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VW-Musterklage „Je älter und mehr Kilometer das Auto hat, umso besser ist der Deal“

Anwalt Marco Rogert vertritt VW-Kunden gegen den Konzern
Anwalt Marco Rogert vertritt VW-Kunden gegen den Konzern
© Marina Rosa Weigl
Nehmen oder lassen? Verbraucheranwalt Marco Rogert erklärt, was VW-Diesel-Geschädigte beim VW-Vergleichsgebot beachten sollten

Ende dieser Woche beginnt die Abwicklung des Vergleichs zwischen dem Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) und Volkswagen. Dabei geht es um die Entschädigung von VW-Kunden, die ein Dieselfahrzeug des Typs EA 189 mit einer illegalen Abschaltautomatik in der Abgasreinigung gekauft haben. Die Entschädigung hat der Verband mit der ersten Musterfeststellungsklage in Deutschland erstritten. Rechtsanwalt Marco Rogert ist einer der Verbraucheranwälte, die den Vergleich mit Volkswagen ausgehandelt haben .

Capital: Herr Rogert, fast 470.000 Kläger hatten sich für die Sammelklage registriert. Warum bekommen die nicht alle eine Entschädigung?

MARCO ROGERT: Es gab einige Doppelregistrierungen, nicht wenige haben sich kurz vorher noch abgemeldet, um eine Einzelklage zu führen. Außerdem gilt die Regelung nicht für Käufer, die zum Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs im Ausland lebten. Und sie gilt nur für diejenigen, die ihr Dieselfahrzeug mit dem Motortyp EA 189 vor dem 1. Januar 2016 gekauft haben. So kommen wir auf circa 262.500 Berechtigte.

In diesen Tagen bekommen all diese Menschen Post von VW mit einem konkreten Entschädigungsangebot. Bis zum 20. April muss sich jeder entscheiden, ob hopp oder top. Was raten Sie?

Für die einen ist das Angebot attraktiv, für die anderen eher nicht. Das kommt neben dem generellen Wunsch, das Fahrzeug zurückzugeben unter anderem auf das Alter des Autos, die gefahrenen Kilometer und den Kaufpreis an. Im Schnitt zahlt VW rund 15 Prozent auf den Bruttokaufpreis des Autos, zwischen 1350 und 6257 Euro. Das ist ein sehr respektables Ergebnis, das 2018 niemand erwartet hätte. Es bewegt sich im Rahmen der Entschädigungssummen, die deutsche Richter in ähnlichen Prozessen zugestanden haben und der in Einzelvergleichen verwendet wurde. Wir hatten für noch mehr gestritten, aber es war das maximal Erreichbare. Interessant dürfte das Vergleichsangebot insbesondere für Gebrauchtwagenkäufer mit hohen Kilometerleistungen sein. VW will nämlich keinen Unterschied zwischen Neu- und Gebrauchtwagen machen.

Und wer sollte den Deal eher ausschlagen?

Das muss zwar jeder für sich entscheiden. Aber als Faustregel gilt, je älter und mehr Kilometer das Fahrzeug hat, umso besser ist der Deal. Eher ungünstig ist der Deal, wenn das Auto teuer war und wenige Kilometer gefahren ist. Sinnvoll ist es, das Angebot von einem Anwalt prüfen zu lassen. Bei Vergleichsschluss übernimmt Volkswagen die Beratungskosten. Wer das Angebot ablehnt, für den lohnt sich zumeist eine individuelle Klage. Eventuell gibt es dort den vollen Bruttokaufpreis nebst Zinsen für das Fahrzeug zurück. Das Kostenrisiko übernehmen Prozesskostenfinanzierer, die mit Anwälten wie mir kooperieren. Sie bekommen dann bei Erfolg eine prozentuale Provision. Bis mindestens Ende Oktober ist für die Angemeldeten noch Zeit zu klagen, bis dahin ist die Verjährung durch die Musterklage gehemmt.

Am 5. Mai entscheidet der BGH möglicherweise, ob VW bei der Entschädigung überhaupt eine Nutzungsgebühr abziehen darf und in welcher Höhe.

Die Entscheidung könnte die Position der Verbraucher massiv verbessern – aber sie kommt natürlich leider nach dem 20. April, dem Stichtag für die An- oder Ablehnung des Vergleichs. Außerdem steht ja auch noch die Entscheidung aus, ob und ab wann VW die Entschädigungssumme verzinsen muss. Auch das könnte für VW nochmal richtig teuer werden.

Nach dieser ersten Erfahrung – was taugt das Instrument der Musterfeststellungsklage? Hilft es den Verbrauchern? Entlastet es die Gerichte?

Allen Unkenrufen zum Trotz haben wir ein respektables Ergebnis in relativ kurzer Zeit erzielt, das jedem unkompliziert und sicher eine Kompensation anbietet und zwar ohne weitere Klage. VW muss dafür jetzt immerhin bis zu 950 Mio. Euro bereitstellen, laut Wirtschaftsprüfer die maximale Summe, die fällig wird, wenn alle das Angebot annehmen. Auch die Gerichte sind zumindest teilweise entlastet. Allerdings sehe ich noch sehr viel Reformbedarf. Dass es jetzt direkt Geld gibt liegt nämlich an dem Vergleich. Durch Urteil hätten nur Feststellungen getroffen werden können, die einen Zweitprozess des einzelnen Geschädigten lediglich erleichtert hätten.

Sind die Entschädigungsklagen für VW damit jetzt erledigt?

Ganz sicher nicht. Der Vergleich hat vielen Geschädigten gezeigt, dass Klagen Geld bringt. Ich bekomme jetzt massenhaft Anrufe von Dieselkäufern, die sich nicht an der Musterfeststellungsklage beteiligt haben. Die wollen wissen, welche Chancen es jetzt noch gibt.

Und?

Nach meiner Einschätzung „Ja“. Aber das hängt davon ab, wann die Verjährungsfrist beginnt und endet. Auch hierzu steht noch eine höchstrichterliche Entscheidung aus. Ich meine, dass die Verjährungsfrist frühestens 2019 zu laufen begann, weil sich erst im letzten Jahr die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte herauskristallisiert hat. Die Frist beträgt drei Jahre – bis Ende 2022 dürfte VW also mindestens noch mit Klagen dieser Art zu tun haben, von den anderen betroffenen Fahrzeugtypen einmal ganz abgesehen.

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