Zu mehr als einem vorläufigen Stillhalteabkommen hat es bisher nicht gereicht. Das Risiko, dass US Präsident Donald Trump Europa doch noch mit einem Handelskrieg überzieht, ist nicht vom Tisch. Aber dennoch können wir aus dem „Deal“, den Trump und EU Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am vergangenen Mittwoch geschlossen haben, einige Lehren ziehen. Die wichtigste Lehre lautet: gegen Trump muss man sich wehren. Wenn man es richtig macht, kann man selbst einen schwer berechenbaren Populisten einhegen, der etwas absonderliche Vorstellungen von wirtschaftlichen Zusammenhängen hat.
Freihandel ist gut. Aber einseitiger Freihandel ist nicht immer die beste Strategie. Für ein kleines Land, das keine Möglichkeit hat, seine Handelspartner durch seine eigenen Handlungen zu beeinflussen, gilt die Lehrbuchweisheit: wie einst Hongkong fährt der Winzling am besten, wenn er einseitig nahezu alle Handelshemmnisse abbaut und unabhängig von der Politik anderer Länder an dieser Linie festhält. Aber für eine Region wie Europa, die ins Gewicht fällt, ist dies nicht unbedingt gültig.
Beginnen wir mit der Erkenntnis, dass freier Handel letztlich allen beteiligten Ländern nützt, auch wenn es innerhalb der Länder einige Verlierer des handelsinduzierten Strukturwandels geben mag, die von der Gewinnern möglichst entschädigt werden sollten, beispielsweise über das Sozial- und Bildungssystem. Wer den grenzüberschreitenden Austausch von Gütern und Leistungen erheblich beschränkt, bringt den größten Wachstumsmotor der Welt ins Stottern und schadet damit letztlich auch sich selbst.
Aber bereits die Lehrbücher beschreiben eine mögliche Ausnahme: Wenn ein Land einen neuen Zoll erhebt, wiegen die Verluste für die eigenen Verbraucher zwar schwerer als die möglichen Gewinne für heimische Unternehmen, die vor lästiger Konkurrenz geschützt werden. Die Zolleinnahmen werden allerdings teilweise von den ausländischen Anbietern der betroffenen Güter getragen, die ihre Preise senken müssen, um trotz der Zölle noch genügend Käufer zu finden. Da der Zollschaden die eigenen Verbraucher nur teilweise trifft, während die Zolleinnahmen voll an die eigene Staatskasse gehen, kann ein Land sich in manchen Fällen durch einen neuen Zoll auf Kosten seiner Handelspartner bereichern. Dieser Vorteil währt nicht ewig. Denn durch Handelshemmnisse werden Wettbewerbsdruck und damit der Zwang zu Innovationen und das langfristige Wachstumspotenzial geschwächt. Aber zunächst einmal kann das Land, das einen solchen „Optimalzoll“ erhebt, sich als Sieger fühlen.
Das Spiel funktioniert aber nur, wenn das Ausland sich nicht wehrt. Erhebt es einen entsprechenden Gegenzoll, verkehrt sich der Gewinn des Landes mit dem ersten Zoll in einen Verlust. Beide Länder stehen schlechter da als ohne Zölle. Um zu verhindern, dass ein großes Land wie die USA aus kurzfristig politischen Erwägungen heraus neue Zölle verhängt, müssen dessen Handelspartner glaubhaft mit Gegenzöllen drohen. Auch in der internationalen Handelspolitik gilt das Prinzip der Abschreckung. Dazu gehört auch die Bereitschaft, mit den Gegenmaßnahmen notfalls auch ernst zu machen.
Neben Junckers unbestrittenem Charme (man denke an den bildschönen Kuss auf Trumps Wange) und seinem Verhandlungsgeschick haben offenbar drei Gesichtspunkte den zumindest teilweisen Sinneswandel der Handelskrieger im Weißen Haus bewirkt, die unmittelbar vorher noch mit Strafzöllen auf Autoeinfuhren aus Europa gedroht hatten:
Erstens haben die Gegenmaßnahmen der EU gegen die Stahl- und Aluminiumzölle der USA ihr Ziel nicht verfehlt. Über die Vergeltungsliste der EU mit Jeans, Whisky und Motorrädern ist manchmal gelacht worden. Aber Brüssel hat recht zielsicher Produkte ausgesucht, die gerade auch Trump-Wählern vertraut sind und/oder dort hergestellt werden, wo Trump viele Unterstützer hat. Trump hatte die Ankündigung der Ikone der US-Motorradindustrie, nach den EU-Gegenzöllen Arbeitsplätze ins Ausland verlegen zu müssen, natürlich zunächst mit neuen Twitter-Attacken beantwortet. Aber indem die EU dazu beigetragen hat, eine lautstarke Debatte in den USA über den Sinn und Unsinn der Trumpschen Handelspolitik loszutreten, hat sie einiges erreicht. Dass die EU auf US Strafzölle auf Automobileinfuhren noch härter reagieren würde, hat sich auch in den USA herumgesprochen.
Zweitens leiden gerade US-Farmer unter Gegenschlägen Chinas und anderer Länder, die Trump vorab mit Strafzöllen belegt hatte. Dass der Preis für Sojabohnen in den USA seitdem um 20% gesunken ist, liegt vermutlich auch an einer allgemeinen Schwäche mancher Rohstoffpreise und nicht nur an den Vergeltungszöllen einiger Länder auf Sojabohnen aus den USA. Aber dass Trump sich genötigt sah, kurzfristig ein Hilfspaket für US-Farmer von bis zu 12 Milliarden Dollar vorzuschlagen, spricht Bände. Die konkrete Zahl führt manchen Amerikanern die möglichen Kosten eines Handelskrieges plastisch vor Augen. Und mit dem Angebot, es den US Farmern zu erleichtern, mehr Soja nach Europa zu liefern, konnte Juncker den USA damit ein in der Sache zwar eher kleines aber für die US-Binnendiskussion in den USA doch gewichtiges Zuckerl bieten.
Drittens hat selbst die US-Autoindustrie gegen mögliche US Zölle auf die Einfuhr von Autos und Automobilteilen protestiert. Das mag überraschen, da ja mit solchen Zöllen dieser Sektor der US-Wirtschaft gegen Konkurrenz abgeschirmt werden sollte. Aber es macht wirtschaftlich Sinn. Bei hohen Einfuhrzöllen rund um den US-Markt würden zwar vermutlich einige Auto-Arbeitsplätze in die USA zurückverlagert werden, zu Gunsten der dortigen Arbeitnehmer und zu Lasten der US-Verbraucher. Aber den in den USA beheimateten Automobilunternehmen würden solche Zölle trotzdem schaden. Ebenso wie ihre aus Deutschland oder Japan stammende Konkurrenz haben sie weit verzweigte internationale Lieferketten aufgebaut. Wenn sie durch Zölle gezwungen werden, diese Lieferketten umzustellen, müssten sie viele Auslandsinvestitionen abschreiben. Das schadet ihrer Bilanz.
Aus diesen drei Gründen war der Widerstand gegen seinen in Aussicht gestellten Handelskrieg mit Europa gerade auch bei Anhängern der Republikaner in den USA wohl stärker, als Trump es vermutet haben mag. Trotz seiner unüberhörbaren Abneigung gegen Autos deutscher Hersteller, die auch um den Trump Tower an Manhattans Fifth Avenue keinen Bogen machen, hat er sich jetzt zumindest auf echte Verhandlungen eingelassen.
Als ausfuhrstärkste Region der Welt hat die Europäische Union ein besonderes Interesse daran, die Regeln des Welthandels zu stärken und eklatante Regelverstöße zu ahnden. Mit einem Binnenmarkt, der ähnlich groß ist wie der der USA, kann die EU dabei selbstbewusst auftreten. Sie kann den Zugang zum eigenen Markt als Anreiz einsetzen, um andere Länder zu handelspolitischem Wohlverhalten zu bewegen. Wenn die EU sich gegen neue Handelsschranken anderer Länder wehrt, wird dies dort zur Kenntnis genommen.
Der Ausgang des Handelsstreits mit Trump bleibt ungewiss. Aber alles in allem hat Brüssel sich bisher richtig verhalten. Mögliche Absprachen mit den USA sollten sich im Rahmen der Regeln der Welthandelsorganisation bewegen. Zudem sollte die EU versuchen, gemeinsam mit den USA die Regeln der WTO so zu stärken, dass sie besser mit wettbewerbsschädlichen Markteingriffen Chinas umgehen kann. Wenn die EU bei ihrer Linie bleibt und diese Punkte beachtet, könnte die unselige Saga des Trumpschen Handelskrieges vielleicht doch ein halbwegs gutes Ende finden weit über den aktuellen Waffenstillstand hinaus.