Wer wird Bundesfinanzminister in einer Koalition von SPD, FDP und Grünen? Beste Chancen auf den einflussreichen Job des Kassenwarts hat offenbar der Vorsitzende der Liberalen: Christian Lindner. Doch das wird längst nicht überall gutgeheißen. Auch im Ausland stößt die Personalie auf Vorbehalte: Der FDP-Chef gilt vielen als Vertreter einer aus der Mode gekommenen Sparpolitik.
Das Finanzministerium hat traditionell viel politischen Einfluss – und der reicht über die Landesgrenzen hinaus. Dem deutschen Finanzminister kommt vor allem im europäischen Kontext eine Schlüsselrolle zu. Mit der Macht kommt aber auch die entsprechende Verantwortung. Der europäische Ableger des amerikanischen Mediums Politico wirft daher recht uncharmant die Frage in den Raum, ob Lindner für den Job überhaupt qualifiziert ist. „Finanzminister oder ‚fuck up‘?“, fragt Politico.
„Und dann ist da Lindner"
Es sei nämlich so, dass das Amt des Finanzministers ein Who-is-Who der deutschen politischen Elite nach dem Zweiten Weltkrieg darstelle. Die meisten, die das Amt bisher bekleidet haben, brachten große politische Erfahrung mit. Etwa als Minister oder als Ministerpräsidenten in einem Bundesland. „Und dann ist da Linder“, schreibt Politico – und der bringe all das eben nicht mit.
Abgesehen von seiner Masterarbeit gäbe es keinen Hinweis darauf, dass er überhaupt eine Qualifikation für diesen Posten mitbringen würde. Auch der US-Mediendienst Bloomberg sieht Lindners Ambitionen kritisch. Zum einen sei die FDP verglichen mit den Grünen der Junior-Junior-Partner der künftigen Koalition. Von dieser Position aus stehe es ihr eigentlich nicht zu, Ansprüche auf das Amt des Finanzministers zu stellen, so die Meinung vieler Medien.
Die Kommentatoren und Analysten in Europa und darüber hinaus arbeiten sich vor allem an der fehlenden Erfahrung ab, die Lindner mit ins Amt bringt. Die britische Financial Times betont das Ungleichgewicht, das Lindner in der EU auslösen könnte. Vor allen in Italien und in Frankreich steige die Nervosität. Emmanuel Macron hatte bereits vor der letzten Bundestagswahl in 2017 gesagt, dass er politisch „tot“ sein würde, sollte die damals diskutierte Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen kommen. Vier Jahre später muss Macron angesichts der Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr um seine Wiederwahl fürchten. An seinen Sorgen dürfte sich nichts geändert haben.
Europa zwischen Hoffen und Bangen
Das deutsche Finanzministerium wird vor allem in den Staaten Südeuropas gefürchtet. Niemand verkörpert diese Sorge besser als der scheidende Bundestagspräsident Wolfang Schäuble, der unter Angela Merkel acht Jahre lang das Finanzministerium innehatte. Durche seine harte Linie gegenüber Griechenland und Italien und seinem Beharren auf der europäischen Austeritätspolitik, wurde er den Ländern Südeuropas zur Reizfigur, weil er, so der Vorwurf, die wirtschaftliche Erholung behindert habe.
Der englische Guardian schreibt , dass die europäischen Nachbarn, die Koalitionsverhandlungen in Deutschland mit einer Mischung aus Hoffnung und Angst beobachten würden. Er bezeichnet Christian Lindner als einen „Hardliner", dessen Politik Europa zurück in die Zeit der Euro-Krise und deren Grabenkämpfe zurückversetzen könnte. Der Hintergrund: Die FDP will nach der Coronakrise die im Grundgesetz festgelegte Schuldenbremse wieder einhalten. Zudem sperrt sie sich vehement gegen neue EU-Steuern.
Das weckt in einigen EU-Ländern böse Erinnerungen. Vor vier Jahren schlug Lindner angesichts der hohen griechischen Staatsschulden vor, dass das Land die Eurozone wenigestens temporär verlassen sollte, bis es wieder auf dem richtigen Kurs sei. Macron habe er vorgeworfen, die EU in ein Sowjetunion-artiges Gebilde verwandeln zu wollen. Und er löste einen kleinen Eklat aus, als er verlauten ließ, dass man das Ersparte der Deutschen nicht dafür nutzen dürfe, um das Ersparnisse der Italiener zu retten. Wie wird Lindner in einer neuerlichen Schuldenkrise handeln?
Zerreißprobe für die EU
Kritisch sehen die Guardian-Autoren auch den deutschen Retter-Komplex, der sich hauptsächlich aus einer deutschen Perspektive auf die Dinge erschließt. Denn die Antwort des italienischen Botschafters auf Lindners Affront, schreibt der Guradian, sei frostig gewesen. Er erinnerte Lindner daran, dass es die italienischen Banken gewesen seien, die die Rettungsgelder für Griechenland gezahlt hätten. Das habe dann wiederum die deutschen Banken gerettet.
Die große Frage ist, ob und wie sich die neue Regierung den Herausforderungen des Klimaschutzes stellen wird. In der Wochenzeitung „Die Zeit“ schrieben Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stieglitz und der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze, dass richtiger Umweltschutz ohne ein von den Grünen geführtes Finanzministerium wohl kaum möglich sei. Christian Lindner im Finanzministerium könne dagegen zum „Crash-Test" für die EU und für Deutschland werden. Genau den könne sich momentan aber niemand leisten, weder wirtschafts- noch klimapolitisch.
Das gilt übrigens auch für Lindner und die FDP, die nach ihrer letzten Amtszeit in der Regierung von den Wählern dafür abgestraft worden sind. Noch immer sitzt der Stachel der Wahlschlappe, die die Liberalen vier Jahre lang ihre Sitze im Bundestag kostete, tief im Fleisch der Partei. Manche prophezeihen gar, dass der Strum, den Lindner entfachen könnte, seiner Partei in vier Jahren erneut schaden könnte.

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