David Milleker ist seit 2006 Chefvolkswirt bei Union Investment, einer der größten deutschen Fondsgesellschaften. Sie gehört zur genossenschaftlichen Finanzgruppe.
In den letzten fünf Jahren fühlt man sich manchmal ein bisschen wie im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Zur Jahreswende gibt es stets hohe Erwartungen, dass endlich die guten Zeiten wiederkommen. Und spätestens gegen Sommer und Herbst die große Enttäuschung, dass es doch wieder anders gekommen ist.
Am auffälligsten ist folgendes Muster: Die US-Wirtschaft wird von den Prognostikern im kommenden Jahr regelmäßig auf eine Wachstumsrate von drei Prozent taxiert. Am Jahresende kommt dann aber meist nur etwas in der Größenordnung von zwei Prozent heraus. Dahinter steckt die Erwartung, dass man nach tiefen Krisen doch zügig auf den Vorkrisentrend zurückkehren können müsste. In Europa haben wir dieses Jahr Ähnliches erlebt. Die knapp ein Prozent Wachstum sind zwar um Meilen besser als der Schrumpfungsprozess während der Euro-Krise, aber gemessen an den hohen Erwartungen nicht toll.
Was steckt hinter diesem Phänomen?
Zunächst einmal kommt es für den wirtschaftshistorisch Interessierten nicht ganz überraschend. So wiesen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff in ihrem Bestseller „Diesmal ist alles anders“ von 2008 darauf hin, dass die Erholung von Finanzkrisen im Schnitt sieben Jahre dauert. In dieser Anpassungsphase sei das Wachstum schleppend. Eine etwas technischere Sicht, aber mit dem gleichen Ergebnis, kommt zustande, wenn man sich vor Augen hält, was in der Volkswirtschaft eigentlich Wirtschaftsaktivität ausmacht. Nämlich die Produktion und der Umschlag von Gütern und Dienstleistungen.
Was nach einer Krise anzutreffen ist, kann man als „Abwarte-Ökonomie“ bezeichnen. Die Unternehmen haben schlecht ausgelastete Maschinenparks – sie investieren deswegen wenig und schaffen wenige Arbeitsplätze. Die Verbraucher – größtenteils Arbeitnehmer – fühlen sich durch den schwachen Arbeitsmarkt verunsichert und kaufen weniger ein. Der Staat hat wegen des geringen Steueraufkommens hohe Defizite und kürzt deshalb seine Ausgaben. Sprich: Jeder handelt aus seiner Warte rational, wenn er erst einmal zuwartet, bis vielleicht dann doch jemand anderes in Vorleistung tritt. Mit der Konsequenz, dass die Transaktionsgeschwindigkeit, auch Wachstum genannt, mau bleibt.
An diesem Punkt kommt dann bei Volkswirten eine von zwei Grundneigungen zum Vorschein. Eine dieser Grundneigungen ist der Hyperaktivismus. So lässt sich etwa logisch gut argumentieren, dass der Attentismus dadurch durchbrochen werden kann, indem etwa Regierung oder Zentralbank (am besten beide) glaubhaft versichern, sich eben nicht vorsichtig zu verhalten. Um einen Ausdruck des US-Ökonomen Gauti B. Eggertsson zu gebrauchen: „credibly committing to being irresponsible“.
Die zweite Grundneigung ist der Entwicklungspessimismus. Weil es schon so lange keine hohen Wachstumsraten gegeben hat, muss „das Potenzial“ gesunken sein, will heißen: Wir können gar nicht schneller wachsen. Die Beweisführung erinnert aber stark an den mittelalterlichen Gottesbeweis. Man kann auch von einem unzulässigen Zirkelschluss sprechen: Wir sind die letzten Jahre nicht schnell gewachsen, also muss das Potenzial gesunken sein, weshalb wir in Zukunft auch nicht schnell werden wachsen können.
besser heißt noch lange nicht gut
Was beide Sichtweisen unzureichend beleuchten, ist die Bedeutung von Zeit in wirtschaftlichen Prozessen. Es ist ja nicht so, dass es seit 2008 keine Entwicklung gegeben hätte: Wirtschaftsmodelle haben sich geändert, Exzesse sind – größtenteils schmerzlich – beseitigt worden. Neue Techniken wie die Schiefergasförderung haben sich durchgesetzt, die Welt ist mit fossilen Energieträgern überversorgt und der sinkende Ölpreis wirkt wie ein kleines Konjunkturprogramm.
Reicht das schon für den großen Durchbruch im nächsten oder zumindest übernächsten Jahr? Vermutlich wird man auch dann sagen können: Ja, es ist besser geworden. Aber besser heißt noch lange nicht gut.