Die Zahl der Dieselklagen gegen den Volkswagen-Konzern im Zusammenhang mit einer neuen Motorengeneration ist in den vergangenen Monaten stark gestiegen. Das ergibt sich aus Zahlen des Unternehmens, die Capital vorliegen. Demnach lagen Ende Januar rund 8.500 Klagen von Eigentümern von Fahrzeugen mit einem VW-Dieselmotor vom Typ EA288 vor. Bei dem EA288 handelt es sich um das Nachfolgemodell des Dieselmotors EA189, der im Jahr 2015 die VW-Affäre um manipulierte Abgaswerte ausgelöst hatte. Der Motor EA288 wurde in Millionen Autos der Konzernmarken VW, Skoda oder Audi eingebaut. Die Kläger werfen VW vor, auch bei diesem Antrieb vorsätzlich betrogen zu haben.
Nach Angaben von Volkswagen wurden bislang allerdings 99 Prozent aller Klagen gegen das Unternehmen abgewiesen. Ein VW-Sprecher verwies darauf, dass Landgerichte in erster Instanz bisher nur in rund 20 Verfahren den Klägern stattgegeben hätten. In 17 weiteren Verfahren hätten Landgerichte wegen formaler Prozessfehler gegen VW entschieden. Die Oberlandesgerichte, die sich bisher in zweiter Instanz mit EA288-Klagen beschäftigt haben, haben nach VW-Angaben die Ansprüche durchgängig abgelehnt oder die Klagen zurückgewiesen. In einem Fall sei eine Klage zur Neuverhandlung an die Vorinstanz zurückverwiesen worden, ohne dem Kläger Ansprüche zuzusprechen.

Gegenüber Capital räumte Volkswagen ein, dass der Konzern „zu Anfang“ in rund einem Dutzend EA288-Fällen Vergleiche geschlossen hat. Nun tue man das nicht mehr, betonte der Sprecher: „Heute verteidigen wir uns gegen diese ungerechtfertigten Klagen und streben eine zügige Entscheidung des Bundesgerichtshofs an.“ Man wolle den Klägerkanzleien „keinen Gebührenregen für Behauptungen ins Blaue hinein bescheren“. Schließlich gebe es beim Motor EA288 – anders als im Fall des Vorgängers EA189 – keinen einzigen Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung, erklärte VW. Das KBA habe sogar mehrfach bestätigt, dass keine illegale Software eingesetzt werde.
Dagegen wehren sich die auf Dieselklagen spezialisierten Anwaltskanzleien gegen den Vorwurf von Volkswagen, aus Profitstreben aussichtslose Klagen zu verfolgen. „Das ist ein neuer Stil im Umgang mit Vertretern von Verbraucherinteressen, einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik und eines Weltkonzerns nicht würdig“, sagte Marco Rogert von der Kanzlei Rogert & Ulbrich, eine der führenden Dieselsozietäten in Deutschland. Nur dank der Verbraucheranwälte hätten Dieselgeschädigte „überhaupt einen Cent von VW bekommen“, sagte er. Im Fall des Skandalmotors EA189 wurden bislang mehr als 70.000 Einzelverfahren abgeschlossen. Hinzu kommt die vor einem Jahr per Vergleich beendete Musterfeststellungsklage gegen VW, der sich am Ende rund eine Viertelmillion Autobesitzer angeschlossen hatten – eine bislang einmalige Dimension in der deutschen Wirtschaftsgeschichte.
„Betrug verlangt industrielle Abarbeitung“
Auch Claus Goldenstein, Partner der gleichnamigen Kanzlei aus Potsdam, verwies auf die Erfahrungen in der Affäre um den VW-Motor EA189, in der es bis zu einer Klärung vor dem Bundesgerichtshof (BGH) mehr als vier Jahre gedauert hatte. Auch bei dem EA189 hätten die Landgerichte zunächst viele Klagen abgewiesen, weil sie keine sittenwidrige Schädigung der Kunden sahen, sagte Goldenstein. „Nur weil die Kanzleien und Rechtsschutzversicherer dranblieben, haben wir schließlich ein BGH-Urteil bekommen.“
Darüber hinaus verteidigte Ralph Sauer, Partner der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer aus Lahr im Schwarzwald, das Vorgehen der Anwälte gegen den Vorwurf von VW, bei den Kanzleien handele es sich um eine „Klageindustrie“. Sauer sagte Capital: „Der millionenfache Betrug der Autoindustrie verlangt eine industrielle Abarbeitung der Fälle.“
Die ausführliche Geschichte über die neue Dieselschlacht, die Rolle der Klägerkanzleien und die Abwehrstrategie von Volkswagen erscheint in Capital 3/2021. Interesse an Capital? Hier geht es zum Abo-Shop, wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es beiiTunesund GooglePlay