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Kommentar Wer hat Angst vor dem Ausstieg?

Der Abschied der Fed von der ultralockeren Geldpolitik löst weltweit große Besorgnis aus. Dabei sind die Folgen dieses Schritts beherrschbar. Von Koichi Hamada

Der allmähliche Ausstieg der US Federal Reserve aus der sogenannten quantitativen Lockerung – den unbegrenzten Ankäufen langfristiger Wertpapiere – bereitet den Finanzmärkten und politischen Entscheidungsträgern Sorge: Es wird vor einer Kapitalflucht aus den Entwicklungsländern gewarnt, und kollabierende Vermögenspreise dominieren die politischen Diskussionen weltweit. Weil aber die meisten großen Volkswirtschaften mit flexiblen Wechselkursen arbeiten, sind diese Bedenken zumeist ungerechtfertigt.

Die Logik hinter der Angst vor dem Fed-Ausstieg aus der quantitativen Lockerung liegt auf der Hand. Die unkonventionelle Währungspolitik in den Vereinigten Staaten – und in anderen Industrieländern, vor allem im Vereinigten Königreich und Japan – hat die Zinssätze im Inland gesenkt, während sie die internationalen Finanzmärkte mit Liquidität überschwemmt hat. Auf der Suche nach höheren Erträgen steckten die Investoren das Geld – vor allem in Form von kurzfristigem spekulativem Kapital („heißem“ Geld) – in die Schwellenländer, wo die Wechselkurse zwangsläufig stiegen und das Risiko von Spekulationsblasen zunahm. Daher wäre der Ausstieg der Fed aus der quantitativen Lockerung von einer Umkehrung der Kapitalflüsse begleitet, was die Kreditkosten in die Höhe triebe und das BIP-Wachstum behinderte.

Koichi Hamada ist wirtschaftlicher Sonderberater des japanischen Premierministers Shinzo Abe, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Yale sowie Professor Emeritus für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Tokio
Koichi Hamada ist wirtschaftlicher Sonderberater des japanischen Premierministers Shinzo Abe sowie Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Yale University
© Project Syndicate

Natürlich sind gemäß dieser Logik nicht alle Schwellenländer gleich anfällig. Zu den am stärksten gefährdeten Ländern gehören die Türkei, Südafrika, Brasilien, Indien und Indonesien, die sogenannten „Fragile Five“, die alle durch gleichzeitige Haushalts- und Leistungsbilanzdefizite, hoher Inflation und stockendem BIP-Wachstum gekennzeichnet sind.

Diese Logik wäre korrekt, wenn es auf der Welt ein System fester Wechselkurse gäbe, wo die Regierungen den offiziellen Wechselkurs an die Währung eines anderen Landes oder an den Goldpreis binden. Unter diesen Bedingungen hätte die Geldmengenkontraktion (oder langsamere Expansion) eine rezessive (oder weniger stimulierende) Wirkung auf andere Volkswirtschaften.

Fortsetzung der lockeren Geldpolitik wäre problematisch

Bei flexiblen Wechselkursen jedoch würde die Geldmengenkontraktion in einer großen Volkswirtschaft andere Volkswirtschaften kurzfristig stimulieren, während eine Geldmengenexpansion ihrer Leistung schaden würde. (Selbstverständlich kann die Geldmengenexpansion mittel- oder langfristig die Produktion und den Handel im Inland steigern, wodurch positive Ausstrahlungseffekte erzeugt würden.)

Nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008 löste die rasche Expansion der Geldmenge in den USA und im Vereinigten Königreich einen starken Anstieg des japanischen Yen und der Währungen einiger Schwellenländer aus. Kurz gesagt: Die quantitative Lockerung sollte Anlass zur Sorge sein – nicht ihre Beendigung.

Selbstverständlich könnte die Umkehrung der Fed-Politik Ländern schaden, die feste Wechselkurse haben – oder wie China „kontrolliertes Floating“ betreiben. Auch könnten schwächere Volkswirtschaften der Eurozone leiden, wie Griechenland und Spanien, die einen stärkeren geldpolitischen Impuls vorzögen, als ihre wettbewerbsstärkeren Partnerländer in Europa zu akzeptieren bereit sind. Doch da sich diese Volkswirtschaften für einen festen Wechselkurs entschieden haben, kann die Fed nicht wirklich für die Konsequenzen verantwortlich gemacht werden.

Vorwurf des Währungskriegs

Tatsächlich sollte der Fed – und anderen Industrieländer-Zentralbanken – auch nicht die Schuld an den negativen Folgen der Geldmengenexpansion gegeben werden. Japans forsche quantitative Lockerung beispielsweise war ein entscheidender Bestandteil von Premierminister Shinzo Abes Strategie, die japanische Wirtschaft nach über einem Jahrzehnt aus der Rezession herauszuholen – und sie hat zu einer bemerkenswerten Erholung geführt.

Das Problem ist, dass die Politik auch eine Abwertung des Yen verursacht hat, was dazu führte, dass benachbarte Länder Japan vorwarfen, eine „Beggar-thy-neighbor-Politik“ zu verfolgen. Ebenso warnten Funktionäre aus den Schwellenländern, dass die Geldmengenexpansion in den USA und in Großbritannien eine Welle der wettbewerbsbedingten Währungsabwertungen auslösen würde. Dabei ging der brasilianische Finanzminister Guido Mantega so weit, der Fed und der Bank of England einen echten „Währungskrieg“ vorzuwerfen.

Doch obwohl es stimmt, dass derartige expansive Politiken eine rezessive Wirkung auf andere Volkswirtschaften haben können, zeigt die moderne Theorie der internationalen Finanzwissenschaften, dass das Konzept eines „Währungskrieges“ ein Mythos ist. Tatsächlich produzieren wettbewerbsbedingte Abwertungen keine unerwünschten Ungleichgewichte. Im Gegenteil, sie können die Erholung in teilnehmenden Volkswirtschaften fördern.

Schwellenländer müssen Hausaufgaben machen

Tatsächlich waren Währungsabwertungen entscheidend an der Beendigung der Großen Depression beteiligt. Wie Barry Eichengreen und Jeffrey Sachs 1984 nachwiesen, hatte das Ende des Goldstandards zwar unmittelbar negative Auswirkungen, trieb jedoch bald die Erholung voran, und die Länder, die ihre Währungen als Erste abwerteten, überwanden die Depression früher als andere.

Ein Land mit flexiblem Wechselkurs kann die rezessive Wirkung der quantitativen Lockerung eines Nachbarlandes mithilfe seiner eigenen unabhängigen Geldpolitik ausgleichen – anhand sorgfältig ausgewählter Inflationsziele. Übernähmen alle Länder diesen Ansatz, würde die gesamte Weltwirtschaft davon profitieren.

Wenn die Fed an der Ankurbelung der Wirtschaft im Inland arbeitet, erfüllt sie lediglich ihren Auftrag, wie andere Zentralbanken in Industrieländern auch. Anstatt sich über ihr Handeln zu beschweren, sollten die Entscheidungsträger aus den Schwellenländern Strategien entwerfen, um die Ausstrahlungseffekte auf ihre eigenen Volkswirtschaften auszugleichen. Schließlich verfügen sie über die Instrumente dazu.

Aus dem Englischen von Anke Püttmann

© Project Syndicate 1995–2014

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