Es ist der sechste Kandidat für einen potenziellen Wirkstoff gegen Covid-19. Deutsche Forscher starten nach amerikanischen und chinesischen Kollegen klinische Studien am Menschen. Das Paul-Ehrlich Institut gab der Mainzer Firma Biontech dafür nun grünes Licht.
Experten, die mit Impfstoffentwicklungen vertraut sind, warnen jedoch vor voreiligen Schlüssen. Etwa die Hälfte der 76 Projekte, welche die Weltgesundheitsorganisation im Rennen um eine Immunisierung derzeit listet und begleitet, werde wohl auf der Strecke bleiben, meint etwa Seth Berkley, Geschäftsführer der internationalen Impfallianz Gavi. Am Ende, das sagen auch andere, dürften fünf bis zehn Impfstoffe alle Entwicklungsphasen erfolgreich bestehen.
Bis diese verfügbar sind, um die Pandemie zu besiegen, hat die überraschte Weltgemeinschaft allerdings zügig einige kritische Fragen zu klären: Wo wird die Fertigung von Millionen Impfdosen serienmäßig anlaufen? Wer entscheidet darüber? Nach welchen Kriterien werden welche Risikogruppen zuerst geimpft? Wie kann eine gerechte Verteilung weltweit garantiert werden?
Nach Meinung von Berkley sind gemeinsame globale Antworten unabdingbar, wenn man nationale Alleingänge verhindern und Egoismen einhegen will. „Das Ziel ist, dass die besten Impfstoffe entwickelt und dann umfangreich produziert werden. Die Wissenschaft muss global sein, und auch der Zugang muss international abgestimmt werden, das hat Vorrang“, sagte der Epidemiologe und langjährige Leiter von Gavi in einem Videogespräch mit deutschen Journalisten.
Impfkampagnen in mehr als 70 Ländern
Gavi ist eine von Regierungen und der Bill & Melinda Gates Stiftung finanzierte Organisation, die seit 20 Jahren Impfprogramme – etwa gegen Masern oder Polio – in mehr als 70 einkommensschwachen Ländern ausrollt. Sie sensibilisieren und organisieren Impfkampagnen da, wo Gesundheitssysteme beispielsweise nicht über Kühlketten verfügen. Die Allianz wird aus Mitteln der Entwicklungshilfe auch von der Bundesregierung gefördert.
Berkley empfiehlt dringend, die potenziellen Impfstoffe als „globale öffentliche Güter“ zu deklarieren. Regierungen und Gesundheitsorganisationen sollten sich frühzeitig abstimmen und internationale Vereinbarungen für eine Arbeitsteilung schließen. Die Weltgemeinschaft müsse dabei bis zu einem bestimmten Punkt auch die Kosten der Serienfertigung und Verbreitung von einer oder mehreren erfolgreichen Vakzinen übernehmen. Nur so könne verhindert werden, dass reiche Staaten alles aufkaufen.
„Die erste Herausforderung ist, genug Impfstoff für alle herzustellen“, so der Gavi-Geschäftsführer. Dafür müssten die siegreichen Technologien geteilt und neue Kapazitäten zu ihrer Massenproduktion geschaffen werden – auch in den zahlreichen Schwellenländern, die in der Pharmaproduktion eine wichtige Rolle spielten. Zusatzkapazität wird notwendig, um die Herstellung anderer Seren nicht zu gefährden. „Das ist kostensensitiv“, so Berkley. „Wir werden für eine Reihe von Fabriken Vorschüsse brauchen.“ Microsoft-Gründer Bill Gates, der bereits Zuschüsse für die Produktion angekündigt hat, hält dafür Investitionen in Milliardenhöhe für erforderlich.
UN für faire und transparente Verteilung
Aus Sorge um ein mögliches Hauen und Stechen um neue Mittel gegen Covid-19 hat auch die Uno vor Alleingängen gewarnt. künftige Medikamente und Impfstoffe sollten gerecht, transparent, gleichberechtigt und effizient – auch in Entwicklungsländern – verfügbar gemacht werden, forderte die Vollversammlung. Wie das geschehen soll, darüber herrscht noch keine Klarheit.
So hat die Gruppe der 20 Industrie- und Schwellenländer zwar erklärt, sie wollten der Pandemie-Bedrohung „geeint entgegentreten“. Die G20 wollen sich dabei auch stärker untereinander und mit dem Privatsektor abstimmen, „damit zügig Diagnoseverfahren, antivirale Medikamente und Impfstoffe wirksam, sicher, gerecht, erschwinglich und zugänglich hergestellt und vertrieben werden können".
Auch auf der Herstellerseite scheint die Bereitschaft zu Absprachen groß. So begrüßte der globale Pharmaverband IFPMA die Uno-Resolution und sicherte Zusammenarbeit mit Regierungen und anderen Beteiligten zu, um neue Gesundheitstechnologien so schnell und preiswert wie möglich auf die Straße zu bringen – und zwar, ohne die Patientenversorgung mit anderen lebensrettenden Produkten zu gefährden. Pharmakonzerne wie Sanofi und Johnsen & Johnsen wollen erklärtermaßen Impfstoffe zum Kostenpreis verfügbar machen.
Eine zentrale Rolle in der globalen Abstimmung fällt sicher der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu, der US-Präsident Donald Trump gerade einen Teil der Mittel gestrichen hat. So haben die G20 die WHO gebeten, einen Plan für die faire Verteilung neuer Wirkstoffe zu entwickeln. Die Prioritätensetzung für eine Immunisierung und die Reihenfolge erfordern schwierige Entscheidungen. Gavi-Chef Berkley empfiehlt seinerseits, dass Gesundheitspersonal Vorrang haben sollte, gefolgt von bekannten Risikogruppen und etwa Gebieten, in denen sich das neuartige Virus weiter unkontrolliert ausbreite.
Schnelligkeit hängt von siegreicher Wirkformel ab
Welche Art von Impfstoff am kostengünstigsten und schnellsten millionenfach verabreicht werden kann, hängt letztlich mit von der Machart des Wirkstoffes ab. Braucht ein Serum eine Kühlkette, und muss es in bestimmten Abständen zweimal verabreicht werden? „Das wäre vermutlich für eine Injektion der Fall“, meint Berkley. Denkbar sind zudem Schluckimpfungen oder Verabreichungen über die Nase.
Vor allem Biotechfirmen, die – wie Moderna in den USA, Biontech und der Tübinger Rivale CureVac – auf so genannte mRNA-Technologie setzen, werben mit einer logistisch einfacheren und schnelleren Verbreitung. Anders als bei herkömmlichen Vakzinen wird dabei das Immunsystem nicht mit inaktiven Erregern konfrontiert, sondern mit Erbinformation des Virus versorgt, damit die Zellen des Geimpften das Virus quasi teilweise nachbilden und dann zur Abwehr mobilisieren.
Allerdings, und das betont auch Impfexperte Berkley, gibt es trotz jahrelanger Forschungen bisher keinen zugelassenen Impfstoff, der auf dieser Bauweise basiert. So konnte etwa im Kampf gegen HIV-Aids oder gegen Krebs mit diesem Wirkprinzip keine Immunisierung erreicht werden. Wie das bei Covid-19 ausgehe, müsse man sehen, meint Berkley. Aber er würde nicht darauf setzen: „Der Igel könnte das Rennen gegen den Hasen gewinnen.“