Günter Franke, Professor an der Universität Konstanz. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Internationales Finanzmanagement
Hörbar atmete die europäische Finanzindustrie auf, als die europäische Zentralbank am 26. Oktober die Ergebnisse ihrer Analyse der größten europäischen Banken bekannt gab. Von den 130 Banken, die geprüft wurden, fielen zwar 25 Banken durch, die Hälfte hatte jedoch bereits Vorsorge getroffen, sodass den 13 gefährdeten Häusern nur noch 9,5 Mrd. Euro an Eigenkapital fehlen. Dies ist ein relativ kleiner Betrag. Allerdings trifft er vor allem Banken in Südeuropa, wo die wirtschaftlichen Probleme besonders ausgeprägt sind.
Die Analyse der EZB verbindet eine klassische Bilanzanalyse im Asset Quality Review mit einem zukunftsorientierten Stresstest. Im Asset Quality Review werden die einzelnen Positionen einer Bank nach dem Einzelwertprinzip geprüft und gegebenenfalls wertberichtigt. Im Stresstest werden dieselben Positionen in einem „milden“ Basisszenario und einem adversen Szenario neu bewertet. Den Test besteht eine Bank, wenn sie im moderaten Szenario eine harte Kernkapitalquote von mindestens acht Prozent und im adversen Szenario von mindestens 5,5 Prozent erreicht.
Belastungstest mit Schwächen
Kontrovers ist stets die Festlegung eines Szenarios. So erwies sich der Stresstest 2011 als viel zu weich, wie sich insbesondere in Spanien zeigte. Andererseits darf das adverse Szenario nicht so hart gewählt werden, dass zahlreiche Banken durchfallen und es dadurch zu einer Krise kommt. Damit wird die Festlegung des Stressszenarios indirekt durch die erwarteten Ergebnisse des Stresstests mitbestimmt. Diese unerwünschte Kausalität ließe sich vermeiden, wenn die Ergebnisse des Stresstests nicht veröffentlicht würden. Diesem Modell folgt die Schweizer Bankenaufsicht. Angeblich hat sie die Schweizer Banken einem härteren Stresstest unterzogen.
Weithin verbreitet ist ein anderes Qualitätsmaß, nämlich das Rating von Banken. Bei diesem spielt nicht nur die klassische Bilanzanalyse eine Rolle, sondern ebenfalls Ertragskraft und Risiko einer Bank. So kann eine Bank bei der klassischen Bilanzanalyse schlecht abschneiden, jedoch gut bei der Analyse von Ertrag und Risiko. Sie wäre dann erfolgreich, aber in klassischer Betrachtung instabil. Zweifellos wirft die Prognose von Ertrag und Risiko erhebliche Schwierigkeiten auf und ist Manipulationsversuchen ausgesetzt. Ein einfacher erster Ansatzpunkt besteht darin, Erträge und Risiken der Vergangenheit in die Zukunft zu extrapolieren. Damit wird jedoch nur eine Durchschnittsentwicklung statisch prognostiziert.
Diese ist auf jeden Fall um einen Stresstest zu ergänzen. So kann in einer schwierigen Situation das Neugeschäft einer Bank wegbrechen, sodass ihre Erträge einbrechen. Ebenso kann aus einem Risiko ein hoher Verlust entstehen. Beide Effekte werden jedoch von einer Bilanzanalyse oder einem Stresstest, der lediglich auf die vorhandenen Positionen einer Bank abstellt, nicht erfasst. Daher hat die von der EZB veranstaltete Untersuchung einen statischen Charakter. Sie erinnert an die statische Bilanztheorie, die bereits vor fast 100 Jahren von Eugen Schmalenbach kritisiert und durch eine dynamische Bilanzanalyse ergänzt wurde. Eine Bank, die in der EZB-Analyse gut abschneidet, kann dennoch einen dürftigen Erfolg aufweisen.
Bedeutung des Marktwertes
Auch wenn es um das systemische Risiko einer Bank geht, ist eine dynamische Betrachtungsweise wichtig. So kann eine Bank, die einen hohen Marktwert relativ zum Buchwert hat, also ein hohes Tobin´s Q, leichter Eigenkapital beschaffen und damit ihre Solvenz festigen. Ähnlich stellt auch das KMV-Modell einen Versuch dar, die Insolvenzgefahr eines Unternehmens anhand seines Marktwertes, vermindert um eine Insolvenzschwelle, zu messen. Dieses Modell wird heute von vielen Banken in ihrem Kreditgeschäft genutzt, und zwar auch dann, wenn das Unternehmen des Schuldners nicht an einer Börse notiert ist. Der Marktwert wird deswegen als besonders wichtig angesehen, weil er eine Prognose der Ertragskraft unter Berücksichtigung des Risikos seitens der Investoren beinhaltet.
Die Berücksichtigung von Ertrag und Risiko wäre weniger wichtig, wenn alle systemisch relevanten europäischen Banken mit ähnlichen Risiken ähnliche Erträge erzielten. Seit langem jedoch erwirtschaften deutsche Banken deutlich geringere Renditen als viele ausländische, z.B. englische Banken. Dieser Renditeunterschied kann nicht allein auf unterschiedliche Risikoübernahme zurückgeführt werden. Vermutlich ist der Wettbewerb unter den Banken in Deutschland härter, ohne dass das Kostenmanagement weniger effizient ist. Daher ist die Insolvenzgefahr einer deutschen Bank höher als die einer englischen, die dasselbe Portfolio von Bankaktivitäten betreibt. Von einem einheitlichen europäischen Markt für Banken, der mit dem neuen einheitlichen Überwachungsmechanismus und dem einheitlichen Abwicklungsmechanismus für Banken erreicht werden soll, sind wir noch weit entfernt.
Wenn die Banken in Zukunft weiteres Eigenkapital beschaffen wollen, um strengeren Kapitalanforderungen zu genügen, dann sollten die Investoren sich nicht mit den Ergebnissen einer klassischen Bilanzanalyse und eines Stresstests begnügen. Viel wichtiger ist die Frage, ob das Geschäftsmodell einer Bank in Zukunft noch tragfähig ist. Banken, bei denen dies zweifelhaft ist, sollten entweder ein nachhaltiges Geschäftsmodell entwickeln oder sich aus dem Markt zurückziehen. Wenn die Investoren die finanzielle Unterstützung versagen, dann sollte der Sitzstaat die Marktbereinigung nicht durch staatliche Hilfe verhindern.