Herr Mandelartz, auf Mallorca protestieren Einheimische gegen den Ansturm von Touristen. Sie fordern, dem Massentourismus ein Limit zu setzen. Können Sie den Unmut nachvollziehen?
PASCAL MANDELARTZ: Die Forderungen der Demonstranten sind sehr radikal. Unabhängig davon sind sie aber auch sehr schädlich für die komplette Industrie Mallorcas. Mit dem Tourismus als Einkommensquelle ist in den vergangenen Jahrzehnten eine Monokultur entstanden. So schnell kann man das nicht ändern – selbst mit begrenzten Besucherzahlen nicht. Sinnvoller wäre es, sich Regionen einzeln anzuschauen und eine eigenständige Strategie zu entwickeln. Unabhängig davon, wie die Strategie im Detail aussieht: Wichtig ist, dass die Bevölkerung über einen längeren Zeitraum mit in Entscheidungsprozesse einbezogen wird. Das funktioniert in Amsterdam und Barcelona beispielsweise schon sehr gut.
Es ergibt also keinen Sinn, die Touristenzahl zu begrenzen?
Nein, nicht zuletzt, weil die Mehrheit der Bevölkerung vom Tourismus profitiert. Er macht mehr als 40 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus. Klar ist trotzdem: Die Insel braucht einen Transformationsprozess und einen Strukturwandel. Das geht aber nicht von heute auf morgen. So ein Prozess nimmt Jahrzehnte in Anspruch. Mallorca muss jetzt schrittweise einen neuen Weg einschlagen. Am berühmten Ballermann an der Playa de Palma will die Insel jetzt eher auf das Luxussegment setzen und wohlhabende Touristen anlocken. Das ist aus meiner Sicht eher kontraproduktiv. Denn eigentlich entsteht dadurch ein weiteres neues Marktsegment. Das ist die falsche Strategie. Meines Erachtens können dort die Bettenburgen ruhig bleiben. Hier wäre es viel wichtiger, die Sicherheitskonzepte zu erhöhen und die Müllentsorgung zu verbessern.
Beschäftigte in Hotels oder Restaurants klagen allerdings oft darüber, dass die Löhne trotzdem noch zu niedrig seien. Sie profitierten bislang kaum.
Das ist korrekt. Es kommt sicher zu wenig bei den Einheimischen an. Wenn morgen allerdings der Tourismus auf der Insel kollabiert, gehen schon bald noch mehr Menschen auf die Straße, weil sie nicht genug Geld verdienen. Damit die Menschen mehr Geld in der Tasche haben, muss die Politik aktiv werden. Gegebenenfalls muss man an manchen Stellen dann auch die Steuern beispielsweise senken. Durch die Beschränkung einer Besucherzahl ändert sich an den Einkommensverhältnissen allerdings nichts. Da müssen andere Stellschrauben gedreht werden. Mallorca leidet zum Beispiel auch unter einem akuten Wohnungsmangel. Hier würde es Sinn ergeben, Airbnb zu beschränken. Dann wäre für Einheimische auch wieder mehr und vor allem bezahlbarer Wohnraum vorhanden.
Seit 2016 setzt die Insel bereits auf eine Touristensteuer. An dem Andrang hat sich dadurch nichts geändert.
Durch die Steuer wird zumindest Geld generiert, das man dann auch wieder in Infrastruktur investieren kann. Aber wir dürfen nicht vergessen: Der Tourismus ist weltweit ein enormer Wachstumsmarkt. Eine kleine steuerliche Anhebung hält Reisewillige nicht auf.
Gibt es überhaupt so etwas wie eine nachhaltige Tourismusstrategie?
Wenn wir von Nachhaltigkeit in der Tourismusbranche sprechen, meinen wir ein Gleichgewicht von Ökonomie, Ökologie und soziokulturellen Aspekten. Unterm Strich müssen auch solche Konzepte in einer freien Marktwirtschaft funktionieren, die auf wirtschaftliches Wachstum setzt. In Magaluf oder Playa de Palma werden 80 Prozent der Gebäude touristisch genutzt. Dort wieder ein traditionelles mallorquinisches Dorf aufzubauen, ist utopisch. Massentourismus bedeutet aber nicht, dass Nachhaltigkeit per se ausgeschlossen ist. Sparsamere Toilettenanlagen oder neue Solaranlagen auf den Dächern können auch solche Touristen-Hotspots zumindest etwas nachhaltiger machen.
Was muss jetzt passieren?
Mallorca muss sich von der Monokultur des Tourismus lösen. Da besteht kein Zweifel. Die Insel sollte stellenweise alternative Industrien wie Wissenschaft, Technik, Innovationen oder Agrikultur ankurbeln. Wir müssen aber realistisch bleiben: Auch diese Branchen werden den Tourismus nie ersetzen.
Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen. Das Nachrichtenportal gehört wie Capital zu RTL Deutschland.