Exklusiv Lieferanten von Schutzmasken klagen gegen Spahn-Ministerium

Gesundheitsminister Jens Spahn (l.) steht wegen zahlreicher Merkwürdigkeiten bei der Beschaffung von Schutzmasken in der Kritik
Gesundheitsminister Jens Spahn (l.) steht wegen zahlreicher Merkwürdigkeiten bei der Beschaffung von Schutzmasken in der Kritik
© IMAGO / photothek
Im Frühjahr hat der Bund Hunderte Millionen Schutzmasken bestellt. Wegen angeblicher Qualitätsmängel weigert er sich in vielen Fällen, die Rechnungen komplett zu bezahlen. Einige Firmen werfen dem Bund Trickserei vor – und wollen ihr Geld nun einklagen

Im Streit um nicht bezahlte Lieferungen von Schutzmasken wehren sich mehrere Unternehmen mit Klagen gegen das Bundesgesundheitsministerium. Wie das zuständige Landgericht Bonn auf Capital-Anfrage bestätigte, liegen dort rund 20 Klagen von Firmen vor, die auf ihr Geld warten. Der Großteil davon wurde nach Angaben eines Gerichtssprechers bereits dem Ministerium zugestellt. Dieses hat nun die Gelegenheit zur Gegenäußerung. Die Streitwerte der meisten Klagen, hinter denen eher kleine und mittelgroße Lieferanten stehen, betragen 500 000 bis 1 Mio. Euro. In einem Fall geht es um 2,5 Mio. Euro.

Auf Anfrage bestätigte das Gesundheitsministerium, dass einige Klagen zugestellt worden sind. Inhaltlich wollte es sich nicht zu den Vorwürfen äußern. Man werde im gerichtlichen Verfahren Stellung nehmen, teilte das Ministerium weiter mit.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte auf dem Höhepunkt der Corona-Krise Anfang April Schutzmasken für mehr als 1 Mrd. Euro über ein sogenanntes Open-House-Verfahren bestellt. In diesem beschleunigten Beschaffungsverfahren mithilfe der Generalzolldirektion wurden 738 Zuschläge an Lieferanten erteilt. Diesen wurden feste Abnahmepreise für ein Fixgeschäft garantiert: netto 4,50 Euro pro Maske der Schutzklasse FFP2. Insgesamt bestellte Spahns Ministerium über dieses Verfahren mehr als 200 Millionen FFP2-Masken und mehr als 60 Millionen einfachere OP-Masken. Bei den Vertragspartnern handelte es sich um Lieferanten mit den unterschiedlichsten Hintergründen – von Apothekern, die noch über Masken verfügten, über Importfirmen mit guten Kontakten zu Herstellern in China bis zu türkischen Autohändlern. Einen Anspruch auf Vertragsschluss hatte jeder, der eine Lieferung von mindestens 25000 Masken zu einem fixen Termin zusagte.

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Bei der Abwicklung kam es dann jedoch zum Chaos. So stellte das Ministerium fest, dass bei einigen Lieferungen die Qualität nicht stimmte. Auch bei der Anlieferung über einen beauftragten Logistikdienstleister gab es Probleme. Daher beauftragte der Bund den TÜV mit einer Kontrolle der Lieferungen, um zu verhindern, dass Geld für unbrauchbare Masken fließt. Darüber hinaus holte sich das Gesundheitsministerium die Prüffirma EY ins Haus, um die Kontrollen, Retouren und Zahlungen der Aufträge zu managen.

Dabei wurde auch klar, dass der im Rahmen des Open-House-Verfahrens zugesagte Preis von 4,50 Euro je FFP2-Maske aus heutiger Sicht viel zu hoch war. Seit dem weltweiten Ansturm auf Schutzausrüstung zu Beginn der Corona-Krise im Frühjahr hat sich der Markt merklich entspannt. Inzwischen lassen sich FFP2-Masken in China günstig beschaffen – auch weil die chinesische Regierung verfügt hat, dass die dortigen Hersteller nach dem europäischen Schutzstandard produzieren müssen. Im Freihafen von Schanghai etwa kostet eine FFP2-Schutzmaske aktuell weniger als ein Euro.

Einsicht in Prüfberichte verweigert

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums waren im Juni noch Rechnungen in dreistelliger Millionenhöhe offen. Einige Lieferanten vermuten daher, dass der Bund die Qualitätsmängel bei den Masken teils nur vorschiebt, weil er die für ihn nachteiligen Verträge nicht erfüllen will. Das Misstrauen dieser Firmen wurde auch dadurch erweckt, dass ihnen eine Einsichtnahme in die Prüfberichte des TÜV verweigert wurde und in Schreiben keine Ansprechpartner oder Kontaktdaten für Fragen oder Widerspruch angegeben wurden. „Der Bund spekuliert offenbar darauf, dass einige Lieferanten das Prozessrisiko nicht tragen können“, heißt es bei einem Unternehmen. Manche Lieferanten hätten bereits für den Ankauf der Masken „Haus und Hof verpfändet“, diese seien nicht mehr in der Lage, den Vorschuss für eine Klage zu finanzieren.

Allerdings ist nach Informationen von Capital in jüngster Zeit etwas Bewegung in die Angelegenheit gekommen. So erhielten manche Firmen, die noch auf ihr Geld warten, zuletzt positive Nachrichten von EY: Nach einer erneuten Prüfung der TÜV-Berichte wolle der Bund zumindest bei Teilen ihrer Lieferung doch nicht von dem bestehenden Vertrag zurücktreten. In einzelnen Fällen wurden deshalb zuletzt auch Klagen vor dem Landgericht Bonn zurückgenommen. Dafür erhalten die Firmen nun nicht nur den zugesagten Kaufpreis für die Masken, sondern auch Verzugszinsen: Bei einem gesetzlichen Zinssatz von derzeit mehr als acht Prozent ist das für die Lieferanten kein schlechter Deal – zumal der Bund auch noch die Anwaltskosten seiner Vertragspartner übernimmt. Für Gesundheitsminister Spahn wird die Beschaffung der Masken dagegen noch ein Stückchen teurer.

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