Man muss nicht sein ganzes Leben im weltweiten Gesundheitswesen zubringen um zu begreifen, dass minderwertige oder gefälschte Medikamente eine große Gefahr für die öffentliche Gesundheit sind. Gefälschte Produkte haben die pharmazeutischen Lieferketten von Aserbaidschan bis Sambia unterwandert und zerstören die vielversprechendsten Programme zur Kontrolle, Bewältigung und Ausrottung tödlicher Krankheiten. Doch es wird wenig unternommen, um diesen kriminellen Aktivitäten ein Ende zu setzen.
Da ich in Pakistan aufwuchs, erkannte ich wie wichtig es für meine Mutter war - so wie für jeden informierten Elternteil -, über Kenntnisse hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit von Medikamenten und Apotheken zu verfügen. Seither hat sich wenig geändert. Die lokalen Apotheker von Lahore bis Lusaka verkaufen weiterhin ein und denselben Wirkstoff unter verschiedenen Markennamen und zu sehr unterschiedlichen Preisen. Und die Ladeninhaber sind verpflichtet, ehrlich über Vor- und Nachteile der Arzneien zu informieren.
Unglücklicherweise haben wir es aber mit einem tiefer liegenden Problem zu tun, als den in der Apotheke an der Ecke verkauften mangelhaften Medikamenten. Jährlich werden minderwertige Arzneimittel im Wert von etwa 75 Milliarden Dollar verkauft, die weltweit für geschätzte 100.000 Todesfälle und bei vielen weiteren Menschen für schwere Krankheiten verantwortlich sind. Der Handel mit fragwürdigen Medikamenten untergräbt auch die fragilen öffentlichen Gesundheitssysteme in armen Ländern. Neben dem Tod von Verbrauchern können die Wirkungen minderwertiger Arzneimittel auch von Eltern auf Kinder übertragen werden und sogar die Entstehung neuer arzneimittelresistenter Krankheitserreger hervorrufen, die uns alle bedrohen.
Angemessene Qualitätskontrollen fehlen
Doch der Kampf gegen minderwertige Medikamente wurde nie so ernst genommen wie die Bewältigung anderer globaler Gesundheitskrisen wie Malaria, HIV oder die Mütter- und Säuglingssterblichkeit - vielleicht deshalb, weil es keine offensichtliche Lösung gibt.
Auf der Suche nach Antworten müssen wir zunächst anerkennen, dass sich die Problematik nicht auf gefälschte Arzneimittel beschränkt. Bei vielen seriösen Herstellern weltweit fehlen - aus Selbstgefälligkeit oder Inkompetenz - angemessene Qualitätskontrollen. In manchen Fällen werden sichere Medikamente durch mangelhafte Lagerung oder Kühlsysteme zu gefährlichen Substanzen.
Leider machen sich diese Arzneimittelhersteller dann schwach konzipierte oder mangelhaft umgesetzte Rechtsvorschriften sowie korrupte Beamte in den Entwicklungsländern zunutze, um ihre Produkte durch lokale Versorgungsketten in die entsprechenden Geschäfte einzuschleusen. Die Unwissenheit oder Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit ermöglicht es den Verantwortlichen der strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen.
Die zum Nachweis minderwertiger Produkte nötige technische Expertise sowie die entsprechende Ausstattung liegen in der Regel außerhalb der finanziellen Möglichkeiten vieler Entwicklungsländer. Doch es bestehen kostengünstige Alternativen. Ein Ansatz wäre beispielsweise, die Verpackung der Medikamente mit einem „Rubbelcode“ zu versehen, wo eine Telefonnummer erkennbar wird, an die sich Verbraucher wenden können, um zu klären, ob die Chargennummer zu einem echten Produkt passt. Doch obwohl dieser Ansatz sicher hilfreich ist, um gefälschte Medikamente zu entlarven, kann man minderwertige oder eingeschränkt brauchbare Arzneimittel seriöser Unternehmen damit nicht ausfindig machen. Diese unterliegen einzig dem Test der Verbraucher – und das oftmals zu einem hohen Preis im Hinblick auf gesundheitliche Gefahren.
Neue Nachweistechniken können helfen
Daher ist es unerlässlich, neue Nachweismethoden zu entwickeln, die auch in ärmeren Ländern eingesetzt werden können und bestehende Systeme wie Strichcodes ergänzen. Mit diesen Nachweistechniken müssen sämtliche Darreichungsformen von Arzneimitteln – Pulver, Pillen, Kapseln oder Sirupe – untersucht werden können. Außerdem muss es möglich sein, verschiedene Qualitätsstufen zu unterscheiden und nicht nur den Ausschuss zu erkennen. Überdies muss es sich um eine einfache, erschwingliche, anpassungsfähige und skalierbare Technologie handeln, die auf allen Vertriebsstufen – ob beim Zoll, in Krankenhäusern oder in entlegenen Dörfern - einsetzbar ist.
Doch mit Technologie allein wird es nicht getan sein. Regulierungsbehörden, Krankenhäuser und Behörden für die Arzneimittelsicherheit müssen die Führungsrolle übernehmen, anstatt die Verantwortung den oftmals armen und ungebildeten Bürgern aufzubürden, die sich um ihre Lieben sorgen. Die Suche nach neuen, nachhaltigen Lösungen erfordert mindestens drei Initiativen.
Erstens müssen durch Forschungsstipendien zur Unterstützung kleiner Initiativen oder großer Projekte (wie der Kampagnen zur Bekämpfung von HIV, Malaria und Müttersterblichkeit) Innovationen gefördert werden. Idealerweise würde eine internationale Gruppe sämtliche Ideen und Produkte koordinieren und entwickeln, um sie anschließend direkt vom Labor in die Einsatzgebiete zu bringen.
Zweitens müssen wir die Kreativität und das Engagement junger Studierender nutzen, damit diese sich der verheerenden Auswirkungen minderwertiger Arzneien bewusst werden und motiviert sind, im Leben der Menschen etwas zu bewegen.
Drittens müssen wir uns die Medien zunutze machen. Ebenso wie es einen internationalen Aufschrei gibt, wenn eine illegale Ladung Elfenbein entdeckt wird, müssen wir Kampagnen in Zeitungen, im Fernsehen und im Internet starten, um alle Händler, Beamte oder Firmen zur Rechenschaft zu ziehen, die dabei erwischt werden, qualitativ minderwertige Arzneimittel zu verkaufen oder anzupreisen.
Auf diese Weise werden wir den Menschen in der Branche eine grundlegende Prämisse in Erinnerung rufen: Ihr wertvollstes Gut sind nicht die Kassenschlager-Arzneien, sondern das Vertrauen der Öffentlichkeit. Wenn es Medikamentenherstellern und Apothekern nicht gelingt, die Gesundheit ihrer Kunden zu schützen, werden sie auch ihr Geschäft nicht schützen können.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier
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