Claudia Kemfert leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Foto: DIW/Daniel Morsey
Tom & Jerry liefern sich in der berühmten Trickfilmserie stets wilde Verfolgungsjagden, bei der zunächst der Kater scheinbar der Maus überlegen ist, doch am Ende kläglich scheitert. Der aktuelle Kampf um die Atomkosten und wer sie zu tragen hat, erinnert an genau dieses Spiel. Wobei Politik und Bürger den Kater und Wirtschaft und Atom-Konzerne die Maus geben.
Letztere hatten sich über Jahrzehnte am Käse und Speck der Subventionen gelabt, den Bau der Atommeiler mit Staatsgeld finanziert und am Ende mit abgeschriebenen Kraftwerken satte Gewinne eingefahren. Doch obgleich seit anderthalb Jahrzehnten der Atomausstieg beschlossen ist, versäumten es die Konzerne, rechtzeitig die Geschäftsmodelle in Richtung Energiewende umzustellen. Ein klarer Managementfehler. Offenbar hatte man auf der Teppichetage der Energiekonzerne versäumt, den Jahrtausendwende-Wirtschafts-Bestseller „Die Mäusestrategie“ zu lesen: Darin lernt eine Mäusefamilie das Joggen, als sie begreift, dass die Käsevorräte zur Neige gingen.
Viel zu lang hielten – und halten teilweise immer noch – die Atomkonzerne an veralteten Geschäftsmodellen fest. Die Wirtschaftlichkeit schwindet. So fielen die Bilanzen der Unternehmen in den letzten Jahren weniger üppig aus als gewohnt. Statt zu joggen, wird geschimpft und gejammert.
"Bad Bank" wäre für die Gesellschaft ein "Bad Deal"
Schließlich hatte die Politik im Gegenzug zum jahrelangen Schlaraffenleben den Konzernen eine Pflicht ins Hausaufgabenbuch geschrieben: Sie müssen die Finanzierung für den Rückbau der Atomkraftwerke und für die Endlagerung des Atommülls sicherstellen. Sollten die Atomkonzerne diese Auflagen nicht erfüllen können, drohen der Gesellschaft immense Kosten.
Das friedliche Arrangement von Tom und Jerry gerät ins Wanken. Zwar verweisen die Konzerne auf Rückstellungen in Höhe von 38 Mrd. Euro. Doch zunehmend stellt sich die Frage, wie sicher diese Rückstellungen wirklich sind. Erst recht da sich zeigt, dass die Kosten wohl deutlich über den bisherigen Schätzungen liegen. Wer zahlt?
Während Tom auf die alten Abmachungen pocht, stülpt die Maus ihre leeren Hosentaschen nach Außen und verweist darauf, dass Käse und Speck bis auf eben jene Rücklagen längst verfrühstückt seien. Man könne doch, so lautet der Vorschlag der Konzerne, eine Atomstiftung unter staatlicher Aufsicht gründen. Darein flössen die rückgestellten Gelder und der Staat könne damit tun und lassen, was er wolle.
Diese Stiftung, eine Art „Bad Bank“ der Atombranche, wäre für die Gesellschaft jedoch ein „Bad Deal“. Der Staat besitzt keinerlei Expertise für Atomrückbau und Atommülllagerung, müsste also entsprechende Unternehmen beauftragen. Und wenn das Stiftungsgeld nicht reicht, müsste erneut der Steuerzahler die Zeche zahlen. Für die Konzerne ist die Stiftung doppelt attraktiv. Sie wären von jeglicher Verantwortung befreit, das bislang zurückgelegte Geld wäre weg, aber eben auch kein Cent mehr, und als ausgewiesener Experte für alle Aspekte der Atomenergie bekäme man in den nächsten Jahren obendrein lukrative Aufträge für Rückbau und Entsorgung.
Eon-Aufspaltung hat Vorteile
In anderen Ländern wurde deswegen ein öffentlich-rechtlicher Fonds eingerichtet, der die Gelder sichert und so die Risiken der Kostenabwälzung auf die Gesellschaft verringert. Auch für Deutschland wäre dies eine vernünftige Lösung, insbesondere wenn eine Nachschusspflicht die Konzerne nicht aus der Verantwortung entlässt. Doch die aktienskeptischen Deutschen wiegen sich derzeit wohl lieber in vermeintlicher Stiftungssicherheit – und tappen naiv als Katze in die Mausefalle.
Als Eon Ende 2014 verkündete, das Geschäft rigoros zu erneuern und den Konzern aufzuteilen, schrak die Öffentlichkeit auf: Wohin würde die radikale Neuerung führen? Der Plan hat durchaus Vorteile – auch für die Gesellschaft. Indem Eon das fossil-atomare Geschäft in die Tochter Uniper auslagert, und sich selbst auf erneuerbare Energien und das grüne Geschäft konzentriert, ist sichergestellt, dass sich beide Geschäftsmodelle nicht gegenseitig kannibalisieren. Das sichert beide Unternehmen. Und es sichert auch die Interessen der Öffentlichkeit: Denn der fossil-atomare Konzern kann auf wertvolle Bestände an Kraftwerken oder Gas-Infrastruktur zurückgreifen, die Atom-Rückstellungen sind also in einem solchen Konzept durch ausreichende Kapitalwerte gedeckt.
Doch statt Applaus gab es Bedenken. Der alte Name mit neuem Konzept; das konventionelle Geschäft mit neuem Namen? Die Verwirrung war groß, derlei schürt Ängste. Vor allem, da keine vollständige Haftung der Atomkosten gewährleistet ist. Will sich der Konzern hier heimlich aus der Atom-Verantwortung stehlen?
Schachzug für Atomstiftung?
Das Katz- und Maus- Spiel ging in die nächste Runde: Die auf Sicherheit bedachte Regierung schlug vor, in die Haftungsregeln für Energieunternehmen künftig auch Tochterunternehmen einzubeziehen. Der Mutterkonzern Eon müsste so für den auslagerten Konzern Uniper haften. Das schien eine harmlose Idee. Doch betriebswirtschaftlich wäre die Aufspaltung aus Sicht der Konzernmutter damit sinnlos: Das „grüne Eon“ könnte nicht unbeschwert in die erneuerbare Zukunft starten, sondern müsste bilanztechnisch Sorge für Atomrisiken tragen. Aktionären wäre nicht mehr zu vermitteln, warum sie in Eon investieren sollten. Wirklich „grün“ wäre dieses Unternehmen nicht mehr.
Da überrascht es nicht, dass der Konzernchef nun verkündete, man werde das Atomgeschäft dann eben gleich komplett bei Eon belassen. Was jedoch aus Staatsicht zunächst gut und sicher klingen mag, gibt bei genauem Hinsehen s weiteren Anlass zur Sorge: Denn das neue Eon mit seinen grünen Geschäftsbereichen weist anders als der ausgelagerte Konzern weniger kapital-starke Gegenwerte auf. Zwar hat dieser Unternehmensteil, wenn klug gemacht, durchaus positive Zukunftserwartungen, aber eine sichere Bank für die künftigen Atomkosten ist sie nicht. Im Gegenteil: Der Atom-Rucksack behindert die Erfolgschancen am Markt immens. Die Rückstellungen im neuen Eon wären viel unsicherer als im konventionellen Uniper. So sehr man dem grünen Geschäftsmodell eine rosige Zukunft wünschen mag, für die immensen Atomkosten ist die notwendige Kapitaldeckung durchaus unsicher.
Aus unternehmerischer Sicht kann die jüngste Eon-Ankündigung eine trotzige Gegenreaktion sein. Sie dient vermutlich aber vor allem einem politischen Zweck: Die Gesetzgeber sollen das Haftungsgesetz fallenlassen und letztendlich erneut in Richtung „Kompromiss Atomstiftung“ gelockt werden. Das wäre für die Konzerne immer noch die allerbeste Lösung. Übrigens: im Trickfilm gewinnt am Ende immer die Maus.