Präsident will virtuellen Währungen im Sommer Zügel anlegen. Seine Beamten beobachten auch Michail Schljapnikow, der mit dem „Kolion“ einen verarmten Landstrich südöstlich von Moskau vom Rubel befreien will.

Für Michail Schljapnikow ist klar, wie er der kränkelnden Dorfwirtschaft wieder auf die Beine hilft: Sie muss sich finanziell von Moskau befreien. Der Bauer hat die Kryptowährung Kolion geschaffen – genannt nach seinem Weiler rund 130 Kilometer südöstlich von Moskau, der dank in- und ausländischer Anlagen von einer halben Million Dollar eine neue Blüte erleben soll.

Seit die Parallelwährung vergangenes Jahr an den Start ging, mausert sie sich in dem Dorf Kolionowo und den umliegenden Städten zum bevorzugten Zahlungsmittel – für Milch ebenso wie für Traktoren. „Viele Rubel begegnen Ihnen hier nicht“, sagt Schljapnikow in seinem Holzhaus. „Wir haben hier unser eigenes Land und unsere eigene Währung. Wir kommen ganz gut alleine klar.“

Wie viele andere Länder ist Russland hin- und hergerissen, ob es Kryptowährungen verbieten oder umarmen soll. Bis zum Sommer will Präsident Wladimir Putin dem unregulierten Geschäft mit virtuellen Währungen Zügel anlegen. Seine Beamten beobachten auch Schljapnikows Experiment, um zu verstehen, wie Kryptowährungen funktionieren. In diese Regulierungslücke stieß der selbsterklärte Agro-Anarchist mit einem beispiellosen Test zur Selbstversorgung in dieser von Moskau lange vernachlässigten Gegend.

Müllmänner mit "Kolion" bezahlen

Dabei ist der Landwirt ein Produkt der Spaltung Russlands zwischen wohlhabenderen Städten und isolierten ländlichen Gemeinden. Erlöse aus dem Erdgas- und Ölgeschäft trugen Jahrzehnte zur Entstehung einer urbanen Mittelschicht bei. Sie kauft importierte Technologie und macht Ferien im Ausland. In abgehängten Dörfern grassiert Armut, die Infrastruktur verkommt, die öffentliche Hand zieht sich zusehends zurück, immer mehr Menschen ziehen weg.

In der Gegend von Kolionowo ist Schljapnikow, ein stämmiger Mann mit eisgrauem Backenbart, als Onkel Misha bekannt. Er will den Kolion verbreiten, damit alle Anrainerkommunen Dienstleistungen wie Schneeräumen und Müllabfuhr damit unter sich begleichen können. Fast einhundert Nutzer habe er zusammen, sagt er, meist für den Ein- oder Verkauf von Gemüse und Milchprodukten. Er will Handel mit digitaler Währung zwischen Personen und ohne Zentralbanken, Banken oder Geldpolitiker.

So vergibt er Dolion-Darlehen an aufstrebende Bauern, denen er Starthilfe mit Brutkästen und Küken gibt. Wenn die groß sind, legen sie Eier, von denen die Hälfte an Schljapnikow geht. Einzige Bedingung: Alle Geschäfte werden in Kolionen abgewickelt. „Banken wollen Kleinbauern nichts leihen“, sagt der Krypto-Anarchist. „Also haben wir unsere eigene Währung geschaffen.“ Persönlich schlage er daraus keinen Profit sagt er. Sein Lebensstil ist bescheiden.

Rubel-Verfall schürt Lust auf Experimente

Auch in anderen ärmeren Landstrichen, wo Russen keine Aussicht auf einen bezahlbaren Kredit haben, ist die Taktik neuerdings populär. Banken bemühen sich zwar, den ländlichen Raum besser zu erreichen. Die russische Post eröffnete 2016 eine eigene Bank. Aber Privatkunden zahlen oft mehr als zehn Prozent Zinsen.

In den Wirren nach dem Fall der Sowjetunion waren in Russland schon viele Versuche mit alternativen und traditionellen Finanzinstrumenten gescheitert. Man denke an Gutscheine, die Sowjetfabriken an ihre Arbeiter verteilten, oder das große MMM-Schneeballsystem der 1990er Jahre. Mit dem Erfolg von Kryptowährungen wächst auch neues Interesse, das Geld unabhängig vom staatlichen Geldsystem im Dorf zu lassen – und dem volatilen Rubel den Rücken zu kehren. Der hat seit 2014 aufgrund des Ölpreisverfalls die Hälfte an Wert verloren.

„Onkel Misha ergreift seine Chance“, sagt Joann Woronin, ein Experte für Kryptowährungen und Gründer der Handelsplattform Tradisys. „Als er den Kolion gestartet hat, war das Interesse von Krypto-Investoren groß, und er bemüht sich, die Währung in die Realwirtschaft zu integrieren.“

Als digitales Zahlungsmittel haben Kryptowährungen einen wahren Boom erlebt. Mit ausgeklügelter Verschlüssungstechnik wird ein dezentrales und sicheres System ohne Bargeld geschaffen. Am bekanntesten sind Bitcoin, Ethereum, Ripple & Co. Der Kurs des Kolion hat seit dem Start ähnliche Höhen und Tiefen durchlebt wie Bitcoin. Aber Schljapnikow lässt sich nicht beirren. „Im Handel gibt es immer Schwankungen, aber am Ende wirst du damit in Kolionowo immer Milch oder Fleisch kaufen können.“

Sein Wunsch an Putin: Lass uns einfach machen

Ein ehemaliger Kolchosenbauer, der sich dem Kreislauf angeschlossen hat, ist Igor Lewitin. Er besitzt zwei Ziegen und 300 Hühner, die er alle mit der Parallelwährung erstanden hat. Ein Teil des Darlehens habe er in Hühnern bekommen, sagt er. Schljapnikow kassiert nun seinen Teil Eier, den Rest kann Lewitin für Rubel oder Kolione verkaufen. „Wenn Du in der Wildness lebt, versuchst Du es sogar mit Kryptowährungen,“ sagt er. Schljapnikow habe einen gebrauchten Traktor für 4500 Kolion erstanden. Der hätte ungefähr 10 000 Dollar gekostet.

An den Kreml richtet der findige Landwirt den Wunsch, ihn sein Experiment fortführen zu lassen. Er hat kein Interesse, irgendwelches Recht zu brechen. Schon 2015 stoppten die Behörden seinen Versuch, in der Gegend ein eigenes Papiergeld einzuführen – ebenfalls Kolion genannt. Sein Wert war an ein Kilogramm Kartoffeln gebunden.

Nachdem die örtlichen Behörden davon Wind bekamen, sprach ein Staatsanwalt ein Verbot aus, mit der Begründung, die russische Verfassungsordnung würde gefährdet. Die Scheine wurden beschlagnahmt und der Erschaffer musste eidesstattlich versichern, sie nicht mehr als Zahlungsmittel zu nutzen. „Deshalb kam mir die Gelegenheit einer Kryptowährung gerade recht“, sagt Schljapnikow heute. „Die Regulierungslücke habe ich ausgenutzt.“

Copyright: Wall Street Journal 2018

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