Vor sieben Jahren führte Siegfried Hofreiter Europas größten börsennotierten Agrarkonzern KTG Agrar in die Pleite, legte damit eine der größten Insolvenzen bei Mittelstandsanleihen hin und brachte rund 12.000 Anleger um fast 350 Mio. Euro. Die Ermittlungen dazu juckten ihn nicht sonderlich, stattdessen baute er mit seiner Lebensgefährtin ein neues kleines Reich an Agrarfirmen auf – und sammelte mit einer Firma namens Flexicamper Anzahlungen für Wohnmobile in Millionenhöhe ein. Anfang Juni 2023 stellte die Hamburger Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen wegen des Verdachts der Insolvenzverschleppung und des Bankrotts im Fall KTG Agrar gegen eine hohe Geldauflage ein – nur wenige Tage, nachdem die Wohnmobilfirma Flexicamper Insolvenz anmeldete.
Fast schien es, als wäre der Mehrfach-Pleitier, der es vom eigenen Acker an die Börse schaffte, nicht zu packen. Doch nun nimmt seine Story eine neue Wendung: Nach Informationen von Capital wurde Hofreiter in der vergangenen Woche im Zusammenhang mit der Flexicamper-Pleite festgenommen. Auch seine Lebensgefährtin Jessica K, die bei der Wohnmobilfirma mit Sitz in Rosenheim und weiteren Filialen laut Handelsregister formal als Eigentümerin firmierte und die Geschäfte führte, wurde verhaftet.
Auf Anfrage bestätigte die Staatsanwaltschaft München II, die seit dem Sommer im Fall der geprellten Wohnmobilkäufer die Ermittlungen führt, die Festnahme der Flexicamper-Geschäftsführerin sowie eines weiteren Beschuldigten. Bei diesem handelt es sich nach Capital-Informationen um Hofreiter. Gegen beide werde „unter anderem wegen des Verdachts der Insolvenzverschleppung und des gewerbsmäßigen Betrugs in 34 Fällen ermittelt“, teilte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft mit. Die genaue Anzahl der Betrugsdelikte sei noch Gegenstand der laufenden Ermittlungen.
Die Ermittler haben den Verdacht, dass Hofreiter bei Flexicamper als ein sogenannter faktischer Geschäftsführer tätig war – und sich daher auch verantworten muss, obwohl er keine offizielle Funktion in der Firma hatte. Verteidiger von Hofreiter und Jessica K. wollten sich zunächst nicht zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft äußern.
Zu den Verhaftungen kam es am frühen Dienstagmorgen der vergangenen Woche im Rahmen einer größer angelegten Aktion. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft gab es Durchsuchungen in mehreren Objekten in sieben Bundesländern durch bayerische Kriminalpolizisten, unterstützt von örtlichen Kollegen. Nach der vorläufigen Festnahme seien die Beschuldigten dem Haftrichter vorgeführt und in Justizvollzugsanstalten gebracht worden, teilte die Sprecherin mit. Wie Capital erfuhr, wurde Hofreiter in einem Hotel in Niedersachsen aufgegriffen, in dem er unter dem Namen seines Sohnes eingemietet war. Darüber hinaus kam es im Rahmen der Aktion auch bei Wegbegleitern von Hofreiter zu Hausdurchsuchungen: darunter bei zwei Finanzspezialisten, die schon länger für ihn arbeiten, sowie in seinem Familienumfeld. Insgesamt ermittelt die Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben im Flexicamper-Verfahren gegen acht Beschuldigte.
Vom Pleitier zum Börsenstar
Über den Anlegerskandal bei KTG Agrar mit seinen teils bizarren Verwicklungen hat Capital in den vergangenen Jahren immer wieder intensiv recherchiert und berichtet. Schon 2002 war Hofreiter wegen Konkursverschleppung bei einer früheren Firma rechtskräftig verurteilt worden. Für die Wachstumsstory von KTG Agrar wurde er dann von Analysten und Anlegern gefeiert, beim Börsengang in Frankfurt 2007 fuhr er im Traktor vor.
Über die Jahre kaufte der wuchtige Bayer aus der Nähe von Regensburg, der von den meisten nur „Siggi“ genannt wurde, ein Reich von 46.000 Hektar landwirtschaftliche Flächen in Ostdeutschland, Litauen und Rumänien zusammen, ließ sich mit dem firmeneigenen Hubschrauber zu seinen Ländereien fliegen. Zudem kaufte sich Hofreiter bei mehreren Nahrungsmittelproduzenten ein. Seine Strategie eines „integrierten Agrarkonzerns“, der die Wertschöpfung vom Feld bis zum Teller zu kontrolliert, kam an – auch bei vielen Kleinanlegern. Mit mehreren Anleihen, „Biowertpapiere“ genannt, sammelte er fast 350 Mio. Euro ein und befeuerte damit das Segment der Mittelstandsbonds.
Doch als das Unternehmen im Sommer 2016 Pleite ging, weil es keine Anleihezinsen mehr zahlen konnte, stießen Insolvenzverwalter Stefan Denkhaus, Gläubiger und Ermittler nicht nur auf teils verdorrte Felder, leere Kassen und eine Überschuldung von 400 Mio. Euro. Sie stießen auch auf fragwürdige Buchungen in den Bilanzen und merkwürdige Deals im Geflecht zwischen Unternehmen und Familie, bei denen Hofreiter, seine langjährige Partnerin und KTG-Großaktionärin und sogar – zumindest auf dem Papier – der damals minderjährige gemeinsame Sohn eine Rolle spielten. Die Gläubiger, darunter viele Kleinanleger, die die Anleihen hielten, blieben auf dem größten Teil des Schadens sitzen. Ein wenig Geld trieb der Insolvenzverwalter durch die Verkäufe von Land und anderen Assets ein – und von der Managerhaftpflichtversicherung früherer Vorstände und Aufsichtsräte.
Schon bald nach der Pleite berichtete Capital, dass Hofreiter zurück ins Geschäft strebt – ungeachtet der Ermittlungen, die die Hamburger Staatsanwaltschaft gegen ihn nach dem KTG-Kollaps eingeleitet hatte. Mit dabei: seine neue Partnerin Jessica K., eine frühere KTG-Mitarbeiterin, die bei den neuen Firmen als Geschäftsführerin auftauchte, während Hofreiter im Hintergrund die Fäden zog. Man residierte auf Usedom und in der Nähe von Anklam in Mecklenburg-Vorpommern. Später mischte in dem Familienbusiness auch Hofreiters Sohn mit, etwa mit einem Speditionsunternehmen, das zeitweise kräftig expandierte und Lkw-Fahrer suchte („Begrüßungsgeld“: 3000 Euro). Vor drei Jahren stieg der Clan dann ins Geschäft mit Wohnmobilen ein – offenbar um von dem kräftigen Caravaningboom zu profitieren, der von der Coronakrise mit ihren Lockdowns getrieben wurde.
Anfang Juni 2023 konnte Hofreiter dann auch die strafrechtliche Aufarbeitung des KTG-Agrar-Skandals hinter sich lassen. Nach jahrelangen Ermittlungen stellte die Hamburger Staatsanwaltschaft das wegen des Verdachts der Insolvenzverschleppung und des Bankrotts gegen ihn geführte Verfahren ein – gegen eine „hohe Geldauflage“, wie eine Sprecherin der Anklagebehörde auf Anfrage von Capital mitteilte. Die Einstellung sei mit Zustimmung des zuständigen Gerichts erfolgt. Da dieses noch keine Anklage erhoben habe, könne man die Höhe der Geldauflage aus Gründen des Datenschutzes nicht mitteilen.
Insolvenzverwalter: „Wirecard im Kleinen“
Doch schon kurz nach der Einstellung des Hamburger Ermittlungsverfahrens im Fall KTG Agrar machten Hofreiters Geschäfte in diesem Sommer neue Schlagzeilen – nach dem Insolvenzantrag von Flexicamper Mitte Mai. Bei dem Wohnmobilvertrieb, der 2020 von Hofreiters Partnerin Jessica K. gegründet worden war, war aufgeflogen, dass von Dutzenden Käufern Anzahlungen von mehreren Zehntausend Euro angenommen worden sind – aber danach keine Wohnmobile ausgeliefert, ja oft noch nicht einmal bestellt wurden.
Eine Zeitlang sei es noch gelungen, die wartenden Kunden hinzuhalten, berichten heute Wegbegleiter von Hofreiter. Noch wenige Wochen habe Flexicamper einen Kredit einer Bank aus der Region erhalten. Zuletzt aber habe sich Hofreiter nicht mehr auf Fachmessen blicken lassen können, weil die Sache sonst wohl aufgeflogen wäre. Und noch etwas erzählt man sich in diesen Kreisen: Bei offiziellen Terminen und gegenüber Kunden habe sich Hofreiter immer mit dem Nachnamen seiner Partnerin und Flexicamper-Chefin ansprechen lassen und vorgestellt – auf dem Papier tauchte er ja nicht als Geschäftsführer auf.
Nach der Insolvenz im Mai hatten sich mehr 150 betroffene Kunden gemeldet, der Schaden soll 10 Mio. Euro übersteigen. Insolvenzverwalter Klaus Martin Lutz, der den Fall übernahm, fand öffentlich deutliche Worte: Zustände wie bei Flexicamper seien ihm in 30 Jahren noch nie untergekommen, die Geschäftsunterlagen des Unternehmens seien „ein einziger Sumpf“ und eine „Katastrophe“. Der ganze Fall sei für ihn „Wirecard im Kleinen“.