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Interview „Ich will den Kunden für immer bei mir halten“

Ariane de Rothschild ist Vice President der Schweizer Edmond de Rothschild Gruppe, Friedrich von Metzler seit 1971 persönlich haftender Gesellschafter der Privatbank Metzler, die er in elfter Generation führt.
Ariane de Rothschild ist Vice President der Schweizer Edmond de Rothschild Gruppe, Friedrich von Metzler seit 1971 persönlich haftender Gesellschafter der Privatbank Metzler, die er in elfter Generation führt.
© Maurice Haas
Zwei legendäre Bankhäuser, 600 Jahre Erfahrung, das erste gemeinsame Interview: Capital traf in Genf Ariane de Rothschild und Friedrich von Metzler

Das Haus in Genf: unscheinbar, dezent. Ein kleines Schild weist auf den großen Namen hin: „Edmond de Rothschild“. Hier sitzt der Schweizer Zweig der großen Dynastie. Wir treffen Ariane de Rothschild und Friedrich von Metzler im Büro der Baronin. Ein aufgeräumter Schreibtisch, Kunst aus dem Iran, im Flur ein Filmplakat: „Das Milliardenversprechen“, eine Doku über die Spendeninitiative The Giving Pledge, in der auch Ariane de Rothschild auftritt. Die beiden reden wie ein eingespieltes Team.

Zwei traditionsreiche Dynastien sitzen hier mit Capital an einem Tisch. Zusammengerechnet stehen Sie beide für 600 Jahre Erfahrung im Bankgeschäft. Was ist der Schlüsselfaktor für das Überleben in dieser Branche?

ARIANE DE ROTHSCHILD: Der erste Faktor sind unsere Werte. Ein zweiter ist der Zeithorizont. Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was in unserer Branche als langfristig gilt, und dem, was wir selbst als langfristig ansehen. Drittens: ein klares Bewusstsein für die Verpflichtungen und die Verantwortung, die wir geerbt haben und die wir weiter in die Zukunft tragen müssen.

FRIEDRICH VON METZLER: Ich kann das alles unterstreichen. Und würde hinzufügen, dass Sie die Geschichte kennen müssen. Eine langfristige Strategie kann man nur entwickeln, wenn man die Geschichte kennt. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Nach dem Zweiten Weltkrieg existierte das Geschäftsmodell unserer Bank, vor allem die Vermögensverwaltung, so gut wie nicht mehr. Damals sagten unsere Vorväter: Wir müssen jetzt abwarten. Die Kapitalmärkte werden sich wieder entwickeln. Und so sind wir klein geblieben, bis in die 80er-Jahre, als die institutionelle Vermögensverwaltung kam, das Private Banking und die Beratung beim Kauf und Verkauf von Unternehmen.

Was sind denn die zentralen Werte Ihrer beiden Banken?

ROTHSCHILD: Als ich Fritz vor drei Jahren zum ersten Mal traf und er mir seine Bank und ihre Philosophie erklärte, war ich fasziniert, wie ähnlich wir über Werte denken. Der wichtigste Wert ist, dem Kunden zu dienen. Unsere Einstellung zum Geschäft hat sich über die Jahrhunderte kaum geändert, man könnte sie mit dem Selbstverständnis eines Hausarztes der Familie vergleichen. Wir sind über Generationen hinweg für ein Unternehmen da.

METZLER: Die Frage ist immer: Was braucht der Kunde? Und können wir ihm das anbieten, was er braucht? Dafür benötigen wir Mitarbeiter, die diese Werte teilen und respektieren. Es kommt nicht nur darauf an, was ein Kollege kann und weiß. Auch der Charakter ist sehr wichtig. Hinzu kommt das langfristige Denken. Wer eine Fabrik baut, muss sich fragen: Was wird in 20 Jahren sein? Im Bankgeschäft ist das genauso. Langfristiges Denken heißt: Ich will den Kunden für immer bei mir halten.

Langfristig heißt für immer?

ROTHSCHILD: Es bedeutet, in Generationen zu denken. Das heißt, über mindestens 20 Jahre. Idealerweise ist bei uns der Großvater Kunde, der Vater, der Sohn, die Cousine ... Und wie ein Hausarzt muss man dafür viel Zeit aufwenden. Natürlich können wir unsere Geschichte nicht nur auf andere Familien stützen. Wie das Bankhaus Metzler haben wir andere Geschäftsaktivitäten entwickelt, die uns wettbewerbsfähig machen. Corporate Finance etwa.

Wenn man in die Geschichte schaut, entstanden im Kapitalismus Dynamik und Wirtschaftswachstum aber oder gerade daraus, dass Unternehmer kurzfristig hohe Risiken eingehen. Wie gehen Sie mit dieser Spannung um?

ROTHSCHILD: Familienunternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein Verhältnis zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft haben. Wenn es bei ihnen keine Einigkeit über die eigene DNA gibt, keine echte Balance zwischen Gewinn, Risiko, Kreativität und Engagement
 an den Kapitalmärkten, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie irgendwann implodieren. In Jahren hohen Wachstums und hoher Erträge bei den Großbanken werden wir tendenziell schlechter abschneiden.

Friedrich von Metzler ist seit 1971 persönlich haftender Gesellschafter des Bankhauses, das er zusammen mit sechs weiteren Mitgliedern des Partnerkreises in der elften Generation führt.
Friedrich von Metzler ist seit 1971 persönlich haftender Gesellschafter des Bankhauses, das er zusammen mit sechs weiteren Mitgliedern des Partnerkreises in der elften Generation führt.
© Maurice Haas

Wie wird historisches Wissen denn in Dynastien weitergegeben? Man spricht doch nicht schon morgens beim Frühstück darüber ...

METZLER: Wir haben ein geflügeltes Wort dafür: „Das muss am Lagerfeuer besprochen werden.“ Das heißt: beim Essen. Wenn ich aus
der Schule kam, dann hat mein Vater beim Mittagessen über sein Geschäft gesprochen. Und zwar am meisten, wenn er wütend war. Erinnern Sie ein Beispiel?

METZLER: Mein Vater war Präsident der Frankfurter Wertpapierbörse. Einmal kam er nach Hause, war fürchterlich wütend und erzählte uns, dass ein Geschäftsführer hinter seinem Rücken die IT in eine neue Gesellschaft ausgelagert hatte. Damit er nach seiner Pensionierung dort noch immer eine wichtige Rolle spielen konnte. Das war ein schrecklicher strategischer Fehler. Diese Datenzentrale hat auch nicht funktioniert, und als ich später in den Aufsichtsrat der Börse berufen wurde, war für mich klar: Es muss wieder alles unter ein Dach gebracht werden. Wo hatte ich das nötige Wissen erlernt? Nach der Schule am „Lagerfeuer“.

Baronin Rothschild, Sie haben 1999 in die Rothschild-Familie eingeheiratet. Haben Sie als Kind auch so ein Lagerfeuer?

ROTHSCHILD: Ja, ständig, ich habe beim Frühstück, beim Mittagssen und beim Abendbrot von diesen Dingen gehört, denn mein Vater war von der Geschäftswelt wie besessen. Mein Bruder hasste diese Themen, ich bewundere ihn, er ist heute Winzer. Ich selbst war am Esstisch immer die geschäftliche Vertraute meines Vaters. Aber ich habe auch viel von meinem Schwiegervater, Edmond Adolphe de Rothschild, gelernt, der 1997 verstorben ist. Er brachte mir viel bei über das Verhältnis der Menschen zur Macht. Wenn man 30 ist, sagt man oft: pffft! Und er sagte dann: „Ariane, wenn man ein Rothschild ist, wird das so sein.“ 20 Jahre später sage ich: Er hatte so recht. Und ich bin sicher, er hatte die gleichen Auseinandersetzungen mit seinem Vater. Ich erlebe jetzt Ähnliches mit meinen Töchtern.

Was sagen Ihnen Ihre Töchter?

ROTHSCHILD: Die sagen: „Mami, was du tust, ist so eine Zeitverschwendung.“ Oder: „Nie im Leben will ich so etwas machen wie du.“ Aber das ist Teil des Prozesses, in dem Dinge weitergegeben werden. Du wächst in dieser Umgebung auf, und das Bankgeschäft ist einfach da, sieben Tage die Woche. Man muss Kinder wissen lassen, was man macht, und sich ihr eigenes Urteil bilden lassen. Daran wachsen Kinder. Und sie hören alles, was man sagt.

METZLER: Als ich 26 Jahre alt
 war, habe ich in der Bank angefangen und mit meinem Vater zusammengearbeitet. Wir haben das geliebt. Aber wir hatten Diskussionen. Wenn wir unterschiedlicher Meinung waren, habe ich gesagt: „Du bist der Ältere, du bist der Klügere – du musst nachgeben.“ Er hat gelacht. Wir haben geglaubt, dass man den anderen wirklich überzeugen muss. Daraus entstehen intensive Diskussionen. Freundlich, aber heftig. Nach ein paar Stunden kam er dann manchmal in mein Büro und sagte: „Aber im Prinzip verstehen wir uns.“

Die familiäre Nähe kann auch kompliziert und gefährlich für die Existenz eines Unternehmens werden. Ist es manchmal nicht besser, mit Außenstehenden zu arbeiten?

ROTHSCHILD: Familiengeführte Banken sind natürlich sehr kompliziert. Aber das ist auch der Fall, wenn man Leute von außen dazuholt. Die Komplikationen sind dann nur anders. Es geht im Kern doch um Vertrauen. Traut man seinen Kindern? Familien sind dann stark, wenn sie ihren Kindern Raum geben und ihnen erlauben zu scheitern. Ich glaube sehr stark an diesen Wert, denn nur durch Scheitern lernen wir. Es klappt nicht, wenn man von seinen Kindern immer nur das Allerbeste erwartet.

METZLER: Ich sage meinen Kindern: Wir haben als Familie in 340 Jahren niemals einen existenziellen Krach gehabt. Das ist ein sehr wichtiger Punkt: Es gibt Familien, in denen man sich bekämpft. Und alle verlieren. Ein weiterer Faktor ist: Man muss darauf achten, dass sich niemand schlechter gestellt fühlt. Oft ist es nur das Gefühl, gar nicht die Realität.

In der Gesellschaft schwindet der Zusammenhalt von Familien, auch die lebenslange Bindung an eine Firma. Wie erneuert sich in einem solchen Umfeld die Loyalität?

ROTHSCHILD: Es geht um mehr als Loyalität. Es geht um eine Leidenschaft für dieses Geschäft. Wir selbst haben unter großem Druck gestanden, etwas zu leisten, und wahrscheinlich geben wir das jetzt auch an unsere Kinder weiter.

Hat man das Dasein als Banker in den Genen oder nicht?

ROTHSCHILD: Es gibt da etwas in der DNA. Ja, wirklich, man hat das Bankersein im Blut. Es gibt in den großen Familien überraschend lange Zyklen. Eine Generation ist sehr im Bankgeschäft engagiert, und dann gibt es Generationen, die das weniger interessiert und die nur ihre Anteile halten. Das ist eine persönliche Entscheidung. Ich finde, man muss einerseits seine Familie respektieren und auch sein eigenes Leben. Ich sage meinen Kindern: Wichtig ist, dass man exzellent ist in dem, was man tut. Und wenn du dich entscheidest, eine Sache zu machen, dann
 sei unter den Besten. Ihr könnt werden, was ihr wollt, Architekt, Journalist. Aber irgendwann müsst ihr auch einmal in das Geschäft eintauchen, denn sonst werdet ihr nicht in der Lage sein, das Unternehmen zu führen. Man kann das Geschäft nicht in Hände übergeben, die nicht zumindest die Grundlagen verstehen. Sie müssen einen klaren Blick bekommen, warum sie es erben.

METZLER: Ariane will gestalten. Das heißt mehr als bauen. Es heißt auch: aktiv formen. Und es fügt sich zusammen mit ihrem Interesse für Finanzen. Sie ist sehr stolz auf das Erbe ihres Mannes.

Man muss scheitern dürfen. Ich sage unseren Kindern auch, dass es sehr schwierig ist, den Beruf für das ganze Leben zu finden.
Friedrich von Metzler

Wollten Sie als junger Mann wirklich ins Bankgeschäft?

METZLER: Ja, für mich war es einfach Glück, dass mich das Bankgeschäft wirklich interessiert hat. Ob das an den Genen lag oder woran auch immer – es hat sich einfach so ergeben. Mein Vetter arbeitet bereits in der Bank und meine Kinder interessieren sich für das Bankgeschäft und sind gerade dabei, unser Haus kennenzulernen.

Wenn Ihr Sohn sagen würde, er will Musiker werden – wäre das in Ordnung für Sie?

METZLER: (lacht) Wenn er gut ist – ja. Aber ich unterstreiche auch den anderen Punkt noch einmal: Man muss scheitern dürfen. Ich sage unseren Kindern auch, dass es sehr schwierig ist, den Beruf für das ganze Leben zu finden. Wenn man merkt, dass es nicht das Richtige ist, sollte man aufhören und etwas anderes machen. Es ist schrecklich, wenn man ein Kind zwingt, bei der ersten Entscheidung für einen Beruf zu bleiben.

ROTHSCHILD: Ja, das ist furchtbar.

METZLER: Ob man etwas mag, kann man erst sehen, wenn man es tut. Wenn meine Kinder in die Bank kommen, dann bleiben sie erst einmal zwölf Monate – und dann werden wir weitersehen. Auch wenn sie nie mehr dort arbeiten sollten, müssen sie die Bank trotzdem kennen, denn sie sind schließlich die Teilhaber. Man kann auch als bloßer Gesellschafter glücklich sein, aber man hat in dieser Rolle Verpflichtungen. Man muss das richtige Management aussuchen und es bei seiner Arbeit begleiten. Wenn jemand Musiker ist, aber trotzdem etwas vom Bankgeschäft versteht, kann er diese Rolle viel besser ausfüllen.

ROTHSCHILD: Und er kann seine Gagen besser aushandeln.

Baronin Rothschild, Sie haben vier Töchter. Wird eine von ihnen irgendwann die Führung der Dynastie übernehmen?

ROTHSCHILD: Ein wichtiger Trend in der Gesellschaft geht ja zur Multi-Berufstätigkeit. Man hat mehrere Jobs, entweder parallel oder nacheinander. Ich freue mich wirklich darauf zu sehen, wie meine Töchter diesen Wechsel bewältigen. Unsere Generation wurde so erzogen, dass man einen Berufsweg ausgewählt hat und bei dem Pfad auch bleibt. Die nächste Generation wird flexibler sein, mehr Brüche haben. Das wird sehr interessant für unsere Bank, meine Töchter werden mal nah am Geschäft sein, dann wieder weiter weg. Und ich denke, das ist gut für das Unternehmen, denn meine Töchter werden die Welt da draußen kennen.

METZLER: Die Rothschilds haben sich in eine der modernsten Familien verwandelt: Baron Benjamin de Rothschild und Ariane haben vier Töchter – das ist die neue Welt!

Wird es die Bank verändern, wenn sie von Frauen geführt wird?

ROTHSCHILD: Nein.

METZLER: Nicht im Geringsten. Es kommt allein auf die Persönlichkeit an, nicht auf das Geschlecht.

ROTHSCHILD: Die Familienunternehmen sind hier weiter als andere, denn bei uns ist das ein ganz natürlicher Prozess, die Nachfol
ge wird durch den Nachwuchs bestimmt. Und der ist bei uns weiblich. Und wenn sie es wünschen, werden einmal eine oder mehre
re meiner Töchter an die Spitze der Bank rücken. Die Angestellten sind das ja schon gewöhnt, dass ab und zu meine Töchter hier herumspringen. Deswegen heißt es ja auch Family-Business – die Familien sind das Herz des Ganzen.

Wir kaufen nichts für unsere Kunden, was wir nicht verstehen.
Ariane de Rothschild

Herr von Metzler, wir haben gerade eine epochale Krise erlebt,
 im Grunde erleben wir sie immer noch. Was ist Ihre Lektion, wie hat Ihre Bank die Krise überstanden?

METZLER: Unsere beiden Häuser haben die Krise gut überstanden, weil wir keine Risiken eingegangen sind; darüber hinaus hatten wir genug Kapital. Das ist wichtig, man braucht ausreichend Reserven. Die Geschichte lehrt uns, dass Wirtschaftskrisen immer wieder kommen. Das Problem ist, wir wissen meist nicht, wo und wann sie auftauchen und wie groß sie sind. Das erleben wir seit Jahrhunderten. Die wichtige Frage lautet also: Wie kann man sich trotzdem darauf vorbereiten?


Und wie gelingt das?

ROTHSCHILD: Wir waren konservativ.

METZLER: Unsere Kunden und wir haben nicht in riskante Papiere investiert.

ROTHSCHILD: Wir haben nicht an diese Finanzinstrumente geglaubt.

METZLER: Ja, wir glaubten einfach nicht dran, dass man Risiken durch Bündelung wegzaubern kann.

ROTHSCHILD: Wir kaufen nichts für unsere Kunden, was wir nicht verstehen.

METZLER: Wir kaufen auch vieles nicht, gerade weil wir es verstehen.

ROTHSCHILD: Ich erinnere mich, wie mir diese komplizierten Produkte präsentiert wurden. Wir sagten: Wir verstehen sie nicht, und fühlten uns wie Idioten. Wir fragten: Wie kann man Junkbonds zusammenschnüren und mit guten Ratings versehen? Also haben wir nicht investiert, Gott sei Dank. Ist also das Geheimnis, dass man konservativ ist? Vermutlich.

Wenn man aus der Geschichte lernt, geht es für Dynastien aber auch darum, Gelegenheiten zu erkennen und zu ergreifen. Seit der Finanzkrise sind die meisten damit beschäftigt, Risiken besser zu managen und zu reduzieren – aber es ist doch genauso wichtig, Chancen zu sehen, bestimmte Wellen zu reiten. Wenn man die verpasst, ist man auch aus dem Spiel.

ROTHSCHILD: Sie haben recht. Aber Sie dürfen nur Wellen reiten, an die Sie glauben. Sonst lassen Sie es. Es geht nicht darum, eine allgemeine Welle zu reiten, sondern innerhalb einer Welle zu fragen: Was sind meine Ziele und welchen Zeithorizont habe ich? Nehmen Sie zum Beispiel Japan – Sie können nicht sagen: Ich gehe für drei Jahre nach Japan. Das dauert viel länger, ein Geschäft aufzubauen.

Sie beide erwähnen immer wieder die Bedeutung des Wissens über die Geschichte. In diesem Herbst starten Sie deshalb ein neues Projekt: Sie stiften dem House of Finance der Goethe-Universität in Frankfurt in Kooperation mit dem Institut für bankhistorische Forschung eine Gastprofessur „Financial History“. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

ROTHSCHILD: Die Idee entstand vor etwa drei Jahren aus den Erfahrungen der Finanzkrise. Fritz und ich sprachen darüber, dass unsere Familien so eine lange Erfahrung haben und ob wir nicht ein gemeinsames Programm starten wollten. Drei Jahre haben wir diskutiert und geplant: Wollen wir es über Finanzen machen? Oder Ethik? Oder Geschichte?

METZLER: Wir wollen das Finanzwissen in Deutschland fördern, damit wir für künftige Krisen besser gewappnet sind. Mithilfe historischer Muster können wir alte Fehler vermeiden.

In einer Krise muss ich schauen, welche Unternehmen eine Chance haben zu überleben. Mit einem breit gestreuten Aktienportfolio kann man sein Geld retten.
Friedrich von Metzler

Ist Finanz- und Wirtschaftsgeschichte hier so unterbelichtet?

METZLER: In Frankfurt, dem wichtigsten europäischen Finanzplatz, gibt es keinen Lehrstuhl für Financial History. Das ist ein echtes Defizit. Ich bin sehr glücklich, dass wir mit Benjamin M. Friedman einen exzellenten Fachmann aus Harvard gewinnen konnten.

Ist in Deutschland Wissen verloren gegangen?


METZLER: Ja. Ein Beispiel: Mein Vater hat die sehr schwierige Zeit zwischen den Weltkriegen erlebt. 1931/32 kam es zur großen Finanzkrise, weil eine österreichische Großbank, die Creditanstalt, zusammengebrochen war. Viele Banker wissen das heute gar nicht mehr, aber ich habe von meinem Vater viel darüber erfahren. Damals agierten die Regierungen und Notenbanken sehr protektionistisch. Jeder behielt sein Geld für sich, in der Folge kamen die Geschäfte zum Stillstand. Wie bei Lehman. Das Jahr 2008 war für uns also keine wirklich neue Situation, denn wir kannten die Geschichte. Und wir wussten: So etwas wie 1932 kann wieder passieren – und es wird wieder passieren. Es war ein Fehler, Lehman pleitegehen zu lassen. Aber es war richtig, dass die Zentralbanken dann die Märkte mit Geld geflutet haben. Mein Vater hatte diese Lektion schon in den 30ern gelernt.

Wirkt sich dieses fehlende Geschichtsbewusstsein auch auf unser Anlageverhalten aus?

METZLER: Natürlich, sonst hätten wir ja eine bessere Aktienkultur. Zwei Mal schon haben die Deutschen viel Geld mit Anleihen, vermeintlich mündelsicheren Papieren, verloren. Welche Assets wurden nicht vernichtet? Aktien! Den Fehler machen die Deutschen immer wieder. In einer Krise muss ich schauen, welche Unternehmen eine Chance haben zu überleben. Mit einem breit gestreuten Aktienportfolio kann man sein Geld retten.

Was ist die Ursache dafür, dass dieses Wissen so mangelhaft ist, auch an Universitäten?

METZLER: Wir Deutschen hatten bis zum Ersten Weltkrieg gute Kenntnisse über Kapitalmärkte. Zwei Katastrophen haben alles zerstört: die Hyperinflation und die Währungsreform 1948, die als kollektive Erinnerungen das Wissen überlagern. Auch die Kenntnis über Geldpolitik ist in Deutschland nicht weit verbreitet, sonst würden wir die Politik der EZB – deren Strategie bei allen Risiken richtig ist – anders beurteilen.

Glauben Sie denn, dass unsere Politiker, die ja die Krisen mana
gen müssen, genug über die Wirtschaftsgeschichte und ihre Lehren wissen?

METZLER: Unser Bildungsprogramm zielt auch auf Politiker ab.

ROTHSCHILD: (lacht) Wir sind für globales Lernen.

METZLER: Die Deutschen wissen sehr wenig über Wirtschaft und Kapitalmärkte.

Das öffentliche Bild der Banken hat sich gewandelt, es gab Zeiten, da waren sie die Motoren des Fortschritts, sie waren glamourös, attraktiv. Heute gelten Banker als ruchlos und Diebe, so wie in den vergangenen Jahren. Wie sehen Sie das?

ROTHSCHILD: Die Wahrnehmung schwingt wie ein Pendel. Vor zehn Jahren war es schockierend, welches Geld manche Menschen in der Branche aus dem Geschäft herausgeholt haben. Das war völlig überzogen. Heute erleben wir das andere Extrem, die Banken verkörpern das Böse, was ich auch übertrieben finde. Beide Wahrnehmungen sind falsch, denn was vergessen wird: Die Wirtschaft funktioniert nicht ohne Banken. Wir sollten den Banken also die Rolle zubilligen, die sie seit Jahrhunderten haben: Ihre Aufgabe ist es, die Wirtschaft am Laufen zu halten. Sie sind weder Superstars noch Bösewichte. Dazu gibt es auch zu viele Banker, die ganz diskret und gewissenhaft ihre Arbeit machen.

METZLER: Ich bin optimistisch, dass sich das Bild der Banken wieder bessern wird.

Wie erklären Sie aber einem normalen Menschen heute, was Banken zu der Wirtschaft beitragen? Warum soll ein junger Mensch zu Ihnen kommen? Welchen Wert schaffen Sie?

ROTHSCHILD: Banken ermöglichen und fördern den Handel und finanzieren die Wirtschaft. Wenn es Banken nicht gäbe, gäbe es keinen Kreislauf im Finanzsystem. Das ist wie ein Zug, der anhält. Banken machen auch Finanzgeschäfte, die mit der realen Wirtschaft weniger zu tun haben. Letzteres hat die Wahrnehmung in der Vergangenheit überlagert, und so ist leider vergessen worden, was die Kernaufgabe ist. Wir Rothschilds haben stärkere Bande in die reale Wirtschaft. Und das ist die primäre Aufgabe.

Was werden Sie Ihren Enkelkindern über diese epochale Krise am Lagerfeuer einmal erzählen? Was waren die Lehren? Sie müssen es ja in 20, 30 Jahren wissen, wenn sie die nächste Krise managen.

METZLER: Die erste Lehre lautet: Schau immer auf die Risiken in deinen Geschäften. Zweitens: Erkenne die Muster einer Krise. Dann weißt du, was in Zukunft kommen wird. Wir bei Metzler, und das gilt wohl für die Rothschilds gleichermaßen, waren nicht überrascht, dass die Zinsen jetzt so niedrig sind. Früher gab es auch solche Phasen von Niedrigzinsen. Alles war doch schon mal da: hohe Zinsen, niedrige Zinsen, finanzielle Repression, Goldkaufverbote ...

Viele Menschen haben in den vergangenen Jahren – und heute immer noch – Angst um ihr Vermögen. Gab es das in Ihrem Leben auch schon?

METZLER: Wir haben alle Hö
hen und Tiefen der vergangenen 340 Jahre durchlebt und gelernt, dass Vermögenswerte stets Wertschwankungen unterworfen sind. Umso wichtiger ist es, stets gegen die Elementarrisiken gewappnet zu sei: Inflation, Deflation sowie politische Risiken.

Was ist denn aus Ihrer Sicht die derzeit beste Strategie, Vermögen zu erhalten und zu vermehren – was raten Sie Ihren Kunden?

METZLER: Ein Teil des Geldes sollte in Nominalvermögen investiert sein – und ein Teil in Substanzvermögen. Zudem investieren wir ausschließlich in transparente und liquide Anlagen, die uns auch in Krisenzeiten handlungsfähig machen.

Was kann ich als normaler Anleger davon lernen? Wenn ich zum Beispiel 40 bin und gerade 200.000 Euro geerbt habe?

METZLER: Zunächst sollte das Vermögen sowohl über Anlageklassen als auch Regionen diversifiziert werden. Dabei ist es für eine langfristig erfolgreiche Kapitalanlage erforderlich, Substanzvermögen in Aktien aufzubauen – in Zeiten dauerhaft niedriger Zinsen mehr denn je. Da Menschen mit 40 Jahren in der Regel noch einen relativ langen Anlagehorizont haben, könnte der Aktienanteil des Vermögensportfolios problemlos zwei Drittel oder sogar mehr betragen. Das kommt auf die individuellen Lebensumstände an.

Was erwarten Sie von der Zukunft mit Ihrem großen Wissen?

METZLER: Die Welt hat aus Lehman viel gelernt, man wird die nächste Bank dieser Größe retten. Wir haben zudem gelernt, dass Vertrauen das Wichtigste in einem Finanzsystem ist. Wir Metzlers haben uns so gewappnet, dass wir mehr Kapital haben. Unsere Reserven sind höher als nötig.

ROTHSCHILD: Ich sehe das ähnlich wie Fritz, auch wir Rothschilds haben genügend Rücklagen für die nächste Krise. Das ist der Kern von einem Family­-Business. Wenn wir Risiken eingehen, tun wir das mit unserem eigenen Geld. Und die Reserven wurden über Generationen mit Augenmaß aufgebaut, es gab auch Dämpfer. Und so werden wir unseren Kindern und Enkeln das weitergeben, was wir einst gelernt haben: Treffe verantwortungsvolle Entscheidungen. Blase nicht Bilanzen auf. Das war doch das Kernproblem der Krise, dass viele Menschen mit fremdem Geld unverantwortliche Entscheidungen getroffen haben.

Das Interview ist in Capital 11/2014 erschienen.

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