Exklusiv Rätsel um Leerverkäufer bei Steinhoff

Steinhoff International ist für seine Billigketten bekannt - in Deutschland etwa für Poco
Steinhoff International ist für seine Billigketten bekannt - in Deutschland etwa für Poco
Ein Report der Analystengruppe Viceroy über den Bilanzskandal beim Handelsriesen Steinhoff schlug ein wie eine Bombe. Nun zeigt sich: Viceroy hat abgekupfert – bei anderen Shortsellern, denen die Mauscheleien früher aufgefallen waren

Als wäre der Bilanzskandal beim Möbelhändler Steinhoff International noch nicht außergewöhnlich genug gewesen: Nur einen Tag, nachdem der deutsch-südafrikanische Konzern Anfang Dezember erstmals „Unregelmäßigkeiten“ bei der Buchführung eingeräumt hatte, veröffentlichte die zuvor unbekannte Viceroy Research Group eine detaillierte Analyse, wie die Manipulationen abliefen . Der Report beschleunigte den Absturz der Steinhoff-Aktie, die binnen weniger Tage um mehr als 85 Prozent abschmierte.

Aufsehen erregte nicht nur, was die Analysten alles herausgefunden hatten – Fachkreise lobten den Report schnell als hervorragende Recherche. Die Publikation sorgte auch deshalb für Gesprächsstoff, weil niemand wusste, wer diese scheinbar genialen Analysten waren: Auf ihrer Website beschreiben sie sich bis heute nur als „eine Gruppe von Individuen, welche die Welt anders sehen“. Anstelle eines Impressums findet sich dort eine Gmail-Adresse. Das Rätsel um Viceroy war ein eigener Krimi im Steinhoff-Krimi.

Erst einen guten Monat nach der Veröffentlichung wurden die Köpfe hinter Viceroy geoutet : der Brite Fraser Perring, ein ehemaliger Sozialarbeiter, und zwei 23-jährige Australier. Perring ist in der Finanzszene kein Unbekannter : Er steckte auch hinter der Analysefirma Zatarra Research & Investigations, die 2016 dem Münchner Zahlungsabwickler Wirecard in einer Analyse kriminelle Machenschaften vorgeworfen hatte. Direkt nach der Publikation der Zatarra-Studie brach damals der Wirecard-Kurs um zeitweise bis zu 25 Prozent ein. Zuvor hatten Hedgefonds bis zu 13 Prozent aller Wirecard-Aktien leerverkauft und auf sinkende Kurse gewettet. Bei ihnen klingelte nun die Kasse.

Die neue Capital erscheint am 22. März
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Auch bei Steinhoff International, dem größten Möbelimperium nach Ikea mit Wurzeln im niedersächsischen Westerstede, haben Leerverkäufer ab dem Sommer 2017 kontinuierlich ihre Positionen ausgebaut. Laut dem Finanzdienstleister Markit stieg der Anteil der verliehenen Steinhoff-Aktien an der Börse in Johannesburg von 1,5 Prozent Anfang Juni auf rund drei Prozent Mitte Juli. Als Ende August die ersten Berichte über die mutmaßlichen Bilanzfälschungen und Ermittlungen gegen CEO Markus Jooste erschienen, kletterte er auf mehr als fünf Prozent. Nach dem Crash und Joostes Abgang Anfang Dezember schoss der Anteil verliehener Aktien sogar auf 13 Prozent in die Höhe.

Auch an der Frankfurter Börse, wo der Steinhoff-Konzern seit Ende 2015 ebenfalls notiert ist, stiegen Spekulanten im Laufe des Jahres ein – wenngleich auf niedrigerem Niveau als in Südafrika. Wer in Deutschland mindestens 0,5 Prozent der frei handelbaren Anteile eines Konzerns ausleiht, muss das der Börsenaufsicht melden. Im Fall Steinhoff traf das auf zwei Hedgefonds zu : Bereits im Frühjahr 2016 überschritt die US-Finanzfirma Och-Ziff die Meldeschwelle, der von Chris Hohn gegründete britische Hedgefonds TCI Mitte November 2017 - drei Wochen vor dem großen Crash.

Für die Börse in Johannesburg lassen sich keine vergleichbaren Aussagen machen, da es in Südafrika es keine Meldepflichten für Shortpositionen gibt. Doch Viceroy hat in Interviews selbst zugegeben, zu den Leerverkäufern zu gehören .

Vorlage von Londoner Hedgefonds

Dass bei Steinhoff nicht alles zum Besten stand, machte also unter Hedgefonds und Leerverkäufern ganz offensichtlich schon früher die Runde. Ein eindeutiger Beleg dafür ist ein Report über Steinhoff, den ein Londoner Hedgefonds namens Portsea Asset Management erstellt hat. Dieser Report liegt Capital vor. Er stammt aus dem Juni 2017, ist also ein halbes Jahr älter als jener von Viceroy. Sein Titel im Original: „Steinhoff – The Emperor-builder Has No Clothes“. Bemerkenswert daran: Weite Strecken der 32-seitigen Analyse entsprechen dem Viceroy-Bericht bis ins Detail.

So belegten bereits die Portsea-Analysten präzise, wie Steinhoff International dubiose Geschäfte mit offenbar eigens eingerichteten Finanzvehikeln machte. Diese wurden von Personen aus dem Konzernumfeld geleitet und teilweise auch von Steinhoff finanziert; in der Bilanz tauchten sie dennoch nicht auf. Ergebnis der Transaktionen: Steinhoff wurde Verlustbringer los und konnte seine Erlöse nach oben rechnen.

Der Möbel- und Handelskonzern Steinhoff wird von einem Bilanzskandal durchgeschüttelt. Mehr als 10 Mrd. Euro Börsenwert wurden vernichtet
Steinhoff galt noch im vergangenen Jahr als Dax-Kandidat. Jetzt liegt der Konzern in Trümmern (Foto: Getty Images)
© Getty Images

Sowohl der Portsea- als auch der Viceroy-Bericht beschreiben dabei nicht nur dieselben beteiligten Firmen und Strippenzieher. Auch rund ein halbes Dutzend Tabellen und sogar mehrere Textpassagen beider Analysen sind deckungsgleich. Die bislang unbekannte Portsea-Studie liest sich wie die Basis für die ausführlichere Studie, mit der sich Viceroy Anfang Dezember weltweit einen Namen machte.

Dieser Ruhm dürfte sich für Viceroy bezahlt gemacht haben: Jeder weitere Report, den der Leerverkäufer nach seinem spektakulären Debüt vorlegte, bewegte die Märkte – etwa, als sich Perring Anfang März ProSieben Sat1 vorknöpfte. An dem Tag, an dem Viceroy eine Studie über vermeintlich fragwürdige Bilanzen des Medienkonzerns veröffentlichte, rauschte der Kurs um rund acht Prozent nach unten. Inzwischen prüfen die Finanzaufsicht und die Münchner Staatsanwaltschaft, ob es strafbare Marktmanipulationen gab .

Wer die beiden Reports über Steinhoff nebeneinander legt, kann zu keinem anderen Schluss kommen, als dass Viceroy die Analyse der Portsea-Autoren gekannt haben muss. So schreiben etwa die Londoner Analysten, sie hätten den Konzern kontaktiert, um in Erfahrung zu bringen, wer der Empfänger eines auffälligen Darlehens sei. In einem Telefonat am 21. April 2017 habe Steinhoffs Investor-Relations-Abteilung angegeben, der Konzern habe den betreffenden Betrag „chinesischen Lieferanten“ geliehen.

Viceroy schreibt wiederum fast wortgleich, man habe „einer Reihe von Analysten-Calls mit der Investor-Relations-Abteilung von Steinhoff im April 2017“ entnommen, dass das Darlehen an „chinesische Lieferanten“ gegangen sei. Man könnte diese Übereinstimmung mit viel Wohlwollen für einen kuriosen Zufall halten – hätte Viceroy nicht an anderer Stelle offen zugegeben, den Konzern vor der Veröffentlichung nie selbst kontaktiert zu haben .

Von Portsea haben die Viceroy-Autoren offenkundig auch die Begründung übernommen, warum sie Steinhoffs Verweis auf „chinesische Lieferanten“ für vorgeschoben hielten. Beide Reports vergleichen Steinhoffs Zahlungsmoral mit der anderer südafrikanischer Konzerne und stellen dabei fest, dass Steinhoff seine Lieferanten überdurchschnittlich lange hinhalte. Warum also, so die Argumentation, würde Steinhoff seinen Lieferanten hohe Darlehen gewähren, anstatt einfach pünktlich seine Rechnungen zu bezahlen? Für die Argumentation zieht Viceroy exakt dieselben drei anderen südafrikanischen Konzerne als Vergleichsmaßstab heran wie Portsea; auch die Daten in der dazugehörigen Tabelle decken sich. Kaum vorstellbar, dass all diese Parallelen reiner Zufall sein sollen.

Kooperation „mit anderen Fachleuten“

Der Name Portsea Asset Management war im Steinhoff-Krimi bislang noch nicht aufgetaucht. Im Mai 2015 wurde die Finanzfirma von einer Handvoll Analysten gegründet . Viele von ihnen waren zuvor bei QVT Financial beschäftigt, einem New Yorker Hedgefonds mit Zweitsitz in London und – ausweislich seiner Website – rund 2 Mrd. Dollar verwaltetem Vermögen. Haupteigentümer von Portsea ist laut dem britischen Handelsregister Cyrus de Weck, ein Sohn von Pierre de Weck, der viele Jahre als Chef des Private Wealth Managements im erweiterten Vorstand der Deutschen Bank saß. Portseas Kunden sind laut eigener Darstellung andere Finanzfirmen.

Unterlagen für die US-Börsenaufsicht SEC zufolge lag das verwaltete Vermögen von Portsea im März 2017 bei 100 Mio. Dollar. Investiert wird in erster Linie über einen in Malta registrierten Fonds. Ähnlich wie Viceroy gibt Portsea an, dass die Firma in der Regel Shortpositionen auf die Konzerne halte, die sie in ihren Studien durchleuchtet. Auch ein deutsches Unternehmen hatte die Londoner Finanzfirma bereits im Visier: Bei dem Rocket-Internet-Ableger Hello Fresh baute sie ihre Shortpositionen Anfang Dezember 2017 auf 0,63 Prozent der Aktien aus. Kurz vor Weihnachten beendete Portsea die Short-Attacke.

Welche Verbindung besteht zwischen Viceroy und Portsea? Finanzexperten berichten von einer „Clique“ von Leerverkäufern und Auftragsrechercheuren in London, die sich mit aggressiven Studien Unternehmen vorknöpfen, die Angriffsflächen bieten – etwa weil es vermeintliche Lücken bei der Corporate Governance gibt. Ihre Strategie: die Vorwürfe in der Öffentlichkeit platzieren und auf sinkende Kurse wetten – wie bei dem Angriff auf Wirecard oder zuletzt auf ProSieben Sat1. Gehören auch Viceroy und Portsea zu diesem Zirkel? Haben sie für die Steinhoff-Studie womöglich kooperiert? Arbeiten sie auf eigene Rechnung? Oder für Auftraggeber im Hintergrund?

Auf Anfrage erklärte Portsea, die Steinhoff-Studie aus dem Juni 2017 sei nur an einen engen Kreis eigener Investoren gegangen. Wie sie bei Viceroy gelandet sein könnte, wisse man nicht. Auf Fragen, welcher Natur ihre Investments bei Steinhoff gewesen seien, antwortete Portsea nicht. Viceroy-Chef Perring teilte Capital mit, man habe für die Steinhoff-Analyse „viele Monate Arbeit“ investiert. Er räumte jedoch ein, seine Kollegen und er hätten bei der Recherche „mit anderen Fachleuten“ kooperiert. Auf konkrete Fragen über das Verhältnis zu Portsea ging Perring nicht ein – ebenso wenig wie auf über Viceroys finanzielles Engagement bei Steinhoff. Der Krimi im Krimi ist noch nicht aufgelöst.

Die ganze Geschichte über den Bilanzskandal bei Steinhoff International lesen Sie in der neuen Capital, die am 22. März erscheint. Interesse an Capital? Hier geht es zum Abo-Shop, wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes, GooglePlay und Amazon

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