Guntram Wolff ist Ökonom und Direktor der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Zuvor hat er unter anderem für die EU-Kommission und die Bundesbank gearbeitet
Der Internationale Währungsfonds beziffert das Deflationsrisiko in der Eurozone derzeit auf etwa 30 Prozent und die Wachstumszahlen in der Währungsunion entwickeln sich weiterhin enttäuschend. Doch die politischen Entscheidungsträger sind offenbar in einem komplexen Geflecht aus wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Beschränkungen gefangen, DIE wirksame Maßnahmen verhindern. Ohne Wachstum erscheint die Einhaltung politischer Regeln unmöglich und ohne Regelverstöße ist offenbar kein Wachstum zu erzielen.
Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble bekennt sich in seiner Politik dazu, die strikten Haushaltsregeln des Landes noch zu überbieten, um die von ihm so bezeichnete haushaltspolitische „schwarze Null“ sicherzustellen. Die französische Regierung ist bestrebt, ihre Glaubwürdigkeit hinsichtlich Reformversprechen wiederherzustellen, die für verschleppte haushaltspolitische Anpassungen gegeben wurden und Italien verfügt als Land mit einer der höchsten Schuldenlasten in der Eurozone über wenig Spielraum, haushaltspolitische Akzente zu setzen. Die Möglichkeiten der Europäischen Zentralbank sind eingeschränkt wegen der Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihrer geldpolitischen Outright-Geschäfte - also möglicher Staatsanleihenkäufe im Rahmen des ESM-Programmes.
Angesichts all dieser auf eine Rezession hindeutenden Regeln, stellt sich die Frage, wie Europa die wirtschaftliche Erholung vorantreiben kann.
Keine Belastung der Haushalte
Die beste Methode, den derzeitigen Stillstand in Europa zu überwinden, wäre ein mit Anleihen der Europäischen Investitionsbank finanziertes zweijähriges öffentliches Investitionsprogramm im Volumen von 400 Mrd. Euro. Die Kreditaufnahme durch die EIB hat keine direkten Auswirkungen auf die Bestimmungen der europäischen Fiskalpolitik. Diese Mittel schlagen sich weder als neue Schulden noch als Defizit in einem der Mitgliedsländer nieder, was wiederum bedeutet, dass neue Staatsausgaben ohne Beeinträchtigung der jeweiligen nationalen Haushaltslage finanziert werden könnten.
Um die Staatshaushalte zu entlasten, könnte also ein Teil der momentan auf nationaler Ebene geplanten Investitionsausgaben über europäische Kreditaufnahme finanziert werden. Dieser indirekte Weg im Umgang mit strengen Regeln wäre einfacher als in lange und mühsame Verhandlungen über Änderungen des haushaltspolitischen Rahmens einzutreten.
Bei der EIB zeigt man sich besorgt, dass ihr ein derartiges Programm das Triple-A-Rating kosten könnte. Obwohl sie derzeit bei langen Laufzeiten Geldmittel zu einem Zinssatz von 1,6 Prozent aufnehmen kann, hat die Bank ihre jüngste Kapitalerhöhung eher dazu genutzt, Fremdkapital zu verringern und nicht, um ihr Darlehensportfolio substanziell auszuweiten, wie dies in Zeiten der Einschränkungen im Bereich der privaten Kreditvergabe erforderlich wäre. Jedenfalls hätte eine Änderung des Ratings im aktuellen Niedrigzinsumfeld kaum Auswirkungen auf die Finanzierungskosten, wie an den Staatsanleihen schlechter bewerteter Länder zu erkennen ist.
Zudem könnte die EZB Anleihen der EIB auf den Sekundärmärkten kaufen. Das würde helfen, die Finanzierungskosten gering zu halten – oder sie sogar zu senken. Noch wichtiger: Mit den Ankäufen von EIB-Anleihen könnte die EZB die quantitative Lockerung umsetzen, ohne damit jenes Maß an Kontroversen zu entfachen, die Interventionen auf 18 separaten Staatsanleihemärkten mit sich brächten. Auf diesen Märkten bestehen nämlich sehr reale Bedenken, dass die Käufe der EZB die relativen Preise der Staatsanleihen beeinflussen würden.
Staaten legen Projekte fest
Bereits jetzt stehen EIB-Anleihen im Umfang von 200 Mrd. Euro zur Verfügung. Ein Paket mit weiteren 400 Mrd. Euro würde den Bestand substanziell erhöhen. In Kombination mit forderungsbesicherten Wertpapieren, gedeckten Schuldverschreibungen und Unternehmensanleihen stünde 1 Billion Euro an Vermögenswerten zum potentiellen Kauf zur Verfügung – also jener Schwellenwert, von dem weithin angenommen wird, dass er die quantitative Lockerung der EZB glaubwürdig erscheinen ließe.
Eine zentrale Frage lautet natürlich, welche Art Staatsausgaben als Investitionsausgaben eingestuft werden und welche europäischen Investitionsprojekte zu unterstützen sind. Es ist unmöglich, neue und sinnvolle europäische Projekte im Ausmaß von 200 Mrd. Euro jährlich festzulegen. Gemeinsame Projekte wie die europäische Energieunion erfordern mehr Zeit, um sie genau zu definieren. Aus diesem Grund muss das Gros der Investitionen von den politischen Entscheidungsträgern auf nationaler Ebene festgelegt werden.
Teilweise bedeutet das, dass die Mittel für bestehende, aus nationalen Haushalten zu finanzierende Infrastrukturprojekte von der EIB kommen könnten. Durch die Entlastung der Staatshaushalte könnte auch der aktuelle Rückgang im Bereich öffentlicher Investitionen umgekehrt werden.
Ein Teil dieser neu erschlossenen Ressourcen könnte für die Konsolidierung des französischen Staatshaushalts ohne prozyklische Einschnitte verwendet werden. Es wäre möglich, Frankreich im Gegenzug für ernsthafte und notwendige Strukturreformen diese Hilfe unter Einhaltung der Fiskalregeln zu gewähren. Dies gilt auf für Italien, wo die von der EIB finanzierten Anleihen dringend benötigte Wachstumsimpulse ohne neuerliche staatliche Verpflichtungen bieten würden. In Deutschland könnte man die frei werdenden Ressourcen einsetzen, um bestehende Investitionsprojekte zu beschleunigen und das Haushaltsziel der schwarzen Null trotzdem zu erreichen.
Ähnliche Arrangements könnte man auch für andere Länder der Eurozone treffen. Um den Missbrauch der Gelder zu verhindern, sollte die Europäische Kommission sämtliche nationalen Investitionsprojekte gründlich prüfen. Allgemeiner formuliert ist festzustellen, dass dieses Programm einen bedeutenden Schritt in Richtung des Aufbaus der bislang fehlenden Fiskalunion in der Eurozone markieren würde. Dieses Ziel wird rascher zu erreichen sein, wenn die damit verbundenen Vorteile für alle offensichtlich sind.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier
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