Air Defender 23
Vom 12. bis 23. Juni 2023 wird es im deutschen Luftraum ernst – und eng. Die Nato führt mit „Air Defender 23“ die bislang größte Übung von Luftstreitkräften in ihrer Geschichte durch. Der Anlass ist seit Februar 2022 keine reine Theorie mehr: Das Verteidigungsbündnis probt die Reaktion auf einen Angriff gegen eines ihrer Mitglieder. Die Führung der rund zweiwöchigen Operation liegt bei der Luftwaffe.
Wird ein Land in Europa überfallen, kommt es darauf an, wie schnell die USA Kampfflugzeuge schicken können. Dies soll bei „Air Defender 23“ in bis dato ungeahntem Ausmaß geübt werden. Hierbei handelt es sich laut der Bundeswehr um die bislang größte Verlegung von Luftstreitkräften von den USA nach Europa, seit es die Nato gibt. Konkret heißt das: 100 Flugzeuge werden allein aus den USA nach Europa entsandt, um den Verteidigungsfall zu simulieren. Sie sind Teil der United States Air National Guard. Die Nationalgarde besteht aus militärischen Verbänden unter der Flagge von US-Bundesstaaten. Sie sind parallel zu den regulären Streitkräften dem Kommando des jeweiligen Gouverneurs unterstellt und können im Krisenfall als Unterstützung der regulären Streitkräfte durch den Präsidenten aktiviert werden.
Die Logistik zu „Air Defender 23“ ist anspruchsvoll. Bis zu 10.000 Soldaten aus 25 Nationen mit 220 Flugzeugen 23 verschiedener Typen nehmen laut der Bundeswehr an der Übung teil. Neben Deutschland und den Vereinigten Staaten beteiligen sich diese Nationen: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Japan, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Norwegen, Polen, Rumänien, Schweden, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Türkei, Ungarn und Großbritannien.
Laut der Bundeswehr sind über 250 Starts geplant. Die Flugzeuge werden hauptsächlich von diesen sechs Standorten aus abheben: Jagel/Hohn in Schleswig-Holstein (Hauptdrehkreuz), Wunstorf in Niedersachsen (Hauptdrehkreuz, Foto), Lechfeld in Bayern (Hauptdrehkreuz), Spangdahlem in Rheinland-Pfalz, Volkel in den Niederlanden, Čáslav in der Tschechischen Republik
Die Nato will mit „Air Defender 23“ nicht nur üben, sondern auch ein Signal senden. „Wir müssen jedem zeigen, wenn es darauf ankommt, sind wir auch in der Lage, unsere Werte Freiheit und Demokratie in dieser Allianz zu verteidigen“, sagte der Inspekteur der Luftwaffe, Ingo Gerhartz (Foto), am 4. April 2023 bei einem Besuch in Washington, D.C. Im Falle eines Angriffs käme den Luftstreitkräften als „First Responder“ eine zentrale Bedeutung zu. Die Großübung soll auch das Verhältnis zu den USA stärken und dem Partner beweisen, dass Deutschland in der Nato mehr Verantwortung übernimmt.
Die Luftwaffe widerspricht Befürchtungen, die Großübung könne zu massiven Einschränkungen im Luftverkehr führen. Der Luftraum werde im Übungsgebiet zwar zeitweise für zivile Flüge gesperrt, zivile Flüge sollten aber „weitestgehend regulär stattfinden“, wie die Bundeswehr ankündigte. Der Großteil der Flugübungen wird demnach über der Nord- und Ostsee geflogen – auch, um die Lärmbelastung für Anwohner möglichst gering zu halten. Am Wochenende sind keine Übungsflüge geplant. Außerdem soll die Flugzeit in den verschiedenen Regionen auf jeweils zwei bis drei Stunden pro Tag begrenzt werden. Ein Sprecher der Flughafengesellschaft am BER sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland Mitte April, die Auswirkungen auf den Verkehr seien noch nicht absehbar.
Die Entscheidung für „Air Defender 23“ ist lange vor Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine gefallen. Die Überlegungen begannen laut offiziellen Angaben 2019. Anlass war eine Großübung, um die operationelle Einsatzbereitschaft fliegender Großverbände in der Nato unter Beweis zu stellen. Daraus entwickelte sich „Air Defender 23“, angelehnt an eine US-Großübung namens „Defender Europe 20“. Bei der waren 20.000 Soldaten samt Material und Fahrzeugen aus den Vereinigten Staaten nach Europa transportiert worden.