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Konjunkturrückblick Putin-Schock würgt Aufschwung ab

Das Jahr begann schwungvoll, dann kam die Ukraine-Krise. Der Vertrauensschwund hält bis heute an. Von Holger Schmieding
Anti-Putin-Protest: Die aggressive Politik des Kremlchefs sorgt für einen Vertrauensschock
Anti-Putin-Protest: Die aggressive Politik des Kremlchefs sorgt für einen Vertrauensschock
© Getty Images
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank

Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Er schreibt hier regelmäßig über makroökonomische Themen.

Auch sechs Jahre nach der großen Finanzkrise prägt die Erinnerung an diese Jahrhundertkatastrophe das Verhalten der Menschen. In der gesamten westlichen Welt beobachten wir, dass Haushalte weniger Kredit aufnehmen, Unternehmen weniger investieren und Arbeitnehmer sich bei Lohnabschlüssen mehr zurückhalten, als dies in früheren Konjunkturaufschwüngen der Fall war. Das Ergebnis ist ein Aufschwung ohne Überschwang, in dem der Preisauftrieb außerordentlich verhalten bleibt. Lediglich einige kleinere Gruppen, die wie Piloten oder Lokführer eine Monopolstellung ausnutzen können, schlagen gelegentlich über die Stränge

Die Vorsicht, die das Verhalten der Menschen in der westlichen Welt prägt, hat einen großen Vorteil: Die Konjunktur stößt vorerst nicht an Grenzen. Da sich bisher keine neuen Exzesse zeigen, die dereinst durch eine schmerzhafte Rezession bereinigt werden müssten, kann der Aufschwung länger anhalten, als dies früher der Fall war.

Aber die große Vorsicht hat auch einen Nachteil, der sich 2014 besonders in Deutschland und der Eurozone zeigt. Da hier der ohnehin verhaltene Aufschwung zwischenzeitlich durch die Eurokrise unterbrochen wurde, ist bei uns die Angst der Menschen vor einem erneuten Rückschlag besonders ausgeprägt. Entsprechend genügen schon Anlässe, die wirtschaftlich eigentlich keine überragende Bedeutung haben sollten, um die Unternehmen erneut zu verunsichern.

Vertrauensschock durch Ukraine-Krise

Zum Jahresbeginn hatten wir für Deutschland ein Wachstum von gut zwei Prozent vorhergesagt. Bis zum April erfreute sich die Bundesrepublik in der Tat eines kräftigen Aufschwungs. Auch wenn wir den Effekt des milden Winters herausrechnen, zeichnete sich sogar eine positive Überraschung ab. Aber ab Mai ist dann der deutsche Aufschwung abrupt abgebrochen. Die vorliegenden Zahlen deuten darauf hin, dass die Wirtschaftsleistung seitdem nicht mehr zugenommen hat. Während die Ausfuhren und der private Verbrauch weiter kräftig zulegten, fuhren Unternehmen ihre Ausrüstungsinvestitionen zurück und bauten ihre Lagerbestände ab. Das ist die typische Reaktion auf einen Vertrauensschock.

Offenbar verängstigten Russlands gewaltsamer Griff nach Teilen der Ukraine und die Diskussion um die zur Abschreckung weiterer russischer Angriffe nötigen Sanktionen viele Unternehmen in Deutschland und veranlassten sie zu einem sehr vorsichtigen Verhalten. Entsprechend ist das deutsche Wachstum in 2014 mit etwa 1,5 Prozent weit hinter unserer ursprünglichen Vorhersage von 2,1 Prozent zurückgeblieben. Putin hat uns für einige Zeit einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Der Putin-Schock traf große Teile Kerneuropas, Österreich und Finnland sogar noch mehr als Deutschland. Auch für die Schweden und Italien mussten wir nach der Eskalation der Lage in der Ostukraine im August 2014 unsere Konjunkturprognosen deutlich zurücknehmen. Dagegen blieben weiter westlich gelegene Länder wie Frankreich und Spanien weitgehend von diesem Schock verschont, auch wenn die schwächere Nachfrage in Deutschland sowie der heimische Reformstau durchaus auch auf der französischen Konjunktur lasteten. Großbritannien konnte dank seiner recht robusten Binnenkonjunktur unsere Erwartungen sogar etwas übertreffen.

Firmen zurückhaltend mit Investitionen

Russlands ineffiziente Petro-Wirtschaft, die der Welt außer Rohstoffen kaum etwas zu bieten hat, kann sich die Kosten des Krieges und der Sanktionen sowie die Verluste aus Kapitalflucht und sinkenden Ölpreisen kaum leisten. Russland sinkt immer tiefer in eine Rezession. Entsprechend gehen die deutschen Ausfuhren nach Russland zurück, mittlerweile wohl um etwa 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dies hat die deutsche Wertschöpfung allerdings im Jahr 2014 nur um 0,2 Prozent geschmälert. So wichtig ist Russland nicht als Handelspartner. Diesen Verlust konnte Deutschland durch mehr Ausfuhren in die USA und Großbritannien mehr als ausgleichen.

Die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine zeigten sich stattdessen in einer eingetrübten Stimmung und deshalb rückläufigen Inlandsinvestitionen deutscher Unternehmen. Sollte Russland von weiteren großen Angriffen auf Nachbarstaaten absehen, könnten die geopolitischen Sorgen deutscher Unternehmen wieder abnehmen. Dann könnten Investitionen und Konjunktur wieder anspringen.

Der Rückgang der Energiepreise und der Putin-Schock sorgten für die Konjunktur in Kerneuropa sorgten für eine weitere Überraschung. Inmitten einer verbreiteten Inflationsfurcht in Deutschland haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder erläutert, weshalb die Politik der Europäischen Zentralbank gegen die Lehman- und Eurokrise nicht zu Inflation führen wird. Im Nachgang großer Finanzkrisen ist die Nachfrage nach Liquidität so groß, dass ein vermehrtes Angebot solcher Liquidität keinen inflationären Konsumrausch auslösen kann. Stattdessen halten sich Unternehmen und Haushalte eher zurück, auch der Lohndruck bleibt nach dem Schock der Finanzkrise eher verhalten.

Spielraum für lockere Geldpolitik

Dennoch hat uns die Inflationsrate überrascht – allerdings nach unten: Im Jahr 2014 hat der Preisauftrieb noch stärker nachgelassen, als wir geglaubt hatten. In Deutschland ist die Inflationsrate zuletzt auf nur noch 0,7 Prozent gefallen. Gegenüber unseren Vorhersagen von Anfang Dezember 2013 haben wir deshalb unsere Prognosen für den Preisauftrieb im Jahr 2014 für Deutschland von 1,5 Prozent auf 0,8 Prozent gesenkt.

Die sinkende Inflation hat der Europäischen Zentralbank Spielraum gegeben, ihre Geldpolitik weiter zu lockern. Als Ergebnis sind auch die Anleiherenditen noch einmal zurückgegangen, statt für Deutschland leicht anzusteigen und für Italien und Spanien in etwa stabil zu bleiben, wie wir das im Dezember 2013 vorhergesagt hatten. Als kleinen Trost für Sparer, die unter Niedrigstzinsen leiden, können wir nur darauf hinweisen, dass bei geringerem Preisauftrieb die Kaufkraft der Ersparnisse größer ist, als es sonst der Fall gewesen wäre.

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