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Kommentar Warum Sanktionen gegen Putin wirken

Der Kremlchef genießt Rückhalt in der Bevölkerung. Doch das kann sich ändern, wenn der Lebensstandard sinkt. Von Nils Kreimeier
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Russlands Präsident Putin: Die Bevölkerung stützt seine Politik - noch

Wann immer es in den vergangenen Jahren zu einem größeren Konflikt zwischen der EU und Russland kam, war schnell von einem neuen „Kalten Krieg“ die Rede. Entweder in Form einer Warnung oder als heimliches Frohlocken all jener, die sich die klaren Verhältnisse von einst zurückwünschten. Wirklich treffend war der Begriff nie.

Das hat sich nun, nach der nicht mehr zu bestreitenden russischen Invasion in der Ukraine, geändert. Die Nato schickt sich an, ihre Militärdoktrin zu überarbeiten, es werden schnelle Eingreiftruppen für den Einsatz in Osteuropa vorbereitet. Wer Russland als strategischen Partner bezeichnet, gilt mittlerweile als Mann von gestern. Die EU macht mit Donald Tusk einen Polen zum neuen Präsidenten des Europäischen Rats, der Russland sehr skeptisch gegenübersteht. Es ist das höchste Amt, das ein Pole einnimmt, seit Johannes Paul II. 1978 im Vatikan den Konflikt mit dem Kreml aufnahm.

Russland hat durch sein Eingreifen in der Ukraine ohnehin schon einen der wichtigsten Verträge der postsowjetischen Ära de facto gebrochen. Strategisch gesehen ist der Kalte Krieg tatsächlich zurück.

Diffuser Nationalismus

Es ist auch falsch, wenn behauptet wird, es gebe keinen ideologischen Konflikt zwischen Russland und dem Westen mehr. Putin und seine Umgebung mögen keine Kommunisten sein, doch sie haben sehr wohl eine völlig andere Vorstellung davon, wie eine Gesellschaft organisiert sein sollte. Sie lehnen Toleranz gegenüber Minderheiten ab, forcieren ein von staatlichen Konglomeraten dominiertes Wirtschaftsmodell und unterbinden jede Form von echter Gewaltenteilung.

Vor allem aber ist ihr Blick auf die Nachbarstaaten von einem diffusen Nationalismus geprägt: Wer russischer Muttersprachler ist, der ist aus dieser Sicht ein Russe, egal, welchen Pass er hat. Und er muss „beschützt“ werden, auch wenn er das vielleicht gar nicht will. Eine solche Grundhaltung ist mit den Werten der EU nicht vereinbar, sie ist gefährlich und sie musste zum Konflikt führen.

Russlands Präsident Wladimir Putin hat diesen Zustand gewollt, er hat ihn sehenden Auges angesteuert, weil ihm aus seiner Sicht keine andere Wahl blieb. Da es mit seinem Land bereits vor der aktuellen Krise ökonomisch bergab ging, brauchte Putin wie ein börsennotierter Konzern eine neue Story, um sich an der Macht zu halten. Diese neue Story heißt Krieg und Expansion, auch auf Kosten einer wirtschaftlichen Isolation. Und bisher funktioniert sie gut, wenn man die internen Umfragewerte für Russlands Präsidenten zugrunde legt.

abhängig von westlichen Maschinen, Bankverbindungen und Know-how

Doch die Parallele zum Kalten Krieg liefert zugleich auch einen Lösungsansatz für den aktuellen Konflikt mit Russland. Die Sowjetunion ist an wirtschaftlichen Mängeln zugrunde gegangen, ein niedriger Ölpreis, der Rüstungswettlauf und marode Staatsunternehmen machten dem Modell den Garaus. Die Sanktionen, die nun Schritt für Schritt verschärft werden, könnten letztlich in ein ähnliches Szenario münden. Dass Russland mit Westeuropa wirtschaftlich viel enger verflochten ist als die Sowjetunion es jemals war, spricht nicht dagegen. Im Gegenteil, es erhöht das Druckpotenzial.

Das Land ist abhängig von westlichen Maschinen, Bankverbindungen und Know-how, seine Bürger verlangen aber auch nach ausländischen Konsumgütern. In Moskaus Mittelschicht ist schon erstes Murren darüber zu vernehmen, dass auf einmal keine EU-Milchprodukte mehr verfügbar sind und sie auf die qualitativ schlechteren heimischen Waren zurückgreifen müssen. Zudem steigen die Lebensmittelpreise bereits empfindlich.

Unter Ökonomen ist nun eine Debatte darüber im Gange, ob die westlichen Sanktionen tatsächlich das Zeug haben, Putins Regime in die Knie zu zwingen. Clifford Gaddy und Barry Ickes von der Brookings Institution in Washington weisen diese Möglichkeit zurück. Ihr Kernargument: Die russische Bevölkerung ist in der Lage, ungleich schlimmere ökonomische Missstände duchzustehen als es die Einwohner einer westlichen Industrienation wären. „Man könnte Russland als die Küchenschabe unter den Volkswirtschaften beschreiben“, so die Autoren. „In vielerlei Hinsicht primitiv und unelegant, aber mit einer bemerkenswerten Fähigkeit, auch in den widrigsten Umständen zu überleben.“

Mittelstand an Wohlstandsgewinne gewöhnt

Ihr russischer Kollege Sergej Guriew, der viele Jahre in dieser Volkswirtschaft lebte, bevor er im vergangenen Jahr nach Frankreich emigrierte, sieht das ganz anders. Er weist darauf hin, dass der russische Staat bereits jetzt finanziell so unter Druck steht, dass er sich zu neuen Steuern und Ausgabenkürzungen gezwungen sieht. Dieser Eingriff in die Taschen der Bevölkerung aber werde sich letztendlich gegen die Regierung wenden. „Putins Beliebtheit stützt sich auf einen Lebensstandard, der historisch einzigartig hoch ist“, schreibt Guriew. „Und der Anstieg des Konsums wurde vor allem durch Russlands Integration in die Weltwirtschaft getrieben. Ohne sie ist er nicht haltbar.“

Interessanterweise endet dieser ökonomische Schlagabtausch im Grunde in einer anthropologischen Frage. Entscheidend für die Bewertung der Sanktionen wird, wie viel Härten die russische Bevölkerung aushalten kann, bevor sich ihre Wut gegen die eigene Führung wendet. Und hier spricht viel dafür, dass die Anfälligkeit in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat. Die Mittelschicht in den Großstädten aber auch in der Provinz, die unter Putin an stetige Wohlstandsgewinne gewöhnt wurde, ist eine völlig andere Gesellschaft als die leidensfähigen Sowjetbürger früherer Jahrzehnte. Sie wird ihren Lebensstandard nur ungern aufgeben wollen, zumal, wenn jetzt auch die ersten toten russischen Soldaten in der Heimat ankommen.

Vor allem aber sind Wirtschaftssanktionen, so zahnlos sie zumindest anfänglich wirken mögen, in Wahrheit die einzige Option. Eine militärische Lösung für einen Konflikt mit einer Atommacht gibt es nicht. Es ist eine Logik, die wir aus dem Kalten Krieg kennen.

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