Zuhause mag man sich gerne über eine Überraschung freuen. Einen Besuch etwa, der zwar nicht angekündigt war, dafür aber vor der Tür steht und schon einen schönen Kuchen in der Hand hält, um diesen nun gemeinsam zu verspeisen. Bei einem Kaffee draußen auf der Terrasse in der Sonne.
In der Politik ist das mit Überraschungen so eine Sache. Angenehme sind eher selten, und die unangenehmen versucht man tunlichst zu vermeiden. Weshalb man als halbwegs professioneller Politiker die ganze Zeit eher misstrauisch – je nach Betätigungsfeld – die engere Umgebung oder das Weltgeschehen beobachtet, möglichst viele Szenarien durchdenkt und sich für alle Eventualität wappnet.
Umso erstaunlicher klang daher eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums, als sie am Mittwochmittag dieser Woche gefragt wurde, was denn ihr Ministerium über den kurz zuvor verkündeten Einstieg der italienischen Großbank Unicredit bei der deutschen Commerzbank denke. Sie sagte: „Der Bund wird die neue Situation jetzt erst einmal grundsätzlich analysieren.“ Was übersetzt so viel heißt wie: Wir wurden völlig überrascht und haben noch keine Ahnung. Und auf Nachfrage bestätigte sie kurz darauf tatsächlich: „Innerhalb des Verfahrens haben viele Investoren ihr Interesse bekundet, so auch die Unicredit. Es gab vorab kein konkretes Angebot der Unicredit.“
Wer war da am Werk?
Eine Regierung, die bald 16 Jahre nach dem Einstieg sich dazu entscheidet, erstmals ein größeres Paket ihrer Anteile an Deutschlands zweitgrößter Privatbank zu verkaufen, und schon nach dem Verkauf der ersten Tranche räumt sie kleinlaut ein: Huch, so hatten wir uns das aber nicht vorgestellt. Das ist schon ein bemerkenswerter Vorgang.
Kaum zwölf Stunden zuvor, in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, hatten die Banker aus Mailand den Zuschlag erhalten: Mit einem Preisaufschlag von knapp 5 Prozent stachen sie alle anderen Bieter aus und erhielten den Zuschlag für knapp 4,5 Prozent an der Commerzbank, gut ein Viertel der Anteile, die der Bund seit der großen Finanzkrise 2008 hielt. Die Details des nächtlichen Manövers, die nun bekannt werden, – etwa, dass die vom Bund mit dem Verkauf betraute Investmentbank Goldman-Sachs aus dem Geschäft überstürzt aussteigen musste –, klingen so abenteuerlich, dass man sich fragt, wer da am Werk war.
Und damit nicht genug: Am Morgen nach der Offerte teilte die Unicredit auch noch mit, man habe zudem weitere gut 4,5 Prozent an der Commerzbank am offenen Markt gekauft. Nun stehe man gerne für Gespräche zur Verfügung, und interessiert an weiteren Anteilen sei man übrigens auch.
Die Reaktionen fielen ziemlich gemischt aus: Während der Aktienkurs der Commerzbank um 17 Prozent in die Höhe schoss, weil Investoren sogleich die Potenziale und die Logik einer Übernahme durch die ungleich größere Unicredit erkannten, herrschte an der Spitze der Commerzbank sowie in der Bundesregierung: Entsetzen und eisiges Schweigen. „Es gab keine Vorwarnung, das ist ein unfreundlicher Akt“, sagte ein Beteiligter, der den Prozess aus nächster Nähe verfolgt.
Interesse an der Commerzbank war kein Geheimnis
Die Reaktion in Berlin ist gleich in mehrfacher Hinsicht erstaunlich: Zum einen war es kein Geheimnis, dass die Unicredit Interesse an einem Einstieg bei der Commerzbank haben könnte. Bank-Chef Andrea Orcel, ein Mann mit Leidenschaft und Erfahrung für große Deals, hatte mehrfach schon sein Interesse an einem Zusammenschluss bekundet, zuletzt soll er laut „Financial Times“ noch in diesem Frühsommer in Berlin vorgefühlt haben. Bei den Kollegen der US-Nachrichtenagentur Bloomberg erklärte Orcel am Donnerstag daher auch ganz nüchtern: „Ich hätte gedacht, dass alle relevanten Beteiligten sehr wohl wissen, was wir tun. Sonst hätten wir es nicht getan.“
Es gab also volle Transparenz auf der einen Seite, und im Vorfeld der Transaktion ebenso große Klarheit auf der anderen: Denn bei der Bundesregierung war Orcel immer abgeblitzt. Hier sah man einen Verkauf der Commerzbank ins Ausland stets kritisch, zu genau erinnert man sich noch an die dramatischen Stunden der Finanzkrise 2008, als sich ausländische Banken praktisch von jetzt auf gleich aus ihren ausländischen Geschäften zurückzogen und so weltweit eine Kredit- und Finanzierungsklemme auslösten. Eine Lehre daraus war der Aufbau einer europäischen Bankenunion, an der Europas Regierungen seit mehr als zehn Jahren arbeiten: Ein gemeinsamer Regulierungsrahmen für Europas Banken, der dann auch einen großen gemeinsamen Markt für Finanzinstitute schaffen würde. Allerdings ist dieses Projekt bis heute immer noch nicht voll umgesetzt ist – auch deshalb, weil nicht zuletzt die deutsche Regierung auf der Bremse steht.

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Der deutsche Ansatz für den hiesigen Bankensektor lautete zuletzt: Konsolidierung gerne, aber eher im nationalen Rahmen als grenzüberschreitend, da solche großen Zusammenschlüsse immer noch zu komplex und riskant sind angesichts unterschiedlicher Interessen.
In diesem Umfeld den Verkauf eines Aktienpakets an einer großen deutschen Bank anzustoßen, ist nicht trivial, aber auch kein Ding der Unmöglichkeit. Immerhin beschäftigt sich das Bundesfinanzministerium seit Jahrzehnten mit all diesen Themen und Optionen. Man muss sich eben nur darauf vorbereiten, die Optionen und Szenarien überdenken, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden. Eine Pflichtübung für jeden Minister, sollte man meinen.
Dennoch wählte Berlin für den Verkauf ein aus eigener Sicht eher riskantes Verfahren: nicht peu-à-peu und diskret die Anteile in den Markt streuen, sondern in einem offenen Bieterverfahren en bloc, um auch größere Investoren anzulocken. Für Orcel und seine Kollegen sah das wie eine Einladung aus.
Blamage für die Bundesregierung
Aus Sicht der Unicredit gibt es an dem Einstieg bei der Commerzbank wenig auszusetzen: Beide Institute ergänzen sich gut, die ganze Logik der Finanzindustrie ist auf Skalierung und Größenvorteile ausgelegt. Mit ihrer Tochter HVB hat die Unicredit schon einen Fuß auf dem deutschen Markt, gemeinsam mit der Commerzbank könnte man das Geschäft gut konsolidieren und ausbauen. Einem Manager wie Orcel kann man zu seinem Coup nur gratulieren. Selbst für den Fall, dass Berlin dem weiteren Einstieg der Italiener nun Hürden in den Weg räumt (was man über die deutsche Bankenaufsicht durchaus kann), dürfte sich das Geschäft für ihn lohnen – als größter privater Einzelaktionär kann er nun auch so Druck auf das Management der Commerzbank ausüben und den Wert seiner Beteiligung weiter steigern. Aber sein Ziel wird weiter sein: eine weitgehende Fusion seiner HVB mit der größeren Commerzbank.
Für die Haltung der Regierung gibt es nun zwei Optionen: Sie könnte ihre Meinung intern bereits geändert haben und dem Einstieg der Italiener nun doch etwas abgewinnen können. Ihre Überraschung in dieser Woche wären dann nur ein Bluff, vielleicht, um zunächst einmal abzuwarten, wie groß der öffentliche Widerstand und die Empörung ausfallen. Dagegen spricht jedoch, dass ihre früheren Bedenken kaum ausgeräumt sein dürften. Und wollte man die eigene Position tatsächlich so verändern, würde man dies klugerweise immer vorbereiten.
Daher spricht deutlich mehr für die zweite Option, leider: eine Blamage. Es ist zwar schwer vorstellbar, dass eine Regierung ihre eigenen Interessen und ein solches Geschäft derart naiv verstolpert. Aber das ist die Erklärung, die Finanzministerium und Kanzleramt diese Woche selbst präsentierten. In einer ohnehin schwierigen politischen Lage hat sich die Koalition – völlig unnötig – ein weiteres Problem und Konfliktthema aufgehalst: Getrieben von den Ereignissen muss sie nun ihre Haltung zur Commerzbank, zum Bankenstandort Deutschland und zum Finanzplatz Frankfurt sortieren. Leicht wird das für sie nicht. Und besonders souverän wirkt es auch nicht.