Anzeige

Kolumne "Last Order" für Athen

Es mag sein, dass ein weiterer Schuldenerlass für Griechenland noch vermeidbar ist. Überfällig ist er trotzdem. Von Christian Schütte
Christian Schütte
Christian Schütte
© Trevor Good

Christian Schütte schreibt an dieser Stelle über Ökonomie und Politik

Mit den griechischen Staatsschulden verhält es sich inzwischen wie mit Kippfiguren oder Mehrfachbildern: Alles ist so kunstvoll angelegt, dass der Betrachter einmal dieses, einmal jenes sehen kann, ganz wie er will. Wie bei der kleinen Digital-Tänzerin, die sich je nach Sichtweise rechts oder links herum dreht. Oder bei dieser Zeichnung, in der man entweder Sigmund Freud oder dessen Lieblingsthema erkennen kann.

Trotz des "Haircut" 2012 ist die Schuldenlast der Griechen inzwischen wieder auf gut 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gewachsen. Das ist einsamer Rekord in Europa und fast das Dreifache dessen, was in den Maastricht-Verträgen irgendwann einmal als Obergrenze festgelegt worden ist.

In der rechtsdrehenden Sicht werden diese Schulden nun aber trotzdem ganz sicher in den kommenden Jahrzehnten treu abgebaut und abbezahlt, alle Gläubiger werden befriedigt und es kehrt wieder Friede und Stabilität in Europa ein.

Wer das bezweifelt oder gar - wie der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras - offen ablehnt, für den gibt es immer noch die linksdrehende Variante: Die griechischen Schulden sind doch in Wahrheit schon zu einem nennenswerten Teil erlassen, denn die Partnerländer haben ihre Kreditkonditionen für Athen überaus erträglich gestaltet.

Die öffentlichen Institutionen, die heute gut 80 Prozent der griechischen Staatsschulden halten, verlangen nur noch einen Durchschnittszins von 1,5 Prozent. Rechnet man die übrigen Kredite hinzu, dann liegt der Wert bei rund 2,5 Prozent. Dank dieses "weichen Schuldenschnitts" ist die gesamte Zinslast in Griechenland - gemessen am BIP - nicht viel größer als die in Deutschland. Und sie ist erheblich niedriger als in allen anderen Euro-Krisenländern.

Rosige Szenarien

Akute Bankrottgefahr besteht also nicht. Und mit den richtigen Annahmen lässt sich sogar ein Zukunftsbild malen, in dem der griechische Schuldenberg relativ zum BIP kontinuierlich sinkt. Auch dann liegt er zwar noch in zehn Jahren weit über 100 Prozent - aber zumindest der Abwärtstrend wäre erkennbar.

Der Haken an diesen "Alles wird (halbwegs) gut"-Rechnungen ist, dass sie in der Wirtschaft ein Schönwetterszenario voraussetzen. Und in der Politik einen jahrelang erfolgreichen Eiertanz. Sehr viel solider - weil ehrlicher - wäre es, endlich den klaren Schnitt zu machen: Griechenland bekommt den von Tsipras & Co. geforderten offenen (Teil-)Schuldenerlass. Es trägt von da ab allerdings auch wieder selbst die volle Verantwortung für seine Staatsfinanzen und seine internationale Glaubwürdigkeit. Die wechselseitigen Erziehungs- und Erpressungsversuche, die Europas Politik immer weiter vergiften, könnten dann endlich beendet werden.

Die Szenarien, in denen der griechische Schuldenberg in den kommenden Jahren ganz allmählich wieder schrumpft, sind zwar nicht völlig absurd, aber sie sind doch ausgesprochen optimistisch. Sie verlangen nämlich nicht nur eine weiterhin extrem disziplinierte Haushaltspolitik in Athen, die von ihren Bürgern ständig mehr nimmt als sie ihnen in Form staatlicher Leistungen zurückgibt.

Es wird zusätzlich auch ein kräftiges nominales Wirtschaftswachstum benötigt, also am besten ein inflationärer Boom in Europa, eine Kombination aus steigender realer Wirtschaftsleistung und beschleunigter Geldentwertung. Denn nur so lässt sich der mächtige Lawineneffekt von 175 Prozent Altschulden stoppen und umdrehen.

Der Lawineneffekt

Die für diesen Lawineneffekt entscheidende Größe ist das Verhältnis von Wachstumsrate zu Zins: Ist das nominale BIP-Wachstum höher als die Rate, mit dem sich die Schulden vermehren, dann drückt das die Schulden/BIP-Quote wie von selbst. Wenn die nominale Wirtschaftsleistung aber stagniert oder gar sinkt wie in den vergangenen Jahren, dann erhöht sich diese Quote eben auch wie von selbst - trotz dramatischer Sparanstrengungen und trotz der üppigen europäischen Zinssubventionen.

Ein Ende dieses deflationären Gegenwinds ist in Griechenland erst einmal nicht abzusehen. Soll das Land in Europa wieder wettbewerbsfähig werden, dann müssen schließlich seine Preise noch eine ganze Weile hinter denen der übrigen Währungsunion zurückbleiben.

Bei der derzeitigen Mini-Inflation in der Euro-Zone heißt das: Preisrückgang in Griechenland. Im Dezember 2014 lag das dortige Preisniveau immerhin um 2,5 Prozent unter Vorjahr. Auch wenn die EZB jetzt gerade so richtig Vollgas gibt, um die Euro-Inflation anzuheben - die Griechen können sich keine Teuerung leisten, solange ihre Produkte nicht wieder konkurrenzfähig sind.

Riesengroß und unsichtbar?

Ist es also realistisch, dass eine Regierung in Athen einen disziplinierten Schuldenabbau über viele Jahre hinbekommt und sich dabei von den Europäern stets an der engen Leine führen lässt? Das alles nur deshalb, damit Gesichter gewahrt werden und ein "weicher" Schuldenschnitt funktioniert, der für die eine Seite möglichst groß und für die andere Seite möglichst gar nicht vorhanden sein soll?

Das Spiel mit diesem Vexierbild funktioniert schon jetzt nicht mehr so richtig. Dass die Griechen substanzielle Hilfen erhalten, ist schließlich auch bei den deutschen Wählern und bei den übrigen Euro-Ländern schon angekommen. Auf der anderen Seite fragen sich die Griechen, weshalb Europa eine Entlastung verweigert - und bejubeln einen Alexis Tsipras, der symbolische Triumphe verheißt.

Nach der bisherigen Logik des Durchwurstelns wird ein zähneknirschendes Europa bald noch einmal weitere verdeckte Krediterleichterungen geben. Und Griechenland wird sich weiter in der Rolle des Opfers sehen. Ein klarer Schnitt bei den Altlasten könnte dieses Spiel endlich beenden: Der griechische Wahlsieger bekommt das benötigte Symbol - aber für seine künftige Kreditwürdigkeit ist er ganz alleine verantwortlich.

Neueste Artikel