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Timo Pache Die Lehren aus dem Wärmepumpen-Fiasko

Robert Habeck sitzt mit verschränkten Armen auf der Regierungsbank im Bundestag
Robert Habeck schaut missmutig drein: Der Heizungsstreit hat ihm viel abverlangt
© Jens Krick/Flashpic / Picture Alliance
In letzter Minute hat sich die Ampelkoalition beim Heizungsgesetz zusammengerauft – doch die Einigung lässt Schlimmes ahnen

Zum Einmaleins der Politik gehört das Eigenlob, ausgiebig und unbeirrt. Wann immer etwas entschieden ist, der Beifall in den eigenen Reihen ist stets gesichert. Dieser Grundsatz gilt für alle Parteien gleichermaßen, und in einer Regierungskoalition auch über Parteigrenzen hinweg. Die Bereitschaft zu Jubel und wohlwollender Würdigung ist quasi der Kitt, der jedes Bündnis zusammenhält.

So gesehen war der Kompromiss der Ampelkoalition in dieser Woche zum Gebäudeenergiegesetz eine bemerkenswerte Ausnahme. Wohl selten hat eine Einigung – zumal eine nach so langem und erbittertem Streit – selbst unter den unmittelbar Beteiligten so viel Ratlosigkeit und Ernüchterung geerntet. Von Erleichterung und Befreiung, vom Aufbruch nach dem Durchbruch keine Spur. Die Leitplanken für den Gesetzentwurf, auf die sich die Chefs der Ampelkoalition am Dienstag in letzter Minute einigten und die nun die Beratungen im Bundestag Anfang Juli anleiten sollen, mögen in Teilen richtig und sinnvoll sein, sie sind aber vor allem: ein Zeugnis des politischen Scheiterns.

Unsere Expertinnen und Experten bei Capital haben in Analysen und Kommentaren herausgearbeitet, was die Eckpunkte für Hausbesitzer und Mieter bedeuten und was von dem Kompromiss zu halten ist. Nehmen Sie sich die Zeit zur Lektüre, es geht schließlich um viel: um Ihr Geld, und um eine ziemlich existenzielle Frage – nämlich wie Sie in den kommenden Jahren Ihre vier Wände warm bekommen dürfen und werden (was unter Umständen nicht ganz das Gleiche ist).   Doch es bleibt eine Frage offen nach dieser Woche – respektive sie stellt sich umso dringlicher: Wenn ein komplexes, aber im Kern auch weitgehend unumstrittenes Vorhaben wie der CO2-freie Umbau der Wärmeversorgung in Deutschland so entgleisen kann – wie will diese Koalition eigentlich weitermachen? Zumal zwei Seiten Leitplanken ja schnell geschrieben sind, die wirklich komplizierten Themen aber erst noch kommen: eine flächendeckende Wärmeplanung in allen Städten und Gemeinden des Landes, der Ausbau der Fernwärme und der lokalen Stromnetze, die Ertüchtigung der öffentlichen Verwaltung, die dafür in den kommenden Jahren wahrscheinlich Tausende zusätzliche Planer und Ingenieure wird einstellen müssen.

Eigentlich bräuchte diese Koalition einen Neustart – nach dem Ausnahmejahr 2022 noch mal zurück auf Los und prüfen: Was aus unserem Koalitionsvertrag gilt noch, was hat sich verändert, was bekommt eine neue Priorität? Und weil für einen Neuanfang eine ehrliche Bilanz unabdingbar ist, kommt hier gewissermaßen eine Klimabilanz der etwas anderen Art. Ganz grob über den Schornstein gepeilt sind es vier Bilanzen, für jeden der Beteiligten eine.

#1 Robert Habeck

Um mit dem offensichtlichen anzufangen ist da der Wirtschaftsminister, der 2025 eigentlich gerne Kanzler werden würde. Man kann für Robert Habeck (und das Land) nur hoffen, dass er in den vergangenen vier Monaten viel gelernt hat. Dass der Streit um seinen Gesetzentwurf aka „Heiz-Hammer“ aka „Wärmepumpen-Diktatur“ so eskalieren konnte, ist sein ganz vornehmliches Verdienst (selbst dann, wenn eigentlich sein inzwischen entlassener Staatssekretär Patrick Graichen die Hauptverantwortung trägt). Ausgerechnet Habeck, im vergangenen Jahr so oft gelobt für seine ehrliche, unverstellte und mitnehmende Krisenkommunikation, strauchelte über eine besonders tückische Form der Hybris: die Gewissheit, alle Fakten und Argumente auf seiner Seite zu haben; der Glaube, das Land werde schon folgen, aus Einsicht in die Notwendigkeit. Doch so hat Demokratie noch nie funktioniert.  

Sein ursprünglicher Gesetzentwurf krankte an vielen Details, vor allem aber daran, dass der Minister und sein Ministerium darauf verzichtet hatten, im Vorfeld mit all jenen zu sprechen, auf die es ankommt bei der Wärmewende: Stromkonzerne, Netzbetreiber, Stadtwerke, Wärmepumpenhersteller, Stadtverwaltungen, Mieterverbände, Hauseigentümer- und Vermieter-Verbände, Wohnungskonzerne – ja, einmal bitte: Alle anhören und verstehen. Nur mit dieser Ignoranz des Technokraten, der eh schon immer alles weiß und für sich gelöst hat, konnte ein politisches und gesellschaftliches Klima entstehen, das die an sich richtige Modernisierung der Energie- und Wärmeversorgung so beschädigen konnte. Die AfD zur zweitstärksten Kraft im Land gemacht zu haben, ist sicher nicht allein Habecks zweifelhafter Verdienst, aber er lieferte die Vorlage dafür. 

#2 Christian Lindner

Womit wir beim zweiten wichtigen Beteiligten wären, FDP-Chef Christian Lindner. Er schaffte das Kunststück, einerseits die richtigen Mängel in Habecks Gesetzentwurf anzusprechen und sich sogar weitgehend durchzusetzen – und seine Partei dennoch in gefährliches Fahrwasser abdriften zu lassen. Das lag vor allem an den bisweilen schrillen Tönen, die auch aus der FDP kamen. Nicht wenige, auch intern, fühlten sich an den Schlingerkurs der Partei in der Euro-Krise und den dramatischen Kampf zwischen Gegnern und Befürwortern der Gemeinschaftswährung 2012 erinnert, und fragten: Wer führt eigentlich die FDP, Lindner oder doch Frank Schäffler und Wolfgang Kubicki?  

Für die FDP ist das deshalb gefährlich, weil die Partei immer wieder an der Fünf-Prozent-Hürde kratzt. Seit den beiden verlorenen Wahlen in Berlin und Bremen konnte sie zwar leicht zulegen, aber auch nur um einen Prozentpunkt – statt bei fünf oder sechs steht sie jetzt bei sechs bis sieben Prozent. Im selben Zeitraum gewann die AfD drei bis vier Prozentpunkte und kommt so selbst der SPD inzwischen gefährlich nahe. Im Grunde verliert die FDP, je mehr sie die Wut der AfD-Klientel aufgreift und dort ein paar Stimmen einsammelt, in gleichem Maße bei ihrer Wählerschaft in der Mitte und wird dort zunehmend wieder unwählbar. Die scharfe Kritik des bekannten Berliner Start-up-Unternehmers Philipp Pausder an Lindners Kurs im Podcast „Die Stunde Null“ von Capital und ntv ist dafür ein guter Beleg.

#3 Olaf Scholz

Der Kanzler wiederum scheint zu glauben, für ihn und die SPD gehe die Sache immer noch am besten aus, wenn er sich möglichst lange raushält. Diese Einschätzung ist inzwischen aber ziemlich gewagt angesichts jener 18 bis 19 Prozent, die seine SPD derzeit noch in Umfragen bekommt. In der Bevölkerung verfestigt sich der Eindruck, dass Olaf Scholz ein kluger, besonnener, aber auch ein führungsschwacher Kanzler ist. Die Einigung in dieser Woche kam durch seine Intervention zustande (so wird er auch den nächsten Streit in den Griff bekommen, den um den Bundeshaushalt 2024), aber wirklich gewonnen ist mit dieser Art des Regierens gar nichts. Habecks und Lindners Schaden ist auch sein Schaden, was man auch daran erkennt, dass nur ein Minister aus seinem Kabinett dem ganzen Schlamassel enteilt ist: Boris Pistorius, ein Mann, den bis vor einem halben Jahr nur SPD-Connaisseure auf dem Schirm hatten. Journalisten fragen jedoch bereits: Kann Pistorius auch Kanzler? Irgendwann werden sie diese Frage auch in die SPD hineintragen. 

#4 Wir alle

Der vierte Beteiligte in diesem Theater sind wir alle – wir sind nicht nur Zuschauer, sondern als Wohnungseigentümer oder Mieter auch Betroffene. Und damit muss sich jede und jeder zu diesem Gesetz verhalten – worin ja auch von Anfang an die Brisanz des Vorhabens steckte, die Habeck, Lindner und Scholz nur lange unterschätzten. Oder, wie ein hochrangiger Manager aus der deutschen Wirtschaft in dieser Woche sagte: „Eigentlich habe ich erst mit diesem Streit gemerkt, dass wir in den vergangenen Jahren schon alle möglichen Formen des Energieverbrauchs reguliert und verteuert haben – nur das Heizen nicht. Jetzt weiß ich auch warum.“  

30 Prozent aller CO2-Emissionen in Deutschland entstehen im Gebäudesektor. Wenn die nicht deutlich sinken, wird es nix mit der Klimaneutralität der deutschen Wirtschaft bis zum Jahr 2045. Doch statt offen und klug über Technologien zu sprechen, die im Rest der Welt schon erfolgreich eingesetzt werden und die vor allem Deutschland einfach verpasst hat (weil das russische Gas so bequem und günstig war), provoziert die Koalition eine hochgradig irrationale Debatte, die beinah an den Impfzwang und das Beherbergungsverbot erinnert.

Dies ist umso verhängnisvoller, weil der Kompromiss nun die für viele günstigste und effizienteste Art des Heizens in der Zukunft – und das ist nun mal die Wärmepumpe – diskreditiert hat. Stattdessen stellt die FDP etwa wasserstofftaugliche Gasheizungen nach vorne, was auf die nächsten 15 bis 30 Jahre leider völlig unrealistisch und viel zu teuer sein wird. Und den Ausbau der Fernwärme, der ebenfalls Jahre und Jahrzehnte dauern wird und die heute größtenteils über Kohle und Gaskraftwerke läuft. Wer sich nach dieser Woche doch noch eine neue Gasheizung in den Keller stellen möchte, sollte sich unbedingt mit den Folgen des europäischen  Emissionshandels beschäftigen, auch dazu haben wir bei Capital eine Analyse vorbreitet. Gas und Öl mögen wieder günstig geworden sein, das Heizen damit wird aber teuer werden.

Die Lehre

Wer meint, dass er in fremde Heizungskeller steigen muss, sollte dringend vorher um Erlaubnis fragen und erklären, was er da vorhat. Diese Trivialität, die eigentlich jeder kennt, hat die Ampelkoalition verletzt. Sie hat damit nicht nur ihr eigenes Vorhaben demoliert, sie hat bei den Wählern und auch untereinander unnötig viel Schaden angerichtet. Ob sie die Kraft hat, diesen Schaden, extern wie intern, wieder zu heilen, ist unklar. Wahrscheinlicher ist, dass sie einfach so weitermachen wird.

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