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Datenmissbrauch Facebook versinkt in der Identitätskrise

Facebook-Chef Mark Zuckerberg
Facebook-Chef Mark Zuckerberg
© Getty Images
Facebook bekommt seine Probleme nicht in den Griff. Das Kerngeschäft des Unternehmens ist weiterhin anfällig für Missbrauch - und unsere persönliche Daten sind alles andere als sicher. Christopher Mims über einen Konzern, der in der Falle sitzt

Ein Berg aus Vorwürfen türmt sich vor Facebook auf und entlarvt die Fäulnis im Kern des Unternehmens. Facebooks problematisches Verhältnis zu persönlichen Daten und die Art und Weise der immer wieder auftretenden Fälle von Datenmissbrauch zeigen den gefährlichen Charakter eines Unternehmens, das darauf angewiesen ist, alles über seine eigenen Nutzer zu wissen. Die jüngsten Ereignisse könnten die User veranlassen, Facebook seltener zu nutzen – oder sich gar ganz abzumelden. Das wäre fatal für das Unternehmen, denn Facebook ist auf den regelmäßigen Besuch seiner Nutzer angewiesen

Die neuesten Enthüllungen haben alle mit einer Tatsache zu tun: Facebook war eine Zeitlang ein Instrument, um riesige Datenmengen über seine Nutzer an Entwickler und Data-Miner aller Art weiterzugeben. Externe Entwickler haben Spiele, Quizzes und andere Anwendungen entwickelt, um persönliche Daten von den Nutzern zu sammeln – und von deren Freunden.

Facebook erlaubte diesen Datenzugriff in der Hoffnung, ein Geschäft wie Apples Appstore aufbauen zu können. Die Datensammelei durch externe Entwickler wurde jedoch zu einer Gefahr, weshalb das Unternehmen die Praxis schließlich wieder einschränkte. Wenn Entwickler Daten außerhalb der von dem Unternehmen genehmigten Anwendungen verwendete, wurden sie von Facebook zur Löschung der Daten aufgefordert.

Facebook schränkte Datennutzung ein

Das Datenanalyse-Unternehmen Cambridge Analytica, das nun überall in den Nachrichten auftaucht, hat für eine Reihe von Kunden aus der Politik gearbeitet, auch für die Trump-Kampagne. Es soll Daten von den Anbietern solcher Anwendungen erhalten und sie jahrelang unsachgemäß aufbewahrt haben. Dem sozialen Netzwerk sei dagegen mitgeteilt worden, dass die Daten vernichtet wurden.

„Wenn Entwickler Anwendungen erstellen, die nach bestimmten Informationen von Personen fragen, führen wir eine Überprüfung durch, um Richtlinienverstöße zu identifizieren und zu herauszufinden, ob die Anwendung eine legitime Nutzung für die Daten hat“, so Justin Osofsky, Vice President of Global Operations bei Facebook. „Vor drei Jahren haben wir Regularien so geändert, damit Entwickler nicht mehr auf Informationen über Freunde zugreifen können.“ Das Unternehmen werde seine Produkte und Richtlinien weiter verbessern, um weiteren Missbrauch zu verhindern, sagte eine Facebook-Sprecherin.

Der neue Skandal erinnert uns an die internen Debatten bei Facebook über Enthüllungen, Russen hätten die Plattform benutzt , um die Präsidentschaftswahlen 2016 zu beeinflussen. Politiker und Regulierungsbehörden in den USA und Europa fordern, der Konzern solle den Missbrauch seiner oft geheimnisumwitterten Plattform vollständig erfassen.

Das soziale Netzwerk hat zwei große Probleme

Es bleibt nicht mehr viel Zeit für Facebooks Seelen-Suche als Chance zur Selbstkontrolle. Nutzer und Regulierer könnten schon bald von sich aus handeln.

Immer wieder sehen wir zwei große Probleme in der Geschichte Facebooks. Das erste ist, dass das Unternehmen nicht in der Lage ist, die Art und Weise zu antizipieren, wie seine Plattform und der unglaublich große Fundus an sensiblen Daten missbraucht werden können. 2007 war es die Art und Weise, wie das Werbesystem Beacon das Einkaufsverhalten der Nutzer und indirekt ihre Lebensentscheidungen mit ihren Freunden und ihrer Familie teilte.

Personalisierung in der Werbung ist manchmal fast nicht zu unterscheiden von Überwachung. Und Personalisierung ist das Herzstück, wie Facebook Geld verdient und so ein großes Stück vom Online-Werbekuchen erbeutet.

Das zweite wiederkehrende Problem bei Facebook ist der starke, oft negative Einfluss auf unsere Psychologie. Das wurde erst in jüngster Zeit richtig deutlich. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die Art und Weise, wie Facebook Menschen ermutigt, die Beiträge von Freunden passiv zu konsumieren, sie unglücklich machen kann. Facebook räumt das inzwischen ein. Es habe aber seinen Algorithmus geändert, um andere Formen des Teilens zu fördern, die zumindest theoretisch dazu geeignet seien, Menschen positiv zu verbinden.

Vorurteile und Desinformation

Andere Arbeiten zeigen, dass Facebook Vorurteile verstärken kann. Wir glauben, dass eine von uns und unseren Freunden vertretene und auf Facebook verbreitete Meinung von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird. Das Unternehmen bestreitet diesen Effekt. Durch Algorithmen, die Inhalte mit dem größten „Engagement“ hervorheben – einschließlich lukrativer Anzeigen – sind Facebook und andere seiner Art zu Vehikeln für die Verbreitung von Desinformation geworden.

Anfang dieses Jahres schlug Facebook in einem Akt der Reue dann vor, dass eine Hinwendung zu individuellen Interaktionen und Gruppen für seine Nutzer von größerem Wert sein würde, psychologisch und anderweitig. Aber es ist jetzt offensichtlich, dass auch Facebooks Gruppenfunktion mit den gleichen Spammern und potenziellen Einflussmöglichkeiten behaftet sind, die schon den Nachrichten-Feed in Misskredit gebracht haben.

„Gruppen sind der Weg, wie Facebook den Alltag der Amerikaner radikalisiert“, sagt Renee Diresta, Forscherin und Analystin bei Data for Democracy, einer unabhängigen Gruppe von Datenwissenschaftlern. Der Gruppen-Algorithmus dränge jemandem, der sich für die Anti-Impfbewegung interessiert, in Gruppen mit extremen politischen Ansichten. „Gerade weil Gruppen das Vertrauen zwischen den Teilnehmern und das Gefühl der Zugehörigkeit und Kameradschaft fördern, sind sie sehr mächtige Werkzeuge in den falschen Händen“, sagt Diresta.

Lösungen bedrohen das Geschäftsmodell

Angesichts dieser Probleme – insbesondere der Vorwurf des Datenmissbrauchs, der die Aktie und den Ruf von Facebook beschädigt hat – sind die Möglichkeiten des Unternehmens begrenzt. Jede mögliche Lösung könnte einen erheblichen Einfluss auf die Bilanz des Unternehmens haben.

Facebook könnte Hunderte von Millionen Dollar ausgeben, um menschliche Moderatoren zu einzustellen, um Missbrauch zu verhindern. Es könnte Daten an externe Forscher weitergeben, um die Auswirkungen auf die Gesellschaft unabhängig untersuchen zu können. Es könnte seine Datenstrategie überarbeiten, um die Menge der Informationen radikal zu reduzieren, die gesammelt, gespeichert und monetarisiert werden.

Und wenn die Probleme nicht schnell behoben werden, muss Facebook mit einer strengen Regulierung und auch mit Kartellrechtsstreitigkeiten rechnen.

Copyright The Wall Street Journal 2018

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