In unserer Reihe Capital erklärt geben wir einen komprimierten Überblick zu aktuellen Wirtschaftsthemen. Diesmal: „Regierungswechsel in Griechenland“ – mit Redakteur Claus Hecking, der bei Capital unter anderem zu EU-Themen schreibt.
Wie steht es derzeit, zehn Jahre nach Ausbruch der Schuldenkrise, um die griechische Wirtschaft ?
Ein gemischtes Fazit: Die akute Krise, also die Gefahr, dass Griechenland bankrott geht, ist momentan abgewendet. Der griechische Staat kann sich an den Kapitalmärkten wieder Geld über die Ausgabe von Staatsanleihen borgen – und das zu Zinsen, zu denen Griechenland noch nie Geld borgen konnte. Staatsanleihen auf zehn Jahre hatten teilweise eine Rendite von 2,5 Prozent. Das hat es in der jüngeren griechischen Geschichte eigentlich noch nie gegeben. Zurzeit herrscht an den Kapitalmärkten ein großes Vertrauen in Griechenlands Bonität, also dass das Land das geliehene Geld zurückzahlen kann.
Auf der anderen Seite ist in Griechenland noch längst nicht alles gut: Das Wirtschaftswachstum ist mit aktuell weniger als 2 Prozent nicht besonders hoch. Auch die Arbeitslosigkeit ist zwar zurückgegangen, aber sie ist immer noch ganz beträchtlich. Hinzu kommt, dass viele der neu geschaffenen Arbeitsplätze prekär sind. Gerade für junge Leute ist es schwer, eine ordentliche Arbeit zu finden. Und eines der großen Probleme, über die sich insbesondere die griechische Mittelschicht beklagt, sind die sehr hohen Steuern. Das sind genau die Leute, die bei den Parlamentswahlen die Nia Dimokratia gewählt haben. Denn bei ihnen ist der Eindruck entstanden: „Wir müssen die finanzielle Gesundung des Staatshaushaltes mit unseren Steuern bezahlen“.
Was ist von der Wahlgewinner-Partei Nea Dimokratia zu erwarten?
Die Nea Dimokratia ist eine christ-demokratische, konservative Partei und ist in der Vergangenheit eine der großen griechischen Volksparteien gewesen. In acht der vergangenen 15 Jahre hat sie Griechenland regiert. Die Nea Dimokratia trägt also eine gewisse Mitschuld an dem Finanzdesaster, was Griechenland erlebt hat. Jetzt kommt diese Partei wieder an die Regierung und das liegt daran, dass sie den Wählern massive Steuersenkungen, hunderttausende neue Jobs und Verhandlungen mit den griechischen Gläubigern versprochen hat.
Bisher lautet die Auflage der Gläubiger, dass Griechenland vor Zinszahlung einen gewissen Überschuss im Haushalt erwirtschaften muss. Darüber will der neue Premierminister Kyriakos Mitsotakis verhandeln, damit die griechische Regierung nicht mehr ein so großes Plus erwirtschaften muss und stattdessen Steuern senken und in die Wirtschaft investieren kann. Viele Wähler der Partei erhoffen sich jetzt, dass es mit der neuen Regierung eine nachhaltige Wende zum Guten und einen gewissen Wohlstand gibt.
Wie will die Nea Dimokratia ihre vielen Wahlversprechen einlösen?
Die Idee der Partei ist, dass sich die Investitionen selbst tragen. Sie wollen beispielsweise Steuern senken und hoffen, dass es dann einen Aufschwung in der Wirtschaft gibt, sodass die Konjunktur nachhaltig belebt wird und die Menschen dadurch wieder mehr Arbeit finden. Das heißt, durch geringere Sozial- und Transferleistungen soll dann beispielsweise die durchschnittliche Belastung pro Bürger sinken. Gleichzeitig sollen die Steuereinnahmen aber durch die starke Konjunktur insgesamt steigen, sodass Griechenland trotz gesunkener Steuern und höherer Inventionen ein Haushaltsüberschuss erwirtschaften wird.
Was kann die neue Regierung angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage in Griechenland überhaupt ausrichten?
Nea Dimokratia verspricht den Griechen sehr viel. Sie verspricht eine Rückkehr zum Wohlstand und dass die Menschen nicht mehr so darben müssen, wie sie das in den vergangenen Jahren mussten. Ob das gelingt, kann durchaus bezweifelt werden. Denn es gibt in der griechischen Wirtschaft massive strukturelle Schwächen: Es gibt nicht genug starke Branchen, die auch international wettbewerbsfähig sind und die dafür sorgen können, diesen Wohlstand zu schaffen.
Außerdem liegt eine Reihe von großen Investitionsprojekten immer noch brach. Ein Beispiel ist der ehemalige Flughafen von Athen, der schon vor 15 Jahren stillgelegt wurde. Ein anderer Fall ist eine Goldmine, die Investoren bei Thessaloniki erschließen wollen. Da gab es ein ewiges Hin und Her, weil der Staat immer wieder grünes Licht gegeben und das Projekt dann doch gestoppt hat. Wenn man so etwas miterlebt als Investor, verliert man natürlich Vertrauen in den Staat.
Das alles hat auch mit einer sehr ausgedehnten Bürokratie zu tun. Und damit, dass Politiker das als Spielball für ihr eigenes Wählerklientel nutzen. Solange sich an diesen Verhältnissen nichts fundamental ändert, solange wird es mit Griechenlands Wirtschaft auch nicht nachhaltig bergauf gehen.
Ein weiteres anhaltendes Problem ist die hohe Verschuldung Griechenland. Welche Erwartungen haben die Gläubiger an die Politik der Nea Demokratia?
Als die linke Syriza-Regierung um den ehemaligen Premierminister Alexis Tsipras an die Macht kam, waren die Gläubiger – darunter die EU, die EZB und der IWF – extrem skeptisch. 2015 gab es das berühmte „Ochi“ („Nein“)-Referendum, bei dem die Mehrheit der Griechen ein Übereinkommen mit den Gläubigern abgelehnt hat. Tspiras hat sich letztlich wegen des großen politischen Drucks von außen aber gegen den Beschluss entschieden – und sich in den vergangenen Jahren sehr gut an die Forderungen der Gläubiger angepasst. Daher dürften die Gläubiger erwarten, dass sich die neue griechische Regierung ähnlich kooperativ zeigt, wie es zuletzt die Syriza-Partei getan hat.
Die Gläubiger an den Kapitalmärkten haben es dagegen gerade mit einer extremen Niedrigzinspolitik zu tun. Wer sein Geld beispielsweise auf zehn Jahre der Bundesrepublik Deutschland leiht, bekommt weniger heraus als er investiert hat. Wenn man Griechenland Geld leiht, bekommt man dagegen noch deutlich über zwei Prozent Zinsen pro Jahr. Daher ziehen viele Kapitalgeber mit großem Vermögen diese Option in Betracht. Diese Gläubiger wünschen sich eigentlich Stabilität, damit sie weiterhin ihre Zinsen bekommen und der griechische Staat ihnen am Ende das Geld zurückzahlt.
Wie groß ist das Risiko, dass Griechenland durch Neuverschuldung doch wieder in die Krise abrutscht?
Eine akute Krise durch Staatsbankrott ist im Moment nicht zu befürchten. Allerdings bedeutet das nicht, dass sich Griechenland deswegen nachhaltig stabilisiert hätte: Die Staatsschulden sind mit 180 Prozent der Wirtschaftsleistung die höchsten der gesamten EU. Auch das Wachstum ist dafür, dass es der europäischen Wirtschaft in den vergangenen Jahren relativ gut gegangen ist, schwach. Und in den Büchern vieler Banken schlummern noch immer extrem viele faule Kredite, die wahrscheinlich nicht zurückgezahlt werden können. Die Bilanzen wurden noch nicht bereinigt ausreichend bereinigt.
Das Land extrem krisenanfällig: Wenn es in Europa einen Konjunkturabschwung gäbe oder die Preise für Öl- und Mineralölprodukte an den Weltmärkten stiegen, dann würde das Griechenland mit Sicherheit auch treffen. Wenn es aus irgendwelchen Gründen eine Vertrauenskrise in den griechischen Staat geben würde, könnte auch die Stimmung an den Anlagemärkten schnell wieder kippen. Es kann also durchaus sein, dass diese vermeintliche Stabilität in einem Jahr verschwunden ist. Griechenland bleibt vermutlich ein Krisenfall und wird das auch noch viele Jahre lang auch bleiben .