Anzeige

EU-Trilogverfahren Lieferkettengesetz: Wie viel Verantwortung tragen Unternehmen künftig?

Näherin in Ghana
Die Textilbranche gilt als Risikobranche, was Arbeits- und Umweltbedingungen angeht
© Christophe Gateau / Picture Alliance
Das Ringen um das europäische Lieferkettengesetz geht in die voraussichtlich letzte Runde. Deutsche Unternehmen sind nervös, ob alte Versprechen gehalten werden

Von halb zwei bis spät in die Nacht ist der letzte Trilog zu dem europäischen Sorgfaltspflichten-Gesetz angesetzt. Die Tagesordnung ist lang. Bei vielen kontroversen Fragen gibt es weiterhin keine Einigung, etwa darauf, ob die Regeln auch für die Finanzbranche gelten. Die Positionen von Mitgliedstaaten und Parlament liegen weit auseinander. Die sozialistische Berichterstatterin Lara Wolters wünscht sich ein progressives Gesetz, das möglichst viele Unternehmen betrifft. Der Rat blockiert. Also ist Spannung vor dem Treffen groß. Es handelt sich um eines der weitreichendsten Gesetze dieser Legislatur, geht es doch um die Frage, wie Unternehmen künftig mit Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in den eigenen Wertschöpfungsketten umgehen.

Das Gesetz hat eine lange Vorgeschichte. Die Initiative kam nicht, wie in den meisten Fällen, von der Europäischen Kommission, sondern vom Parlament. 2021 erließ dieses einen sogenannten Initiativbericht zu sauberen Lieferketten und zwang die Kommission damit, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Erst ein Jahr später stellte diese eine Richtlinie für nachhaltige Wertschöpfungsketten vor. Schon damals zeigte sich, wie schwierig die Suche nach Kompromissen sein würde.

Sogar die europäischen Kommissare konnten sich bei wichtigen Fragen lange nicht einigen. Müssen auch klein-und mittlere Unternehmen künftig auf saubere Lieferketten achten? Welche Stufen der Lieferketten können Unternehmen kontrollieren? Und können sie bei Verstößen vor europäischen Gerichten verklagt werden? 

Der belgische Kommissar Didier Reynders, der ursprünglich für das Gesetz verantwortlich war, versprach ein modernes und weitreichendes Gesetz. Die deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hingegen wollte die Unternehmen nicht zu sehr in die Pflicht nehmen. Letztlich stellte sie Reynders den deutlich industriefreundlicheren Franzosen Breton zur Seite. Er sollte die Ambitionen des Belgiers im Sinne der europäischen  Unternehmerverbände drosseln.

Brüssel geht weiter als das deutsche Lieferkettengesetz

Doch auch der Vorschlag, den die Kommission vor gut einem Jahr verstellte, stellt deutsche Unternehmen vor ein Dilemma. Deutschland hat bereits ein Lieferkettengesetz, seit Januar ist es in Kraft. Die vormalige Bundesregierung konnten den deutschen Unternehmen den Text nur schmackhaft machen, indem sie versprach, dass keine weiteren Auflagen auf die heimischen Betriebe zukommen. Das europäische Gesetz würde keinesfalls weiter gehen als das deutsche Lieferkettengesetz, versicherte der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) den deutschen Unternehmerverbänden.

Dieses Versprechen konnte er nicht halten. Bereits der Vorschlag der Kommission ging deutlich weiter als das deutsche Gesetz. Er sah etwa vor, dass bereits Unternehmen ab 500 Mitarbeitern Sorgfaltspflichten leisten müssen, in Deutschland gilt derzeit die Schwelle von 3000, ab 2024 von 1000 Mitarbeitern. Und: Die Kommission schlug vor, dass Unternehmen für Probleme in ihren Wertschöpfungsketten vor Gericht haften müssen. Eine rote Linie für deutsche Verbände. Denn genau dieser Punkt steht nicht im deutschen Lieferkettengesetz, nur so konnte es die ehemalige Bundesregierung überhaupt über die Ziellinie bringen.

Parlament und Rat liegen weit auseinander 

Wie erwartet reagierten Parlament und Rat sehr unterschiedlich auf den Vorschlag der Kommission. Den meisten Mitgliedstaaten geht er zu weit. Zu viele Unternehmen seien betroffen, die juristische Haftung von Unternehmen sei problematisch, die Finanzbranche solle ganz vom Gesetz ausgeklammert werden.

Das Parlament, unter Berichterstatterin Lara Wolters (S&D), forderte hingegen deutlich schärfere Auflagen für europäische Unternehmen. Sie wünscht sich unter anderem ein breiteres Anwendungsgebiet, Unternehmen sollten für Schäden in der gesamten Wertschöpfungskette haften und auch Umweltschäden müssten geahndet werden. Und: Die Sozialistin konnte viele ihrer Forderungen sogar gegenüber der deutlich industriefreundlicheren Haltung der Europäischen Volkspartei (EVP) durchsetzen, der auch CDU und CSU angehören. 

Offene Fragen beim heutigen Trilog

Seit dem Mai laufen die Verhandlungen zwischen Parlament und Rat. Obwohl es schon mehrere Trilog-Verhandlungen zwischen den Parteien gab, sind es auf folgende Fragen weiterhin keine Antwort. Sie alle stehen auf der heutigen Tagesordnung: 

  • Wie viel Freiheit haben die Europäischen Mitgliedstaaten bei der Auslegung des Gesetzes? Beim Vorschlag handelt es sich um eine Richtlinie, das heißt, die Länder müssen sie in nationales Recht umsetzen. Dürfen sie dabei weiterhin strenger sein als der europäische Vorschlag? Und welche Sanktionen dürfen die Mitgliedstaaten den Unternehmen abverlangen? Hier haben sich Rat und Parlament immerhin schon auf eine maximale Strafe von mindestens fünf Prozent des weltweiten Umsatzes eines Unternehmens geeinigt.
  • Inwiefern haften Unternehmen, wenn es zu Menschenrechtsverletzungen innerhalb ihrer Wertschöpfungskette kommt? Dürfen Geschädigte sie vor europäischen Gerichten verklagen? Welche Beweise müssen sie dafür vorlegen und wie leicht oder schwer wird ihnen die Möglichkeit einer Klage gemacht?
  • Inwiefern können Unternehmen dazu verpflichtet werden, zum Erreichen der Pariser Klimazielen beizutragen? Reicht es, dass Unternehmenschefs Klimapläne vorlegen, die entsprechende Maßnahmen vorschlagen? Oder müssen sie sich dafür verantworten, dass sie diese Pläne auch umsetzen?
  • Welche Betriebe fallen letztlich unter das Gesetz? Hier zeichnet sich zumindest eine Tendenz ab. Es ist davon auszugehen, dass Betriebe ab 500 Mitarbeitern Sorgfaltspflichten leisten müssen. In Risikobranchen, etwa der Textilbranche, könnten sich das Gesetz auch kleinere Unternehmen anwenden. Allerdings ist noch nicht geklärt, welche Branchen letztlich als Risikobranchen gelten. 
  • Gilt das Gesetz für die gesamte Wertschöpfungskette, sprich nicht nur für den Herstellungsprozess eines Produktes, sondern auch dafür, was danach mit dem Produkt passiert? Diese Frage ist insbesondere für sogenannte Dual-Use Güter, die sowohl zivil und militärisch genutzt werden können, von Bedeutung.
  • Und letztlich: Betrifft das Gesetz auch die Finanzbranche? Insbesondere Frankreich drängt darauf, dass die Finanzbranche und ganz besonders die Banken gar nicht unter das Gesetz fallen, also keine Sorgfaltspflichten leisten müssen. Auch Luxemburg und Irland wollen nicht, dass zu strenge Regeln auf die Finanzbranche zukommen. Das Parlament fordert hingegen die Inklusion der Finanzbranche, schließlich gilt diese laut OECD-Regeln sogar als Risikobranche.

Deutschland auf der Bremse

Von Anfang an steht Deutschland bei all diesen Fragen auf der Bremse. In Zeiten von Energiekrise, Inflation und Rezession will die Bundesregierung den Unternehmen nicht noch strengere Auflagen zumuten. Zu hoch ist der Druck der Unternehmensverbände, zu groß auch die Uneinigkeiten innerhalb der Koalition.

Besonders die FDP drängt auf eine milde Auslegung der Regeln und großzügigen Ausnahmen für kleine und mittlere Unternehmen. Letzteren sollen nicht noch weitere administrative Bürden auferlegt werden. Auch die Frage nach der zivilrechtlichen Haftung von Unternehmen sieht die Bundesregierung weiterhin kritisch. Lange hielten die deutschen Vertreter deshalb an einer sogenannten Safe-Harbor-Klausel fest, nach der Betriebe nicht haftbar gemacht werden können, wenn sie eine Liste an Auflagen erfüllen. Von dieser sieht sie zwar inzwischen ab. Klar ist aber: Deutschland zählt in der Debatte um nachhaltigen Wertschöpfungsketten nicht zu den progressiven Kräften. 

Derweil schlagen die deutschen und europäischen Unternehmerverbände Alarm und haben besonders in den letzten Wochen und Tagen Stimmung gegen ein strenges Gesetz gemacht. Der Dachverband der europäischen Unternehmen, Business Europe, droht beispielsweise, dass viele Unternehmen sich aus Schlüsselmärkten zurückziehen würden, wenn sie für Probleme in ihren Lieferketten haftbar werden. „Dies würde nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch die Fähigkeit Europas, Zugang zu wichtigen Materialien für unseren grünen Wandel zu erhalten und Sicherheitsbedenken auszuräumen“, warnt Business Europe in einem Presseschreiben. 

Am heutigen Mittwoch ist mit einer langen Verhandlungsnacht zu rechnen. Bis zu 20 Stunden sind vorgesehen. Falls das nicht reicht, um zu einer Einigung zu kommen, ist für kommenden Mittwoch ein letzter Ausweichtermin vorgesehen. Denn sowohl die Kommission wie auch Berichterstatterin Lara Wolters wollen noch vor der Weihnachtspause zu einer Einigung kommen. Dann bleibt allerdings noch abzuwarten, ob Parlament und Mitgliedstaaten dem endgültigen Kompromiss auch zustimmen werden. 

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel