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Kolumne Die Probleme der Schwellenländer

Der unmittelbare Auslöser der aktuellen Krise in den Schwellenländern darf nicht von den tieferliegenden Ursachen ablenken. Denn die Staaten stecken in ernsthaften Schwierigkeiten. Von Nouriel Roubini
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Nouriel Roubini ist Chairman von Roubini Global Economics und Professor für Ökonomie an der Stern School of Business der New York University.

Die finanziellen Turbulenzen, in die die Schwellenländer im vergangenen Frühling nach der Ankündigung des „taper tantrum“ der US-Notenbank geraten waren, also der allmählichen Reduzierung ihres Programms zur Quantitativen Lockerung, sind mit voller Kraft zurückgekehrt. Dieses Mal war eine Verkettung mehrerer Umstände der Auslöser: eine Währungskrise in Argentinien, wo die Behörden aufgehört haben in die Devisenmärkte einzugreifen, um den Verlust von Währungsreserven abzuwenden, schwächere Wirtschaftsdaten aus China und anhaltende politische Unsicherheit und Unruhen in der Türkei, in der Ukraine und in Thailand.

Dieser perfekte Sturm im Miniaturformat, der sich in den Schwellenmärkten zusammengebraut hat, ist durch die Risikoaversion internationaler Anleger schon bald auf die Aktienmärkte der Industrieländer übertragen worden. Doch der unmittelbare Auslöser des Drucks, der sich aufgebaut hat, sollte nicht mit seinen tieferen Ursachen verwechselt werden: Viele Schwellenländer stecken in ernsthaften Schwierigkeiten.

Auf dieser Liste stehen Indien, Indonesien, Brasilien, die Türkei und Südafrika – die „Fragilen Fünf“ genannt, weil alle ein doppeltes Defizit aufweisen, also sowohl ein Haushalts- als auch ein Leistungsbilanzdefizit, sinkende Wachstumsraten, zu hohe Inflation und politische Unsicherheit durch in diesem Jahr anstehende Parlaments- und/oder Präsidentschaftswahlen. Allerdings gibt es fünf weitere wichtige Länder – Argentinien, Venezuela, Ukraine, Ungarn und Thailand –, die ebenfalls anfällig sind. Politische und/oder wahlbedingte Risiken finden sich in jedem dieser Länder, eine lockere Geldpolitik in vielen und wachsende Zahlungsbilanzungleichgewichte und ein Länderrisiko in einigen von ihnen.

Reformen in China zu langsam

Dann gibt es noch die hochgejubelten BRICS-Staaten, die jetzt auf den Boden der Tatsachen zurückkehren. Mit einem realen (inflationsbereinigten) BIP-Wachstum von weniger als 2,5 Prozent werden drei dieser Länder (Brasilien, Russland und Südafrika) in diesem Jahr langsamer wachsen als die Vereinigten Staaten, während sich die Wirtschaft der anderen beiden (China und Indien) stark abschwächt. Tatsächlich gehören Brasilien, Indien und Südafrika zu den Fragilen Fünf, und zudem wird der Bevölkerungsrückgang in China und Russland das potenzielle Wachstum dieser beider Länder beeinträchtigen.

Der größte BRICS-Staat China ist mit zusätzlichen Risiken konfrontiert, die auf einen kreditfinanzierten Investitionsboom zurückzuführen sind, bei dem die übermäßige Kreditaufnahme von Kommunalregierungen, Staatsbetrieben und Immobilienfirmen die Qualität der Vermögenswerte von Banken und Schattenbanken stark geschwächt hat. Die meisten Kreditblasen dieser Größenordnung haben letzten Endes zu einer harten Landung geführt und Chinas Wirtschaft wird wahrscheinlich nicht davon verschont bleiben, vor allem weil Reformen für eine Neuausrichtung des Wachstums von hohen Sparquoten und Anlageinvestitionen zu einem stärkeren Anteil des privaten Verbrauchs in Anbetracht der mächtigen Interessen, die sich dagegen formiert haben, wahrscheinlich zu langsam umgesetzt werden.

Hinzu kommt, dass die tieferen Ursachen der Turbulenzen an den Schwellenmärkten aus dem vergangenen Jahr nicht verschwunden sind. Zunächst einmal stellt das Risiko einer harten Landung in China eine ernste Bedrohung für die asiatischen Schwellenländer, Rohstoffexporteure aus aller Welt und sogar Industrieländer dar.

Ende des Rohstoffsuperzyklus

Gleichzeitig hat die US-Notenbank tatsächlich begonnen ihre Ankäufe langfristiger Anleihen zurückzufahren und die Zinsen werden steigen. Infolgedessen wird das Kapital, das in den Jahren hoher Liquidität und niedriger Renditen in den Industrieländern in die Schwellenländer geflossen ist, jetzt aus vielen Ländern abgezogen, wo billiges Geld zu einer zu laxen Fiskal-, Geld- und Kreditpolitik geführt hat.

Eine weitere tiefe Ursache der gegenwärtigen Volatilität ist das Ende des Superzyklus, also der über einen überdurchschnittlich langen Zeitraum steigenden Preise auf den Rohstoffmärkten. Das liegt nicht nur an der Konjunkturabkühlung in China; die hohen Preise der letzten Jahre haben zu Investitionen in neue Kapazitäten und einem steigenden Angebot vieler Rohstoffe geführt. Derweil haben es die Rohstoffexporteure der Schwellenländer versäumt, den Geldregen für marktorientierte Strukturreformen in den vergangenen zehn Jahren zu nutzen. Im Gegenteil, viele von ihnen haben sich auf Staatskapitalismus verlegt und gestehen Staatsunternehmen und Banken eine zu große Rolle zu.

Diese Risiken werden in absehbarer Zeit nicht geringer werden. Das chinesische Wachstum wird sich wahrscheinlich nicht beschleunigen und für höhere Rohstoffpreise sorgen; die US-Notenbank hat das Tempo, mit dem sie die Quantitative Lockerung zurückfährt erhöht; Strukturreformen sind bis nach den Wahlen unwahrscheinlich und amtierende Regierungen erweisen sich als ähnlich auf der Hut vor den wachstumshemmenden Auswirkungen einer Straffung der Fiskal-, Geld- und Kreditpolitik. Dass es viele Regierungen in Schwellenländern versäumt haben die fiskal- und geldpolitischen Zügel ausreichend zu straffen hat zu einer weiteren Abwertungsrunde der Währungen geführt, die Gefahr einer höheren Inflation birgt und die Fähigkeit dieser Länder beeinträchtigt, ihre Zwillingsdefizite zu finanzieren.

Gute Aussichten - auf lange Sicht

Trotzdem ist die Gefahr einer ausgewachsenen Währungs-, Staatsschulden- und Bankenkrise aus mehreren Gründen nach wie vor gering, sogar in den Fragilen Fünf. Alle haben flexible Wechselkurse, eine gut gefüllte Kriegskasse an Reserven als Schutzschild gegen einen Ansturm auf ihre Währungen und Banken und weniger Währungsinkongruenzen (etwa eine hohe Aufnahme von Fremdwährungskrediten, um Investitionen in Vermögenswerte in Landeswährung zu finanzieren). Viele Länder verfügen zudem über ein gesunderes Bankensystem, während die öffentliche und private Verschuldung zwar wächst, aber immer noch gering ist und ein geringes Zahlungsunfähigkeitsrisiko birgt.

Auf lange Sicht ist Optimismus wegen der Schwellenländer wahrscheinlich angemessen. Viele weisen solide makroökonomische, finanzielle und politische Eckdaten auf. Außerdem sind einige der mittelfristigen Fundamentalfaktoren in den meisten Schwellenländern, einschließlich der Fragilen Fünf, weiterhin gut: Urbanisierung, Industrialisierung, Aufholwachstum bei geringen Pro-Kopf-Einkommen, eine demografische Dividende, die Entstehung einer gefestigteren Mittelschicht, die Herausbildung einer Konsumgesellschaft und die Möglichkeiten schnellerer Produktionszuwächse, wenn Strukturreformen erst einmal umgesetzt sind. Deshalb ist es unfair alle Schwellenländer über einen Kamm zu scheren; es muss differenziert werden.

Die kurzfristigen politischen Zielkonflikte, denen viele dieser Länder ins Auge sehen, bleiben trotzdem unschön: Ob sie die Geld- und Fiskalpolitik schnell genug straffen oder nicht – verkehrt ist es in jedem Fall. Die externen Risiken und internen makroökonomischen und strukturellen Schwachstellen, mit denen sie konfrontiert sind, werden ihre unmittelbaren Aussichten weiterhin trüben. Bis stabilere und marktorientiertere Regierungen solidere Politiken umsetzen, steht vielen Schwellenländern in den nächsten ein bis zwei Jahren noch ein holpriger Weg bevor.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow

Copyright: Project Syndicate, 2014. 
www.project-syndicate.org

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