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Gastkommentar Warum der Einfluss der EU auf die Wirtschaft wächst

Erleichterte Gesichter bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel bei der Pressekonferenz nach dem EU-Sondergipfel
Erleichterte Gesichter bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel bei der Pressekonferenz nach dem EU-Sondergipfel
© IMAGO / Xinhua
Der neue EU-Haushalt und gemeinsame Corona-Hilfen sind nach langen Verhandlungen diese Woche beschlossen worden. Warum die Einigung auch das Zusammenwachsen der europäischen Wirtschaftspolitik unterstützt, erklärt Peter Becker von der Stiftung Wissenschaft und Politik

Dr. Peter Becker ist Wissenschaftler der Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Haushalt und Finanzen der EU, der EU-Binnenmarkt, die EU-Sektorpolitiken und Grundsatzfragen der europäischen Integration

Die Europäischen Staats- und Regierungschefs haben es dann doch wieder mal geschafft – nach langen, schwierigen, harten und zum Teil quälenden Verhandlungen haben sie sich auf einen neuen mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) für die nächsten sieben Jahre verständigt und zusätzlich einen auf vier Jahre befristeten europäischen Konjunkturhaushalt unter der Überschrift „Next Generation EU“ (NGEU) verabschiedet.

Ein großes Paket mit einem Umfang von insgesamt 1,8 Bio. Euro. Mit dieser beeindruckenden Anstrengung zur Bekämpfung der sozio-ökonomischen Folgen der Pandemie und des Lockdowns der Wirtschaft haben sie europäische Gemeinsamkeit gezeigt.

Der nun gefundene Kompromiss beinhaltet einige fundamentale Neuerungen: die Möglichkeit der EU, nun zur Finanzierung des Konjunkturhaushalts selbst Kredite in bisher nicht gekanntem Umfang an den Finanzmärkten aufzunehmen, und die Einführung neuer Finanzierungsquellen für den EU-Haushalt.

Das Verhandlungsergebnis bestätigt allerdings auch einige bekannte und nahezu klassische Elemente europäischer Haushaltsverhandlungen: Einsparungen wurden insbesondere bei den sogenannten modernen Politikfeldern vorgenommen, also den Ausgaben für eine europäische Verteidigung, die Forschungsförderung oder europäische Bildungsprogramme.

Es ging bei diesen Verhandlungen um sehr viel Geld und um dessen Verteilung. Ein zentraler Punkt der Verhandlungen war aber auch, dass die Auszahlung der europäischen Hilfs- und Fördergelder künftig stärker an die Verfolgung europäischer Ziele und an die Einhaltung ökonomischer Reformempfehlungen gekoppelt werden sollen.

Bei den Verhandlungen ging es also auch um institutionelle Fragen, die zugleich eminent politische Fragen sind. Denn hier wurden die Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der EU neu austariert und insbesondere auch die wirtschaftspolitische Rolle und die Eigenständigkeit der Europäischen Kommission festgelegt.

So wird die Verwendung der europäischen Strukturfonds in den Regionen, die in dem normalen mehrjährigen Haushalt mit insgesamt rund 330 Mrd. Euro ausgestattet wurden, künftig enger mit den wirtschaftspolitischen Zielen der EU und den Empfehlungen zu nationale Strukturreformen verknüpft. Auch die europäischen Fördermittel aus dem neuen europäischen Aufbaufonds sollen nicht ohne eine Überwachung und Mitwirkung der EU an die am meisten von der Pandemie betroffenen Mitgliedstaaten weitergereicht werden.

Einfluss der EU auf die nationale Wirtschaftspolitik wächst

Vielmehr müssen die Mitgliedstaaten nationale Aufbau- und Resilienzpläne mit ihren Reform- und Investitionsvorhaben erarbeiten und der Europäischen Kommission zur Prüfung und Billigung vorlegen. Dabei sollen sie die sogenannten länderspezifischen wirtschaftspolitischen Reformempfehlungen sowie die Klimaschutz- und die Digitalisierungsziele der EU beachten. Die europäischen Fördergelder sollen erst fließen, wenn die Mitgliedstaaten die zugesagten Reformanstrengungen wirklich aufgenommen und die vereinbarten Etappenziele tatsächlich erreicht haben. Die Europäische Kommission wird das europäische Monitoring der Umsetzung der nationalen Programme übernehmen.

Diese wirtschaftspolitischen Reformempfehlungen betreffen dabei nicht nur makroökonomische Punkte, wie die langfristige Stabilisierung der nationalen Haushalte und die Gewährleistung der Schuldentragfähigkeit. Sie enthalten auch fundamentale institutionelle Empfehlungen, wie eine Reform des italienischen Justizsystems und der öffentlichen Verwaltung, um deren Effizienz zu verbessern und die Korruptionsanfälligkeit zu verringern. Den Niederlanden wird eine Reform des Steuersystems empfohlen, um aggressive Steuerplanungen von insbesondere aus dem Ausland zufließenden Zahlungen zu erschweren.

Zusätzlich wurde auf Drängen der sogenannten „sparsamen Vier“ (Niederlande, Schweden, Dänemark und Österreich) eine Notbremse-Regelung aufgenommen. Sollte demnach ein oder mehrere Länder Zweifel an der Bewertung der Kommission haben, können sie den Europäischen Rat mit dieser Frage befassen. Dies ist ein deutliches Zeichen des Misstrauens an der Objektivität und der Durchsetzungsfähigkeit der Kommission gegenüber den begünstigten Mitgliedstaaten.

Die Verbindung von europäischen Fördergeldern mit der Umsetzung von wirtschafts-, beschäftigungs- und sozialpolitischen Strukturreformen und der Beachtung europäischer Ziele zeigt dennoch, dass die EU immer stärker und immer direkter in die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten eingreift und deren Investitionsprioritäten mitbestimmt. Dies ist ein Zeichen des wirtschaftspolitischen Zusammenwachsens der EU, aber eben auch der Europäisierung der nationalen Wirtschaftspolitiken.

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