In den letzten neun Jahren verdiente Jessica Tucker 7,50 Dollar pro Stunde in einer Großwäscherei in Greeneville, Mississippi, die für mehrere Krankenhäuser in dem Bundesstaat sowie in den Nachbarstaaten Louisiana und Arkansas arbeitet. Selbst zu normalen Zeiten ist es ein sehr anstrengender Job. Die rund 100 Angestellten, die meisten von ihnen Afroamerikaner, waschen und sortieren schmutzige Wäsche in einem feuchten, schlecht belüfteten Raum, der anfällig für Wassereinbrüche ist.
Als das Coronavirus Mississippi Anfang März zum Shutdown seiner Wirtschaft zwang, wurden Tucker und ihre Kolleginnen und Kollegen als unentbehrliche Arbeitskräfte eingestuft. Das bedeutete, dass sie sich weiterhin zur Arbeit melden mussten. Doch die Wäschereifirma habe nur wenige zusätzliche Vorkehrungen getroffen, um ihre Sicherheit zu gewährleisten, sagt Tucker: Abstandsregeln seien nicht durchgesetzt worden, und die Beschäftigten hätten ihren eigenen Mundschutz und Einweghandschuhe kaufen müssen.
Nun fürchten sie, dass sie sich an den Laken, die täglich blut-, kot- und urinbefleckt angeliefert werden, mit dem Virus anstecken. „Die Leute sagen, es sei ein Segen, zu arbeiten, aber es ist ein Risiko“, sagt die 41-jährige Tucker. „Wir haben Familie, und wir wären lieber zu Hause, so wie alle anderen, die in Quarantäne sind.“
Als in den USA als Reaktion auf den Tod von George Floyd am 25. Mai Unruhen ausbrachen, wurde die Wut über die Brutalität der Polizei auch durch ein schwelendes Gefühl der Ungerechtigkeit bei den Auswirkungen des Coronavirus geschürt. Nicht nur, dass Schwarze in unverhältnismäßig hoher Zahl an der Krankheit gestorben sind: Es gibt auch erste Anzeichen dafür, dass sie die Hauptlast der wirtschaftlichen Folgen tragen werden.
Dass schwarze Arbeitnehmer in als systemrelevant erachteten Berufen, wie z.B. im öffentlichen Verkehrswesen und im Gesundheitswesen, überrepräsentiert sind, ist nur ein Grund dafür, dass die afroamerikanische Gemeinschaft von der schlimmsten Pandemie der Neuzeit so hart getroffen wird. Eine tiefgreifende Ungleichheit beim Zugang zur Gesundheitsversorgung, eine hohe Armutsrate und beengte Lebensbedingungen haben dazu geführt, dass das Virus besonders für Farbige tödlich ist.

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„Sie haben benachteiligte Menschen mit unterdurchschnittlichem Zugang zur Gesundheitsversorgung und unterdurchschnittlichen Finanzen, eine Bevölkerung, die nur darauf wartet zu explodieren“, sagt Chad Ricks, Pfarrer und Krankenpfleger, der ein staatliches Covid-19-Krankenhaus in Kalifornien leitet. „Dann haben Sie eine Krankheit, die die die Schwarzen und Braunen am schlimmsten trifft. Ich glaube, sie hat die Situation noch verschlimmert. Es ist eine üble Suppe.“
Eine kürzlich durchgeführte Studie des APM-Forschungslabors ergab, dass die Sterblichkeitsrate durch das Coronavirus 2,6-mal höher ist als bei Weißen. In den USA sind fast 22.000 Schwarze an dem Coronavirus gestorben, was etwa einem Viertel der Gesamttodesfälle entspricht, obwohl sie laut APM nur etwa 13 Prozent der Bevölkerung ausmachen. 13.000 Schwarze wären noch am Leben, wenn die Sterblichkeit genauso wäre wie bei den weißen Amerikanern.
„Nichts von dem, was wir hier sehen, sollte uns überraschen“, sagt Valerie Wilson, Ökonomin der Denkfabrik Economic Policy Institute, die eine Analyse über die Auswirkungen des Virus auf Afroamerikaner veröffentlicht hat. „Wenn man diese Ungleichheiten über die Generationen hinweg aufmerksam verfolgt, kann man fast vorhersagen, wie sich jede Krise entwickeln wird.“
Tucker sagt, sie und ihre Mitarbeiter in der Wäscherei seien „sehr besorgt“ wegen der Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus und sie fügt hinzu, dass sich ein Mitarbeiter vor dem Corona-Ausbruch eine Staphylokokkeninfektion von einem Stapel schmutziger Laken eingefangen habe. „Sie sagen, wir sind unentbehrliche Arbeitskräfte, aber wir werden nicht extra dafür bezahlt, dass wir unser Leben aufs Spiel setzen.“
Die Community ist skeptisch
Der Hauptfaktor für die hohe Covid-19-Mortalitätsrate unter Afroamerikanern ist der hohe Prozentsatz von Schwarzen, die unter Vorerkrankungen leiden, die es schwerer machen, das Virus zu überleben. Schwarze Menschen sind 1,7-mal häufiger an Diabetes erkrankt als Weiße und leiden 1,4-mal häufiger an Bluthochdruck, so das National Center for Health Statistics.
Die hohe Zahl von Geringverdienern führt zu niedrigeren Krankenversicherungssätzen bei denjenigen, die den Mindestlohn verdienen und nicht von Medicaid profitieren, dem öffentlich finanzierten Gesundheitsprogramm für sehr arme Menschen. Diese „Deckungslücke“ ist besonders groß in einigen südlichen Bundesstaaten wie Alabama und Mississippi, die sich geweigert haben, Medicaid aufzustocken, nachdem Präsident Barack Obama 2010 seine Gesundheitsreform unterzeichnet hatte.
Laut einer Datenanalyse aus der American Community Survey, einer fortlaufenden Studie des US Census Bureau, sind 12,3 Prozent der schwarzen Arbeiter nicht versichert, gegenüber 7,5 Prozent der Weißen. „Wenn Sie nicht versichert sind, ist es wahrscheinlicher, dass Sie erst dann Hilfe suchen, wenn Sie sehr krank werden“, sagt EPI-Ökonomin Wilson.
Catherine Flowers, Gründerin des Center for Rural Enterprise and Environmental Justice aus Alabama, sagt, es gebe auch ein „tiefes Misstrauen gegenüber dem öffentlichen Gesundheitssystem“ in Teilen der schwarzen Gemeinschaft. Das habe einige Afroamerikaner dazu veranlasst, die Gefährlichkeit des Coronavirus infrage zu stellen. „Es wurde viel negatives Zeug in den sozialen Medien verbreitet, wonach Schwarze es nicht bekommen könnten“, sagt sie.
Die Skepsis könnte ihre Wurzeln im Tuskegee-Skandal, einem der schlimmsten Beispiele für unethische medizinische Forschung in der Geschichte haben, meint Flowers. Vier Jahrzehnte lang, beginnend mit dem Jahr 1932, führten Bundesbeamte für öffentliche Gesundheit und Forscher der Tuskegee-Universität eine Studie an 600 armen schwarzen Männern mit Syphilis durch. Selbst nach der breiten Einführung von Penicillin als Heilmittel in den 1940er-Jahren wurde Hunderten von Teilnehmern gesagt, ihre Krankheit werde behandelt, obwohl sie in Wirklichkeit ein Placebo erhielten. Diese Täuschung ermöglichte es den Forschern zu untersuchen, wie die Krankheit fortschreitet, wenn sie nicht kontrolliert wird.
128 Studienteilnehmer starben an Syphilis oder verwandten Komplikationen. Mindestens 40 Ehepartner wurden infiziert und 19 Kinder kamen krank auf die Welt.
„Zwei ungünstige Ergebnisse“
Gesundheitliche Ungleichheit hat es in den USA schon immer gegeben, aber sie hat sich während der Pandemie aufgrund der unverhältnismäßig hohen Zahl von Schwarzen in systemrelevanten Berufen noch verschärft. Wenn Arbeitnehmer als unentbehrlich eingestuft werden, genießen sie wenig oder gar keinen rechtlichen Schutz, wenn sie nicht zur Arbeit erscheinen.
„Es gibt diese Dualität, bei der die Menschen zwischen zwei ungünstigen Ergebnissen wählen müssen: Entweder sie behalten ihren Job und setzen sich dem Virus aus, oder sie tun es nicht, und verlieren ihren Job“, sagt Wilson. „Was für eine Wahl soll man da treffen? Die Option, keinen Job zu haben, ist eine so herausfordernde und entmutigende Aussicht, besonders wenn man keinen Notgroschen hat, auf den man zurückgreifen kann. Es ist ein zweischneidiges Schwert.“
Einige afroamerikanische Aktivisten sagen, der hohe Anteil Schwarzer in unsicheren, schlecht bezahlten Jobs, die während des Coronavirus als unverzichtbar eingestuft wurden, habe seine Wurzeln in jahrhundertelangem Unrecht, das bis in die Zeit der Sklaverei zurückreiche. „Was wir in Alabama sehen, ist immer noch eine Mentalität, die von den Plantagen herrührt“, sagt Flowers. „Sie wollen, dass Schwarze für so gut wie nichts in den so genannten systemrelevanten Jobs arbeiten.“
Jaribu Hill, Exekutivdirektor des Mississippi Workers' Center for Human Rights, beschreibt diese Rollen als „Jim-Crow-Jobs“, eine Anspielung auf die rassistischen Gesetze, die die Rassentrennung im Süden während des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zementierte. „Uns werden die schmutzigsten und gefährlichsten Jobs zugewiesen, und das war vor Covid.“
Ricks stellt fest, dass eine der wenigen Qualifikationen, die Menschen ohne College-Ausbildung zur Verfügung stehen, ein Diplom als Certified Nursing Assistant ist, das Menschen auf eine Karriere in Pflegeheimen vorbereitet. Viele Afroamerikaner mit dieser Qualifikation arbeiteten am Ende in schlecht finanzierten Einrichtungen, die als erste unter der Corona-Pandemie zusammenbrachen. „Sie arbeiten dort, wo Menschen zu Tausenden krank werden, und sie sind bereit, in die Innenstädte und unterversorgten Bezirke zu gehen, wo sonst niemand arbeiten will“, sagt er.
Es sind nicht nur Beschäftigte im Gesundheitswesen, die Gefahr laufen, sich mit dem Coronavirus anzustecken. Bessie Wallace erkrankte an der Covid-19, als sie als Managerin einer einkommensschwachen Wohnsiedlung in Coweta County in Georgia arbeitete, wo viele der Bewohner zur Gruppe der wichtigen Arbeitskräfte gehörte.
„Zu Hause zu bleiben war keine Option“, sagt Wallace, 50, die das Virus an ihren Ehemann, einen Gabelstaplerfahrer, weitergegeben hat. „Es gibt mir das Gefühl, dass einige Weiße einen Vorteil haben“, fügt sie hinzu und bemerkt, dass Menschen in besser bezahlten Jobs in der Lage waren, von zu Hause aus weiter zu arbeiten. „Wir haben keine andere Wahl.“
Die Tatsache, dass viele Afroamerikaner in hoch verdichteten Wohnsiedlungen leben, könnte auch erklären, warum sich das Coronavirus in Gebieten, in denen Schwarze einen hohen Prozentsatz der Bevölkerung ausmachen, schneller ausgebreitet hat, so Paulette Henriquez, Direktorin einer Gesundheitsorganisation in der Bronx, dem am stärksten betroffenen Bezirk von New York City.
„Diese öffentlichen Wohnsiedlungen sind wegen ihrer Dichte wie Petrischalen“, sagt sie. „Es gibt keine soziale Distanzierung, die Gebäude sind schmutzig, die Aufzüge sind kaputt.“ Ihrer Ansicht nach wird das Problem noch dadurch verschärft, dass viele der Bewohner in Mehrgenerationenhaushalten leben, in denen jüngere Mitglieder noch immer an vorderster Front arbeiten. „Sie haben Großeltern, Eltern und Kinder, die alle in der gleichen Wohnung leben. Die Jugendlichen gehen zur Arbeit und bringen Covid wieder zurück und stecken die Älteren an, auch wenn diese zu Hause bleiben.“
Soziale Vorurteile abbauen
Es gibt erste Anzeichen dafür, dass Schwarze nicht nur unter höheren Todesraten leiden, sondern auch die Hauptlast der wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus tragen werden. Die US-Arbeitsmarktzahlen der vergangenen Woche, die viel besser als erwartet ausfielen, weisen sinkende Arbeitslosenquoten für alle Rassengruppen aus – mit Ausnahme der Afroamerikaner. Unter ihnen ist die Arbeitslosigkeit weiter gestiegen. Eine in der vergangenen Woche veröffentlichte FT-Peterson-Umfrage zeigt, dass weitaus mehr Afroamerikaner als Weiße einen Rückgang des Familieneinkommens infolge des Virus verkraften mussten.

In einem Fernsehinterview in der vergangenen Woche forderte Merck-CEO Kenneth Frazier die Unternehmen in den USA auf, mehr zu tun, um die „Chancenlücke“ zwischen schwarzen und weißen Amerikanern zu schließen. Nicht viele Afroamerikaner schaffen es in Machtpositionen wie Frazier, dessen Vater Hausmeister war und dessen Großvater noch zu Sklaverei-Zeiten geboren wurde. Frazier sagt, es gebe immer noch viel zu viele „Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten“ bei Beschäftigung, Wohnen, Gesundheitswesen und im Strafrechtssystem. „Was die Wirtschaft tun kann, ob Sie es nun Wiedergutmachung nennen wollen oder nicht, ist, in der heutigen Welt die anhaltenden Folgen jahrelanger Rassenvorurteile in diesem Land zu bekämpfen.“
Abigail Taylor, die in dem von Wallace verwalteten Apartmenthaus wohnt, sagt, sie habe ihr ganzes Leben lang von „Lohnscheck zu Lohnscheck“ gelebt. Anfang März wurde sie von ihrem Job in einer Kunststoffspritzerei in Troup County in Georgia beurlaubt. Firma zahlte ihr 12 Dollar pro Stunde für die Arbeit an einer Produktionslinie, wo Schmutzfänger für Motorräder und Öltanks für Jetskis hergestellt werden.
Wegen eines Fehlers der Personalabteilung erhielt sie sechs Wochen lang keine Arbeitslosenunterstützung und auch nicht die durch das Konjunkturpaket des Bundes finanzierte Aufstockungszahlung von 600 Dollar pro Woche. „Wir hielten kaum durch. Wir waren hungrig und hatten kein Benzin für das Auto“, sagt Taylor, die eine 11-jährige Tochter hat. „Miss Bessie war eine große Hilfe. Sie half uns bei den Einkäufen und gab uns ein paar Rollen Toilettenpapier.“
Schließlich musste Taylor auf ihr beitragsfinanziertes Rentensystem zurückgreifen, das als 401(k) bekannt ist. Während ihrer fünf Jahre in der Fabrik hatte sie 2000 Dollar für ihre Altersvorsorge gespart, zog aber schließlich 1500 Dollar davon ab, um in der Zeit ohne Einkommen über die Runden zu kommen.
Nun befürchtet sie, dass sie ihren Arbeitsplatz dauerhaft verlieren wird, weil die Fabrik nach einem Nachfragerückgang nach ihren Produkten Mitarbeiter entlassen hat. „Ich nehme an, dass ich mir einen anderen Job suchen muss“, sagt sie. „Ich werde einfach weiter hoffen, dass die Dinge besser werden.“
* Einige Namen wurden geändert, um ihre Identität zu schützen
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