Gideon Rachman ist Kolumnist der Financial Times. Er schreibt über Wirtschaft und Politik (Foto: Interfoto)
Wenn eine Moskauer Bekannte von mir erklären möchte, wie ihre Landsleute den Krieg in der Ukraine bewerten, dann nutzt sie dafür einen hübschen Vergleich. Sie nennt es einen "Wettstreit zwischen Fernseher und Kühlschrank". Der Fernseher heizt die russischen Gefühle an - indem er die Geschichte eines patriotischen Kampfes gegen die angeblich faschistische Ukraine und die Intrigen des Westens erzählt. Der Kühlschrank hingegen sorgt für Ernüchterung, weil er immer leerer wird und das, was noch darin ist, immer teurer eingekauft werden muss.
Dieser Wettstreit der Geräte spiegelt sich mittlerweile auch in den Meinungsumfragen. 44 Prozent der Russen betrachten Amerika jetzt als den Feind, vor dem Beginn des Konflikts waren es nur vier Prozent. Zugleich aber sind nur noch 19 Prozent der Ansicht, dass die Ukraine ein Teil von Russland sein sollte. Im März vergangenen Jahres war es noch die Hälfte der Befragten.
Entbehrung hat keinen Charme
Sollte der Krieg in der Ukraine wieder voll ausbrechen, dann wird der Kampf um die Wahrnehmung der Russen weiter gehen. Und dass es dazu kommt, ist alles andere als ausgeschlossen. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel, die das jüngste Abkommen für eine Waffenruhe in Minsk mit ausgehandelt hat, spricht nur von einem "Hoffnungsschimmer".
Wenn die Russen und ihre Handlanger wieder zum Angriff übergehen, werden wieder die Klagen darüber anheben, wie die durchtriebene Führung von Präsident Wladimir Putin den willensschwachen Westen am Nasenring durch die Manege führt. Dabei wird eins vergessen: Es mag sein, dass Moskau militärisch und diplomatisch im Vorteil ist. In anderen entscheidenden Fragen aber ist es schwach und wird immer schwächer. Die Leere der russischen Kühlschränke ist ein Symbol dafür, dass die Wirtschaft des Landes in einer schweren Krise steckt. Und das könnte letzten Endes auch das russische Kalkül ändern.
Putin hat die aktuelle Lage immer wieder mit dem Großen Vaterländischen Krieg gegen Nazi-Deutschland verglichen und damit auch die Behauptung aufgestellt, dass sein Volk bereit ist, für den Sieg alle Arten von Entbehrungen auf sich zu nehmen. Doch darin könnte er sich irren. Natürlich ist Russland keine funktionsfähige Demokratie, weshalb Unmut in der Bevölkerung nicht unmittelbar den Druck auf die Regierung erhöht. Aber Putin weiß selbst, dass er auch deshalb großes Ansehen in der Bevölkerung erlangte, weil seine Herrschaft mit dem Versprechen eines steigenden Lebensstandards einherging. Entbehrung und Isolation aber haben deutlich weniger Charme.
Gefährliche Eskalation
Die Sätze eines Russen mittleren Alters, die ich unlängst hörte, unterstreichen das: "Wer in der Sowjetunion gelebt hat, weiß, was es heißt, sich nur von Kartoffeln zu ernähren. Die Jungen haben keine Ahnung, was das bedeutet." Bei den ersten Mangelerscheinungen, die sogar in Moskauer Supermärkten jetzt zu beobachten sind, kommt der merkwürdige Umstand hinzu, dass die russische Seite sie sich selbst zuzuschreiben hat. In einer Reaktion auf die Sanktionen des Westens, hatte Moskau viele Lebensmittelimporte aus der EU eingeschränkt.
Putin hat ein Interesse daran, den Konflikt in der Ukraine zu einem militärischen Kräftemessen zu machen und nicht zu einem ökonomischen. Denn im militärischen Vergleich hat er die zweifellos besseren Karten. Die ukrainischen Streitkräfte sind hoffnungslos unterlegen. Wie Merkel festgestellt hat, kann der Westen gar nicht so viel Waffen zur Verfügung stellen, dass diese militärische Unterlegenheit überwunden werden könnte. Schlimmer noch: Wenn westliche Waffenlieferungen die russische Seite ihrerseits zu einer Eskalation treiben, wären weitere militärische Niederlagen der Ukrainer die Folge. Und das wiederum würde den Druck auf den Westen erhöhen weiter aufzurüsten. Ein gefährlicher Weg, den Moskau viel eher bereit ist zu gehen als Berlin oder Washington.
Statt also Russland da zu konfrontieren, wo es vergleichsweise stark ist, nämlich auf dem Schlachtfeld, ist es viel sinnvoller, das Land an seinem schwachen Punkt anzugreifen: bei der Wirtschaft. Der Westen sollte demonstrativ weitere Runden von Wirtschaftssanktionen vorbereiten, die eingeleitet werden können, wenn Moskau die Kämpfe wieder anfacht.
Politik der "strategischen Geduld"
Und auch da, wo der Westen Druck ausübt, sollte der Westen immer darauf achten, ob man sich mit Moskau in bestimmten Punkten einigen kann. Man muss akzeptieren, dass Russland legitime russische Sicherheitsinteressen in der Ukraine hat. Die kulturellen Unterschiede zwischen den westlichen und den östlichen Teilen des Landes sollten auch in der politischen Verfassung der Ukraine ihren Niederschlag finden. Allerdings ist es absolut nicht akzeptabel, wenn Russland seine Ziele verfolgt, indem es in der Ukraine militärisch interveniert. Solange das so ist, ist eine Konfrontation mit dem Westen nicht zu vermeiden.
Es ist unwahrscheinlich, dass Sanktionen einen raschen Sinneswandel im Kreml bewirken. Aber die russische Aggression und die Reaktion darauf sind ohnehin Dinge, die uns noch sehr lange beschäftigen werden. Wenn es einen Fall gibt, an dem sich die von US-Präsident Barack Obama verkündete Doktrin der "strategischen Geduld" testen lässt, dann ist es der Konflikt mit Russland.
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