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Gastkommentar Warum Trumps Kritik an Nord Stream 2 falsch und doch richtig ist

Blick auf das Rohrende der Ostseepipeline "Nord Stream 2" an der Empfangsstation in Lubmin. Die 1.200 Kilometer langen Gaspipeline soll jährlich rund 55 Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas von Russland nach Deutschland transportieren
Blick auf das Rohrende der Ostseepipeline "Nord Stream 2" an der Empfangsstation in Lubmin. Die 1.200 Kilometer langen Gaspipeline soll jährlich rund 55 Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas von Russland nach Deutschland transportieren
© dpa
Nur weil US-Präsident Trump die Ostseepipeline Nord Stream 2 kritisiert, muss die Kritik nicht falsch sein. Allerdings, so Claudia Kemfert, liegt er bei den Gründen für seine Einschätzung daneben. Vier Gründe, warum die Pipeline ein Fehler ist

Trump tobt. Trump droht. Trump hat Unrecht. Das ist der übliche Dreisatz, der in der deutschen Öffentlichkeit geradezu reflexhaft durchgespielt wird, sobald der US-Präsident seinen Twitter-Account startet. Das Misstrauen in die von Interessen geleitete Politik des amerikanischen Populisten besteht aus gutem Grund. Allzu unverhohlen stellt der Wirtschaftsmann im höchsten Amt die ökonomischen Interessen in den Vordergrund. „America first“ meint bei ihm leider meist nur „Profit first“. Deswegen stehen die USA in den Disziplinen Energieeffizienz und Klimaschutz eher auf den hinteren Plätzen der Weltrangliste des Erfolgs.

Doch es wäre falsch, dem ersten skeptischen Impuls gegenüber jeglicher Trump-Äußerung zum Ersatz für ein eigenes Urteil zu machen. Auch ein Automechaniker, der auf einen Motordefekt hinweist, ist nicht zwingend ein Lügner, nur weil er sein Geld mit Reparaturen verdient. Auch eine Hebamme sagt die Wahrheit, wenn sie erklärt, dass Kinder nicht vom Storch gebracht werden.

Die geplante Ostseepipeline Nord Stream 2 ist nicht deswegen gut und richtig, nur weil Trump sie schlecht und falsch findet – auch wenn er sie möglicherweise nur deswegen kritisiert, weil er sich – im Falle des Falles – irgendwann ein Geschäft mit amerikanischem Flüssiggas erhofft. Natürlich gehört es nicht zum üblichen politischen oder geschäftlichen Gebahren, dass der amerikanische Präsident seinen Botschafter in Berlin einen eher bedrohlichen als freundlichen Neujahrsbrief an deutsche Konzerne schreiben lässt. Unverhohlen wurde den Unternehmen signalisiert, dass jedes Engagement für die Pipeline negative wirtschaftliche Konsequenzen für sie haben könne, falls die USA eines Tages Sanktionen gegen an der Pipeline beteiligte Firmen verhängen würde. Das ist kein Denkanstoß, sondern eine Drohung – das ist klar. Selbst wenn der Brief mit einem scheinbar sorgenvollen Hinweis verknüpft ist: Deutschland mache einen riesigen Fehler und werde von russischen Gaslieferungen abhängig.

Das deutsche Wohl – oder zumindest die Interessen der deutschen Unternehmen – sind dem US-Präsidenten vermutlich ziemlich egal. Allzu offensichtlich geht es darum, das in den USA durch Fracking geförderte Gas zu höchstmöglichen Preisen nach Europa und insbesondere Deutschland zu verkaufen. Nord Stream 2 würde einen Strich durch diese Rechnung machen, denn das vergleichsweise teure Fracking-Gas kann derzeit gegen Gaslieferungen aus Russland kaum mithalten. Zudem ist das Fracking-Gas aus den USA wegen der umweltschädlichen Förderungsmethoden ohnehin kritisch zu sehen – und daher keine wirkliche Alternative.

Trotzdem! Wo Trump Recht hat, hat er Recht: Die Pipeline Nord Stream 2 ist tatsächlich ein Fehler. Aber aus anderen Gründen:

#1 Fehlende Diversifikation, fehlende Flexibilität

Bereits jetzt bezieht Deutschland etwa ein Drittel seiner Gasimporte aus Russland, und würde mit Nord Stream 2 diesen Anteil weiter erhöhen. Die neue Pipeline verpflichtet uns zu zusätzlichen Gasimporten aus Russland – und das für kommende Jahrzehnte.

Die EU hat sich im Rahmen der Energieunion vorgenommen, den Anteil russischer Gaslieferungen zu mindern. Stattdessen will sie auf größere Diversifikation der Energieimporte, auf Flexibilität und somit auch verstärkt auf Flüssiggas setzen. Gedacht wird dabei allerdings nicht an das umweltschädliche amerikanische Fracking-Gas, sondern an Flüssiggas aus Nordafrika und anderen Regionen.

#2 Langfristige Bindung ohne langfristigen Bedarf

Gas wird in Deutschland gerne als sauberer Energieträger dargestellt – das klappt aber nur, weil wir mit Kohle einen noch dreckigeren haben. Aber auch Gas ist ein fossiler Energieträger, und die Erfüllung der Pariser Klimaziele erfordert eine vollständige Dekarbonisierung der Wirtschaft. Das betrifft auch die Energiewirtschaft. Auf den Kohleausstieg, der in diesen Tagen besiegelt werden soll, folgt ganz sicher der Gasausstieg.

Perspektivisch wird Gas durch klimaneutrale Energien ersetzt werden, die schon jetzt immer preiswerter werden und bereits heute eine ernsthafte Konkurrenz zum Gas darstellen. Für eine Übergangszeit wird Gas natürlich noch eine bedeutende Rolle spielen, und zwar sowohl für die Stromerzeugung, als auch für die Wärmeherstellung und als Treibstoff in der Mobilität. Aber dauert das Jahrzehnte? Und selbst: Auch für den Übergang brauchen wir keine zusätzliche Pipeline.

#3 Überkapazität

Nord Stream 2 ist energie- und betriebswirtschaftlich unnötig. Schon der erste Strang ist in weiten Teilen nicht ausgelastet. Will man unbedingt russisches Gas importieren, gibt es andere Transportrouten, zum Beispiel durch Polen verlaufende Pipelines. Entgegen der Prognosen der Befürworter der Pipeline würde es ohne sie keine „Gaslücke“ geben, im Gegenteil. Es gibt derzeit ein Überangebot an Gas auf den internationalen Märkten, auch ausgelöst durch das bereits erwähnte US-amerikanische Fracking-Gas.

#4 Deutscher Alleingang, hohe Preise

Viele Länder, auch in Europa, setzen auf eine Diversifikation ihrer Gasimporte, vor allem mittels Flüssiggas, das flexibel per Schiff transportiert werden kann. Nur Deutschland verzichtet bisher auf den Bau eines LNG-Terminals und setzt stattdessen auf die Erweiterung der Nord-Stream-Pipeline. Das ist nicht nur politisch fragwürdig, sondern hat auch spürbare Konsequenzen auf die Energiepreise. Indem sich Deutschland aus dem freien Wettbewerb der Zulieferer verabschiedet, zahlen deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher unnötig hohe Preise – auch wenn die Pipelinebetreiber das Gegenteil behaupten.

So berechtigt der skeptische Impuls gegenüber Trumps Ablehnung von Nord Stream 2 ist, so wichtig ist auch die Skepsis gegenüber den Befürwortern der Pipeline. Auch sie sind keine altruistischen Engel, sondern durchaus auf ihren jeweiligen Vorteil bedacht.

Angesichts der – auch ökonomischen – Auswirkungen des ungebremsten Klimawandels wären die deutsche Wirtschaft und die deutsche Politik gut beraten, endlich die Energiewende entschlossen in Angriff zu nehmen. Ausgerechnet in unserer Paradedisziplin, der Automobilindustrie, spüren wir gerade – und zwar bis zum letzten Fließbandarbeiter in der Provinz – was es bedeutet, das Megathema Umwelt- und Klimaschutz zu ignorieren.

Energieversorgung betrifft unsere gesamte Wirtschafts- und Lebensform. Der Bau von Nord Stream 2 behindert den Umstieg auf erneuerbare Energien und kommt uns alle teuer zu stehen. Deutschland täte gut daran, den Ausbau heimischer erneuerbarer Energien und Energieeffizienz zu beschleunigen – und zwar als gemeinsames europäisches Projekt inklusive der Ukraine. Das unsinnige Pipelineprojekt ist ein Klotz am Bein – für eine zukunftsgewandte Energiepolitik, für ein erfolgsversprechende Europapolitik und, ja, auch für ein freundschaftliches transatlantisches Verhältnis.

Claudia Kemfert leitet die Abteilung "Energie, Verkehr, Umwelt" am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und ist Professorin Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance.
© dpa

Claudia Kemfert leitet die Abteilung "Energie, Verkehr, Umwelt" am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und ist Professorin Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance.

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