Capital: Herr Richenhagen, Sie bezeichnen sich als wirtschaftskonservativ und bekennenden Kritiker von US-Präsident Donald Trump. Was macht er gerade für eine Figur?
MARTIN RICHENHAGEN: Es ist unsere Aufgabe als Wirtschaftsführer, unsere politische Führung kritisch zu begleiten. Im Streit um die Haushaltsblockade ist gerade gut erkennbar, dass es Trump nicht mehr so leicht fällt, Dinge durchzusetzen. Die Demokraten haben im Kongress jetzt wesentlich mehr Einfluss. Was erstaunlich ist: Er sagt ja immer, er sei ein Dealmaker, aber er macht in den Verhandlungen eine ganz schwache Figur. Auf dem Weg der Erpressung, versucht er jetzt seine Ziele zu erreichen. Ich glaube, dass das mit der Finanzierung der Mauer zu Mexiko und dem Stillstand der Regierung so nicht funktionieren wird.
Sie erhoffen sich von einer demokratischen Mehrheit im Kongress Gutes für die Wirtschaft. Gilt das auch in der Handelspolitik?
Außenwirtschaftlich sind die Amerikaner insgesamt der Meinung, dass das Handelsbilanzdefizit mit Deutschland oder der EU ein Thema ist. Auch die Demokraten sind der Ansicht, dass beispielsweise Deutschland hier zu wenig tut. Da wird sich handelspolitisch wenig verändern.
Die US-Arbeitslosigkeit liegt auf dem niedrigsten Stand seit 50 Jahren, ausländische Investitionen fließen ungebremst. Hat Trump dann nicht auch etwas richtig gemacht? Sie bezeichneten ihn mal als „ungebildet“ – er habe „keine Ahnung von Wirtschaft“...
Ich bin nach wie vor überrascht, wie wenig Tiefgang und Allgemeinbildung der Präsident hat. Er ist nicht solide vorbereitet und schießt immer emotional aus der Hüfte. Er hat einige Dinge gut gemacht, um Arbeitsplätze zu schaffen, etwa im Energiesektor und im Kohlebergbau. Das ist aber nicht gut für die Umwelt. Also muss man das differenziert betrachten.
Welche Halbzeitbilanz würden Sie ziehen?
Eigentlich lässt sich das Positive ganz leicht reduzieren auf die Steuerreform, die gewirkt und für Wachstum gesorgt hat. Tatsächlich haben die amerikanischen Unternehmen mehr investieret. Auch Agco hat sehr viel Kapital aus Europa und dem Rest der Welt in die USA zurücktransferiert. Als Anhänger des Freihandels bin ich aber der festen Überzeugung, unsere Waren sollten frei und ohne Zölle hin und her reisen dürfen.
Wie ist gerade die Stimmung unter Ihren CEO-Kollegen? Macht sich nach dem „Sugar-High“ der Steuerreform Ernüchterung breit?
Ja, die Leute sind ernüchtert. Es ist auch daran zu erkennen, dass keiner mehr mit Trump zusammenarbeiten will, wenn er einen neuen Minister sucht. Früher haben sich viele aus der Wirtschaft engagiert. Das findet jetzt nicht mehr statt.
Bekommt Trump Gegenwind im Handelskonflikt mit China und Europa? General Motors schließt Werke und beziffert die Kosten durch Strafzölle auf Stahl auf 1 Mrd. Dollar...
GM-CEO Mary Barra ist nicht die einzige, es gibt viele andere. Wenn Unternehmen im Exportgeschäft behindert oder Komponenten beim Import teurer werden, müssen Unternehmen reagieren.
Auch Apple-Chef Tim Cook begründet seine Gewinnwarnung mit ernsten Auswirkungen des Handelskonflikts, der China schwächt und damit Apples Erlöse drückt. Kündigen sich da noch mehr Umsatzwarnungen an?
Daran sieht man, dass GM nicht alleine dasteht. Ich glaube schon, dass sich langsam herauskristallisieren wird, welchen Schaden Trump mit Strafzöllen und Sanktionen verursacht. In unserem Fall kaufen die Chinesen deshalb keine Sojabohnen, keinen Mais und kein Schweine- und Rindfleisch mehr in den USA. Sie haben das alles vor allem nach Brasilien umorganisiert. Für unsere Kunden, also die amerikanischen Landwirte, ist das sehr schlecht. Zugesagte Subventionen fließen nicht, weil das Agrarministerium geschlossen ist. Das hat zur Folge, dass die Farmer weniger investieren. Das wird sich auch auf unser Geschäft auswirken und in noch größerem Umfang auf das Geschäft unserer Wettbewerber, die in den USA einen größeren Marktanteil haben. Das sieht bei anderen Produkten und anderen Firmen ähnlich aus.
Nach Umfragen spüren mehr als 40 Prozent der CFOs in den USA einen direkten Schaden durch amerikanische Strafzölle auf Stahl und Aluminium und den chinesischen Gegenzöllen. Wie stark bringt das einen Weltmarktführer wie Agco in die Bredouille?
Die Stahlzölle führen bei uns zu einer massiven Preiserhöhung im Einkauf. Es ist uns gelungen, das an die Kunden weiterzugeben, weil wir früh damit angefangen haben. Wir sprechen umgerechnet von einem Aufschlag von zwei bis drei Prozent. Die US-Börsen waren insgesamt eingeknickt ab dem dritten Quartal 2018 und wir mit. Nach der Vorstellung unserer neuen Strategie an der Wall Street hat sich der Kurs deutlich erholt. Im Augenblick können wir nicht klagen. Wir wollen in zwei Schritten die Umsatzrendite deutlich verbessern, in diesem Jahr um zwei Prozentpunkte. Im Jahr 2020 streben wir eine Marge von zehn Prozent an, das ist eine Verdoppelung gegenüber 2018. Kern ist eine Erhöhung der Produktivität durch die Optimierung unserer Abläufe und Prozesse. Wir machen Dinge intelligenter und schneller, etwa mit dem Einsatz von Drohnen zur Inventur. Dafür hätten sie früher 50 Mann eine Woche beschäftigt. Das geht jetzt digital in Minuten. Das verbessert die Planung und reduziert die Lagerbestände, an allen Standorten weltweit.
Haben sie wegen der Unsicherheit im Welthandel Investitionen zurückgehalten oder umgelenkt?
Nein, Wir haben einen guten globalen Footprint. Nur die Lieferungen von kleinen Traktoren aus China haben wir umgeleitet nach Brasilien, weil sich das mit den Zöllen von 25 Prozent nicht mehr gerechnet hat. Aber bei der Infrastruktur mussten wir nichts verändern.
Wie beobachten Sie die Investitionsbereitschaft in den USA? Es gab Warnungen, Trumps Handelsschranken würden sich negativ auswirken?
Ich höre eher von zusätzlichen Investitionen in den USA. Ich glaube nicht, dass es eine Abschwächung geben wird. Auch für das Geschäftsklima in der Landwirtschaft gehen wir von einem flachen Wachstum aus. 2019 wird ähnlich verlaufen wie 2018.
Agrarprodukte wären unter den größten Gewinnern, wenn ein Handelskrieg mit China verhindert werden kann. Die Lage kann aber auch eskalieren ...
Weitere Zölle befürchte ich nicht, aber es wäre schon schlecht, wenn es so bliebe. Ich gehe davon aus, dass das Thema irgendwann erfolgreich verhandelt wird, und dass die amerikanischen Getreidebauern und Geflügelzüchter wieder nach China exportieren können.
Die von Trump angezettelten Handelskonflikte haben zum Jahreswechsel die US-Börse gedrückt und trüben die Wachstumserwartungen – in den USA wie in China. Kann Trump solche Rückschläge lange abfedern und auf Kurs bleiben?
Die Börse ist immer eine Momentaufnahme. Im Augenblick sieht es eher wieder positiv aus. Von einer Konjunkturabkühlung kann man auch nicht reden. Das kann sich ändern, aber wenn dann eher branchenbezogen. In China gibt es tatsächlich einen Abschwung. Da ist die Frage: Was macht die Regierung? Wir wissen, dass die Chinesen Konjunkturprogramme auflegen, wenn es kritisch wird. Wir selbst machen in China ein ordentliches Geschäft, wir haben dort zwei große Werke, der Markt ist riesengroß.
China und die USA verhandeln zwar, aber sehen Sie Anzeichen für eine Entwarnung?
Ich habe schon den Eindruck, dass Trump das China-Thema gerne zum Abschluss bringen würde. Man muss abwarten, wie die nächsten Verhandlungsschritte sind. Aber Vorhersagen sind bei Trump schwierig.
Und mit Europa? Was halten Sie von einem möglichen transatlantischen Abkommen TTIP light?
Es wäre hilfreich gewesen, wenn wir das Freihandelsabkommen vereinbart hätten. Europa hätte eine ganz andere Basis für den Handel mit den USA – immer vorausgesetzt, Trump hätte es nicht zurückgenommen. Übrigens glaube ich, dass sich auch in Deutschland das viel beschworene Chlorhühnchen durchsetzen wird. Der Anteil mit Bakterien und Viren verseuchter Tiere ist in Deutschland in zwei Jahren von 40 auf 70 Prozent gestiegen. Ich gehe davon aus, dass man das anders nicht in den Griff bekommt.
Ein TTIP-light würde aber die Landwirtschaft nicht einschließen...
Sie ist deshalb nicht drin, weil die Europäer es nicht wollen. Ich kann mir aber keinen Deal mit den Amerikanern vorstellen, wo ein wesentliches Produkt aus den USA in Europa nicht verkauft werden kann. Das wäre schon sehr unausgeglichen. Ein neuer Anlauf ist sehr gut, aber die Idee, die Landwirtschaft ganz außen vor zu lassen, halte ich für unrealistisch.
Glauben Sie, dass Trump die Welthandelsarchitektur unwiederbringlich geschreddert hat? Ist eine WTO-Reform aussichtlos?
Die WTO hat ja nie richtig funktioniert und nur Geld gekostet. Politische Strukturen tun sich mit Erneuerungen schwer, obwohl für beide eine Reform dringend nötig wäre. Bei der WTO könnte Deutschland die Initiative ergreifen, weil wir am meisten vom Exportgeschäft profitieren. Wenn die Amerikaner nicht mitziehen, dann muss es ohne sie gemacht werden.
Apropos Deutschland: Was sollte sich in den deutsch-amerikanischen Beziehungen ändern, wenn die Ära Merkel zu Ende geht? Sie hatten auf einen CDU-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten Friedrich Merz gesetzt ...
Der CDU ist die Wirtschaftskompetenz im Lauf der letzten Jahrzehnte abhanden gekommen. Dafür wurde die Partei lange gewählt. Wenn Frau Kramp-Karrenbauer ungefragt sagt, sie habe von Wirtschaft keine Ahnung, dann ist das eine Katastrophe. Wir brauchen mehr Politiker, die diese Kompetenz haben und auch eine Vision entwickeln können. Das war schon eine Schwäche von Merkel und ich glaube, das ist auch eine Schwäche der neuen Vorsitzenden. Wenn die Partei sich für eine ehemalige Ministerpräsidentin aus dem absoluten Schlusslicht im Wirtschaftsranking der Bundeländer entscheidet, muss man sich die Frage stellen, qualifiziert das wirklich für eine zukünftige Kanzlerschaft? Da habe ich schon Bauchschmerzen.
Wie müsste die nächste Regierung in Washington auftreten?
Sie müsste erst mal mehr kommunizieren. Das Verhältnis zwischen Angela Merkel und Trump ist nicht gut. Darum muss man sich in schwierigen Zeiten bemühen, in guten aber auch. Ich habe Merkel das mal gefragt, da war sie fast beleidigt. Wenn man ein enges Verhältnis zu einem Partner unterhalten will, hilft Aussitzen nicht. Trump ist empfänglich für emotionale Gesten.
Wie sehen sie dem Rest der Amtszeit Trumps entgegen. Hat er noch Trümpfe im Ärmel?
Wohl kaum. Er war der Eisbrecher, hat die Steuerreform durchgesetzt und neue Oberste Richter. Jetzt würden sich schon vernünftige Republikaner wünschen, dass er den Job übergibt. Ich halte es aber für wahrscheinlich, dass er nochmal antritt.