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Kommentar Vier kleine große griechische Wahrheiten

Der „Grexit“ fällt wohl aus. Was nicht heißt, dass wir unser Geld je ganz wiedersehen. Von Horst von Buttlar
Griechenland: Bei den Parlamentswahlen könnte die Linke gewinnen
Griechenland: Bei den Parlamentswahlen könnte die Linke gewinnen
© Getty Images
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Horst von Buttlar ist Chefredakteur von Capital

Das Anstrengende an Griechenland ist ja, dass alle Betrachtungen über das Land sprachlich sofort eine „griechische Tragödie“ sind. Blöd, wenn man das Theater erfunden hat (das Problem hat Portugal zum Beispiel nicht.) Als das Neue Jahr also begann, wurde besagte griechische Tragödie in einem ihrer inzwischen zahllosen Akte aufgeführt, vermutlich mal wieder in ihrem „letzten“, bis irgendwann „der Vorgang fällt“.

Für alle, die gedanklich noch unter dem Weihnachtsbaum liegen: Griechenland ist wieder da. Am 25. Januar wird gewählt, und Favorit ist ein Mann mit dem Charisma eines John F. Kennedys und dem Programm eines Oskar Lafontaines: Alexis Tsipras. Tsipras ist Schäubles schlimmster Albtraum.

Die Deutschen sind längst alarmiert, und zu Jahresbeginn gab es eine etwas eigenartige Meldung, dass unsere Regierung ein Austritt Griechenlands („Grexit“) inzwischen nicht mehr so schreckt. Weil man sich erstens nicht erpressen lassen will und zweitens alles viel sicherer und weniger ansteckend als vor einigen Jahren geworden ist, und man drittens überhaupt im Management von Großkrisen und Flächenbränden ja viel mehr Erfahrung habe.

Zwar hat die Regierung inzwischen dementiert, dass sie so tiefenentspannt ist, aber die Debatte um den „Grexit“ war doch so relaxed, es wurde kühl und kühn gerechnet, dass man den Eindruck gewinnen konnte, die Deutschen hätten ihre Panikvorräte allesamt bei Pegida in Dresden verbraucht. Ausgerechnet wir Deutschen, die, angsterfüllt ihr liebes Geld zu verlieren, halb Europa umgebaut haben, um künftig sicher vor Krisen und Schluderländern zu sein.

Inzwischen sind doch einige aufgewacht, denn die Wahl in Griechenland erinnert uns an eine Tatsache, die wir einige Zeit erfolgreich verdrängt haben: Wir haben ein Land inmitten unseres Währungsraums, dass ein existentielles wirtschaftliches Problem hat, egal wie viel Reformprogramme wir ihm verordnen. Und so haben sich am Wochenende auch Stimmen aus Brüssel gemeldet, die ebenfalls vom Schuldenschnitt sprechen – die Größenordnung schwankt um bis zu einem Drittel, nur über den Zeitpunkt ist man sich uneinig. Noch in diesem Jahr, erst in ein paar Jahren? Das erinnert an Architekten, die darüber streiten, wann ein Haus genau einstürzen soll.

Deshalb sind hier nochmal vier einfache, griechischen Wahrheiten:

1. Wenn Griechenland aus dem Euro austritt, ist überhaupt nicht sicher, was passiert. Das einzige, was sicher ist, dass unser Geld weg ist.

Die Schätzungen, was Deutschland verlieren würde, rangieren zwischen 30 und 80 Mrd. Euro, je nachdem, wie man die zahlreichen Hilfspakete – über deren halb oder ganz ausgezahlte Tranchen man auch mal den Überblick verlieren kann –, die Forderungen der EZB oder die berühmten Target-Salden zusammenrechnet. Und je nachdem, wie viel das vom Euro befreite Griechenland noch an Schulden bedienen würde.

Nun gibt es einige Ökonomen, die zu Recht einwenden, dass Griechenland ohnehin einen Schuldenschnitt brauche. Nach dem Motto: Lasst uns den Zirkus mit den Hilfspaketen beenden und endlich reinen Tisch machen. Das klingt vernünftig und verlockend. Marcel Fratzscher etwa plädiert dafür, Griechenland die Hälfte seiner Schulden zu erlassen. „Wir sollten uns auf eine Diskussion über eine Schuldenumstrukturierung einlassen“, hat der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) gesagt. Er schlägt einen Weg vor, den man sonst bei Entwicklungsländern wählt: konditionierte Schuldentilgung, also statt Athen frisches Geld für Reformen zu geben (mit dem es vor allem alte Schulden bedient), könnte man die Schulden streichen. „Das heißt“, sagt Fratzscher, „120 Milliarden Euro müssten eigentlich abgeschrieben werden.“ Deutschland werde als Gläubiger dann wahrscheinlich „mit 40 bis 50 Milliarden Euro dabei“ sein. Eine solche Summe sei für uns „verkraftbar“.

So vernünftig der Gedanke ist, ist er politisch kaum durchsetzbar. Denn dieses Planspiel müsste durch den Bundestag. Es ist unwahrscheinlich, dass sich das Schwarze-Null-Berlin darauf einlässt. Wie will man das den Wählern verkaufen? Man wird eine Alternative suchen, um die Illusion aufrechtzuerhalten, Griechenland könne seine Schulden tragen.

2. Wir werden den Griechen die Schulden nicht erlassen. Aber sie werden sie auch nie ganz zurückzahlen.

Griechenland ist eben nicht Sierra Leone oder Malawi. Für solche Länder der Dritten Welt gibt es immer wieder große Schuldenerlasse. Griechenland hat ein ganz anderes Problem: Es ist in der EU, und wenn man den Griechen die Hälfte der Schulden streicht, fragen die Iren oder Portugiesen zu Recht, warum sie nicht auch einen Erlass bekommen. Nicht zu vergessen die Italiener – was ja eine Art EU-Faustformel geworden: Don't mention Italy. Zwar hat man in der Euro-Rettungsgeschichte immer wieder betont, dass Griechenland ein Einzelfall ist. Trotzdem: Kann man einen solch starken Schuldenerlass nur auf Athen begrenzen?

3. Die griechischen Schulden waren noch nie so hoch. Aber sie waren noch nie so gut.

Wären die griechischen Schulden griechischer Wein, wären sie gepanscht und gestreckt – will heißen: Die Staatsschuld ist mit 175 Prozent zwar abenteuerlich hoch. Aber sie sind nicht dramatischer als die von Italien, dessen Schuldenquote bei 130 Prozent liegt. Warum ist das so? Weil Schulden eben nicht wie Wein sind. Bei Schulden kommt es nicht nur auf die absolute Höhe an, es kommt darauf an, wer die Gläubiger, wie lange die Laufzeiten sind usw. – wie also die Struktur der Schulden ist.

Die Summe griechischer Schulden beträgt 322 Mrd. Euro, davon liegen rund 80 Prozent oder 260 Mrd. Euro bei öffentlichen Institutionen wie dem Rettungsfonds EFSF (rund 142 Mrd. Euro), anderen Ländern oder der EZB. Sagen wir mal so: Das sind keine Gläubiger, die Stress machen. Argentinien muss sich gerade mit Hedgefonds herumschlagen, die Schiffe pfänden.

Athen hat die wohl gütigsten und verständnisvollsten und vorhersehbarsten Gläubiger der Welt. Diese Gläubiger haben in den vergangenen Jahren alles dafür getan, die Zinslast zu senken und die Tilgung zu strecken, und sie würden es jederzeit wieder tun (wobei da nicht mehr so viel Spielraum ist.) Das hat dazu geführt, dass die durchschnittliche Zinsbelastung Griechenlands bei 2,4 Prozent liegt, wofür man auf dem Syntagma-Platz im Grunde jeden Tag einen Strauß Rosen niederlegen müsste – im Vergleich: die deutsche Durchschnittsbelastung liegt bei 2,7 Prozent. Während sich also die Japaner und Italiener sorgen müssen, ob ihre Landsleute noch in den kommenden Dekaden genügend Geld haben werden, um der eigenen Regierung Bonds abzukaufen (oder wie lange in Japan das tollkühne Experiment der Zentralbank weitergeht), muss Griechenland sich bei all seinem Elend sehr viel weniger fürchten.

4. Der „Grexit“ bleibt ein Gedankenspiel für Ökonomen. Die Politik muss weiter auf Taschenspielertricks setzen.

Es wird, wie immer in der Politik, einen neuen Kompromiss geben. Denn was würde bei einem klassischen Schuldenschnitt passieren?„Die Politiker der Geberländer wie Deutschland müssten ihren Wählern erklären, dass die Hilfskredite anders als stets behauptet verloren sind“, sagt etwa Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. „Dagegen ist es sehr viel einfacher, erneut einen Kompromiss auszuhandeln.“ Richtig. Das Gute an diesen Kompromissen ist nämlich, dass sie in der Regel nur ein paar Fachleute verstehen. Außerdem muss man einem Wahlsieger Tsipras schon einen Erfolg zugestehen. Er wird keinen Schuldenschnitt von 70 Prozent bekommen – aber irgendetwas muss er erreichen, sonst fliegt sein Bündnis aus Kommunisten und Trotzkisten sofort auseinander, und man kommt in die Neuwahlspirale. Das sind immer verlorene Monate, weil niemand reformiert. Schon jetzt herrscht seit Sommer in Athen faktisch Stillstand.

Auch Tsipras weiß, dass ein Austritt Griechenlands zu Chaos führen würde – wer würde dem Land, das seit Jahren vom Kapitalmarkt abgeschnitten ist, danach frisches Geld leihen? Und wenn sich doch ein Kapitalgeber findet, welche Zinsen würde er verlangen? Der Austritt würde nicht zu einem wundersamen Anstieg der Exporte führen, die Inflation könnte rasant steigen, weil ein Griechenland ohne Euro vor allem auf die Hilfe der griechischen Notenbank angewiesen wäre.

Also wird auch Tsipras, bei aller Radikalität, einen Kompromiss suchen. Beide Seiten, die Troika auf der einen, die Griechen auf der anderen, können also drohen und fühlen sich bedroht. Und beide Seiten stehen unter Zeitdruck, weil Ende Februar ein Hilfsprogramm ausläuft, es wurde Ende Dezember um zwei Monate verlängert. Niemand kann wollen, dass Griechenland „aus Versehen“ Pleite geht.

Diese Kompromisse sind nie eine Lösung, sie sind immer eine Etappe, ein Versuch zu überdecken, dass nicht nur Griechenland ein massives Schuldenproblem hat – sondern fast ganz Europa.

Das ist das einzige Verlockende an dem Vorschlag von Tsipras, der eine Schuldenkonferenz nach dem Vorbild des Londoner Abkommens von 1953 fordert: Irgendwann, das war schon immer so, müssen sich Schuldner und Gläubiger an einen Tisch setzen und über die Schulden reden – ganz zurückgezahlt wurden sie nie, der Erlass ist die Regel für jene, die nicht mehr aus eigener Kraft umschulden können, neue Schulden aufnehmen oder die alten bedienen. Das hat nichts mit Moral zu tun, sondern mit einfacher Mathematik.

Also: Auf zum nächsten letzten Akt in der griechischen Tragödie!

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