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Wegen EU-Regulierung KI-Unternehmerin warnt: „Es könnte von Insolvenzen nur so wimmeln“

Dagmar Schuller ist Gründerin des bayrischen KI-Start-ups Audeering
Dagmar Schuller ist Gründerin des bayrischen KI-Start-ups Audeering
© Martin Nink für Audeering
Der AI Act soll Europa zum Vorreiter bei Künstlicher Intelligenz machen. KI-Unternehmerin Dagmar Schuller warnt jedoch vor Insolvenzen und Abwanderung von Start-ups, sollten die Details zu strikt ausfallen

Nach langen Verhandlungen hat die EU vergangene Woche eine politische Einigung über den sogenannten „AI Act“ erzielt. Das Gesetz gilt als weltweit erstes Regelwerk für Künstliche Intelligenz und soll Rechtssicherheit für Unternehmen schaffen. 

In der Branche hat der jetzige Kompromiss jedoch viele Kritiker – darunter auch Dagmar Schuller, Professorin für Wirtschaftsinformatik und Gründerin des bayrischen KI-Unternehmens Audeering, das sich mit der Analyse der menschlichen Stimme beschäftigt. Im Interview erklärt Schuller, warum sie das neue KI-Gesetz für eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland hält – und wie es aus Ihrer Sicht doch noch zum Innovationshelfer werden könnte.

Capital: Die EU-Kommission bewertet den AI Act als „historisch“, auf Bildern aus Brüssel sah man nach der Einigung jubelnde Politiker. Teilen Sie die Euphorie?
DAGMAR SCHULLER: Ich hätte mich gerne gefreut, wenn man hier tatsächlich die Chance genutzt hätte, Innovationen mehr zu fördern, statt vorneweg breit zu regulieren.

Wie meinen sie das?
Der AI Act ist vor allem aus der Risikosicht geboren. Man hat hier von Anfang an ein sehr negatives Bild von Künstlicher Intelligenz gezeichnet und sich viel zu wenig auf die Chancen der Technologie fokussiert. Mir fehlt eine aktive Unterstützung mit einem großen Investitionsprogramm, um insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen die Möglichkeit zu geben, diese Regularien auch effizient und mehrwertschaffend umzusetzen. Vielleicht hat uns auch die Lobby gefehlt – die Branche ist ja noch sehr jung.

Ihre Firma Audeering entwickelt eine KI, die Emotionen in der Stimme erkennen kann. Was bedeuten die neuen Regeln für Ihr Unternehmen konkret?
Wir haben das Gesetzesvorhaben sehr frühzeitig beobachtet. Audeering ist schon mehr als zehn Jahre am Markt, dementsprechend haben wir einige Erfahrung. Als stellvertretende Regionalleiterin des KI-Bundesverbands in Bayern und Vizepräsidenten der IHK stelle ich allerdings fest, dass sich bei den meisten Unternehmen gerade große Unsicherheiten auftun, wie die neuen Regeln überhaupt zu interpretieren sind. Es ist teilweise noch völlig unklar, was von Unternehmen, die KI-Anwendungen entwickeln tatsächlich konkret verlangt wird, wenn es zum Beispiel um Transparenzpflichten oder Benchmarks geht. 

Was heißt das für den Standort im internationalen Wettbewerb?
Es wird jetzt natürlich weltweit darauf geschaut, wie uns in Europa die Umsetzung gelingt. Und die wird ganz wesentlich an der KI-Community hängen, die in den nächsten zwei Jahren die genauen Standards aushandeln und definieren muss, damit uns das irgendjemand nachmachen möchte und wir so international gut aufgestellt sind. Das wird uns aber niemand nachmachen, wenn es von Insolvenzen nur so wimmelt und wir keine technologische Vorreiterrolle einnehmen können.

Insolvenzen? Ist das nicht ein bisschen dramatisch?
Große Unternehmen, die beispielsweise aus den USA kommen, werden sicher weniger Probleme mit den bürokratischen Anforderungen und Nachweisen haben. Sie haben genug Kapital, um entsprechende Abteilungen aufzubauen, eine unterstützende Infrastruktur und sind oft selbst die maßgeblichen Innovatoren im Bereich KI, die Produkte auf den Markt bringen und großflächig streuen. Bei Start-ups ist das anders. Wenn Sie gerade erst gegründet haben, dann haben Sie in der Regel nicht die Ressourcen, um ein ganzes Team für Dokumentationspflichten aufzubauen, auch für Scale-ups kann es herausfordernd und kapitalintensiv sein. Deswegen brauchen wir dringend Förderinstrumente, die kleine und mittelständische Unternehmen finanziell dabei unterstützen sowie klare Standards und Benchmarks, an denen man sich orientieren kann. Die sollte es möglichst schnell geben, damit man mit der Umsetzung frühzeitig beginnen kann.

Sie haben in der Vergangenheit davor gewarnt, dass der AI Act eine Abwanderung von jungen, innovativen Unternehmen auslösen könnte. Haben Sie die Befürchtung immer noch?
Durchaus. Wer heute über eine Gründung nachdenkt, wird sich vielleicht eher für einen Standort entscheiden, der aufgrund der strukturellen und regulatorischen Gegebenheiten etwas attraktiver erscheint.  Mit diesem Risiko muss man tatsächlich rechnen. Und bei denen, die hierbleiben, werden die großen Ideen den kleinen weichen, weil man das finanzielle Risiko einfach nicht abschätzen kann.

Sehen Sie in dem KI-Gesetz auch Standortvorteile?
Natürlich kann es auch ein Standortvorteil sein. Die nächsten zwei Jahre werden ausschlaggebend sein, ob eine pragmatische Umsetzung gelingt. Das ist der wichtigste Dreh- und Angelpunkt. Und spätestens jetzt müssen wir weg von dieser Gefahrenmentalität und hin zu einer Chancenmentalität. Ich bin noch immer der Meinung, dass wir in der EU die Möglichkeit haben, global vorne mitzuspielen. Wir müssen versuchen, daraus eine Erfolgsgeschichte zu zeigen – nicht nur, indem wir Regularien schaffen, sondern auch indem wir Innovationen gezielt unterstützen und fördern.

Was macht sie da so optimistisch?
Wir haben die Talente, wir haben die Ideen und das Know how. Beim Heidelberger KI-Start-up Aleph Alpha ist es sogar gelungen, endlich mal genug Kapital von Investoren bereitzustellen. In dieser Größenordnung müssen jetzt noch viel mehr Start-ups folgen. Und dann wären die Euphorie-Bilder aus Brüssel auch gerechtfertigt.

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