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Kolumne Iran aus der Paria-Rolle holen

Stabilitätsfaktor statt Störenfried: Der Iran hat die Chance auf Rückkehr in die internationale Gemeinschaft. Von Ana Palacio

Eine Annäherung zwischen dem Iran und dem Westen galt lange Zeit als unerreichbares Ziel der Weltpolitik. Mittlerweile hat es zunehmend den Anschein, als ob sich die Welt an der Schwelle einer neuen Ära befände, die von einer vorsichtigen aber äußerst wichtigen Zusammenarbeit zwischen Ländern geprägt wird – vor allem dem Iran und den USA, die sich seit der Islamischen Revolution im Iran 1979 unversöhnlich gegenüberstehen.

Die Notwendigkeit einer solchen Zusammenarbeit war die treibende Kraft hinter der Zusammenkunft des Bergedorfer Gesprächskreises im letzten Monat, die von der Körber-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem iranischen Think Tank Institute for Political and International Studies (IPIS) organisiert wurde. Bei dieser Konferenz, an der auch ich teilnahm, diskutierten 30 Politiker, hochrangige Regierungsvertreter und Experten aus Europa, den USA und dem Iran über die künftigen Beziehungen, wobei wichtige Erkenntnisse gewonnen wurden, die bei künftigen politischen Entscheidungen berücksichtigt werden sollten.

Angesichts des Zerfalls von Staaten und der Auflösung territorialer Souveränität – insbesondere im Irak – kommen diese Bemühungen keine Minute zu früh. Um den Absturz der Region in das Chaos umzukehren, bedarf es starker stabilisierender Kräfte, die koordinierte Maßnahmen zur Eindämmung religiös motivierter Gewalt unterstützen. In dieser Frage kommt dem Iran eine Schlüsselrolle zu.

Rolle als Störenfried

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Ana Palacio war spanische Außenministerin und Vizepräsidentin der Weltbank. Derzeit ist sie Mitglied des spanischen Staatsrats

Neben seiner historischen und kulturellen Relevanz, die dem Iran im Nahen Osten eine gewisse Autorität verleiht, verfügt das Land auch über eine der wenigen funktionierenden Regierungen in der Region, die auf geopolitische Entwicklungen reagieren kann. Von den Ölreserven ganz zu schweigen, die Irans maßgebliche Rolle auf dem komplexen weltweiten Energiemarkt verstärken, vor allem im Hinblick auf die Europäer, die ihre Abhängigkeit von russischen Energieimporten verringern wollen.

Das Problem besteht darin, dass der Iran sein Führungspotenzial immer wieder vergeudet und sich für die Rolle als Störenfried entschieden hat, vor allem durch den Einsatz von Stellvertreterarmeen. Diese destruktive Tendenz verstärkt die Notwendigkeit der Zusammenarbeit, die Iran starke Anreize für eine konstruktive und gemäßigte Außenpolitik bieten sollte.

Einen wichtigen ersten Schritt in diese Richtung bilden die Atomverhandlungen zwischen dem Iran und den E3+3 (Frankreich, Deutschland und Großbritannien plus China, Russland und die USA). Die atomaren Ambitionen des Iran stellen seit langem eine Bedrohung für die Sicherheit im Nahen Osten dar, weil sie die Gefahr militärischer Präventivschläge durch Israel und die USA und, vielleicht noch beunruhigender, eines Rüstungswettlaufs mit den Golfstaaten erhöhen. Obwohl sich Auflösungstendenzen und religiös motivierte Gewalt in letzter Zeit zu einer akuten Gefahr entwickelten, sollten die Risiken im Zusammenhang mit einem Aufstieg des Iran zur Atommacht nicht unterschätzt werden.

Ein weiterer Grund für die Bedeutung der aktuellen Gespräche ist die innenpolitische Dynamik im Iran. Wenn es dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani nicht gelingt, bis zu den Parlamentswahlen im nächsten Jahr im Gegenzug für seine Zugeständnisse an den Westen den Bürgern konkrete wirtschaftliche Vorteile zu bieten – insbesondere eine Lockerung der internationalen Sanktionen - werden die Hardliner wieder die Vorherrschaft in der iranischen Außenpolitik übernehmen. In Anbetracht dieser Tatsache hat der Westen in Rohani und dem iranischen Außenminister Dschawad Sarif motivierte – und offenbar ergebnisorientierte – Gesprächspartner gefunden.

Ein Atomabkommen ist möglich

Die womöglich wichtigste Motivation bei den E3+3-Verhandlungen besteht darin, dass die Klärung des nuklearen Status des Iran eine unabdingbare Voraussetzung für die Integration des Landes in die internationale Gemeinschaft ist. Als Paria-Staat kann der Iran keine stabilisierende Rolle im Nahen Osten spielen.

Das heißt allerdings nicht, dass die Unterhändler um jeden Preis ein Abkommen anstreben sollten. Ein schwaches Abkommen, in dem keine angemessenen Überprüfungsmechanismen vorgesehen sind und das den Iran mit ausreichend Anreicherungskapazitäten zur kurzfristigen Entwicklung von Atomwaffen ausstattet, würde mehr schaden als nützen. Ein derartiger Pakt würde nicht nur israelische Sicherheitsbedenken schüren und die Gegnerschaft eines ohnehin schon skeptischen US-Kongresses befeuern, sondern auch die Position der meisten blockierenden Elemente im Iran stärken und damit die Möglichkeit einer künftigen konstruktiven Einbindung so gut wie beseitigen.

Es wird zweifellos schwierig, ein wirksames, faires Abkommen zu erreichen, aber es besteht Grund zur Annahme, dass es möglich ist. Die aktuelle Verhandlungsrunde hat ein paar Fortschritte im Hinblick auf einen der zwei wesentlichen Knackpunkte gebracht: dem Schwerwasserreaktor in Arak.

Die andere Schlüsselfrage, die Zentrifugen, ist problematischer. Doch alternative Kennzahlen – beispielsweise das Gesamtproduktionsvolumen statt der Zahl der Zentrifugen – in Kombination mit rigorosen Überwachungsgarantien könnten ein Abkommen erleichtern.

breiter Rahmen für eine regionale Kooperation

Nach einer Lösung der nuklearen Frage könnten die politischen Entscheidungsträger des Westens eine Zusammenarbeit mit dem Iran auf anderen Gebieten vorantreiben – angefangen bei Sicherheit und Stabilität im Nahen Osten. Natürlich wäre eine Beteiligung des Iran an diesen Bestrebungen zwar wichtig, aber nicht ausreichend, um das gegenwärtige Blutvergießen zu stoppen. Angesichts der religiösen Natur der regionalen Konflikte – für die iranische Behörden erhebliche Verantwortung tragen - muss die Einbindung des Iran innerhalb eines breiteren Rahmens regionaler Kooperation, vor allem mit den Golfstaaten, stattfinden.

Da die USA und Europa weder Lust haben noch über die finanziellen Mittel verfügen, um wirksam auf die katastrophalen Entwicklungen im Nahen Osten zu reagieren, werden die Lösungen zumindest teilweise aus Ländern mit starkem regionalen Einfluss kommen müssen. Doch wenn man eine Zusammenarbeit mit Ländern wie dem Iran anstrebt, müssen die politischen Entscheidungsträger des Westens wachsam bleiben und vermeiden, dass aufgrund eines Gefühls der Dringlichkeit das destruktive Potenzial dieser Regime unberücksichtigt bleibt.

Behält man diesen Vorbehalt im Auge, sind die möglichen Vorteile des Zusammenwirkens zwischen dem Westen und dem Iran gar nicht hoch genug einzuschätzen. In den kommenden Wochen werden die USA und die EU Gelegenheit haben, Fortschritte in Richtung eines stabileren und von höherer Sicherheit geprägten Nahen Ostens zu erzielen – davon würde die ganze Welt profitieren.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

Copyright: Project Syndicate, 2014.
 www.project-syndicate.org

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