Anzeige

Kommentar Exportüberschüsse: Konsum in der Nebenrolle

Geldpolitik und Investitionen sind die wichtigen Hebel in der Exportdebatte. Von Michael Heise

Da die globale Neuausrichtung einen prominenten Platz auf der Tagesordnung der nächsten G7- und G20-Konferenzen einnehmen wird, gerät Deutschland mit seinem anhaltenden Exportüberschuss wieder unter Druck, die Binnennachfrage und den privaten Konsum anzukurbeln. Doch um die deutschen Verbraucher geht es nur am Rande. Vielmehr besteht die Notwendigkeit eines Investitionsschubs in Deutschland und in Europa sowie eines koordinierten Ausstiegs aus der ultralockeren Geldpolitik.

Die massiven Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen waren ein Hauptfaktor der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 sowie der darauf folgenden Instabilität in der Eurozone. Mittlerweile befindet sich die Weltwirtschaft in einem Prozess der Wiederherstellung des Gleichgewichts – allerdings nicht in der Art, wie man das vielerorts erwartet hatte.

Michael Heise ist Chefvolkswirt der Allianz SE
Michael Heise ist Chefvolkswirt der Allianz SE

Die ehemals enormen Leistungsbilanzüberschüsse in Asien sind erstaunlich rasch geschrumpft und die japanische Handelsbilanz ist sogar in ein Defizit gerutscht. Chinas Leistungsbilanzüberschuss ist von zehn Prozent des BIP im Jahr 2007 auf zwei Prozent zurückgegangen. Investitionen sind zwar noch immer der Hauptantrieb der chinesischen Wirtschaft, aber sie führten zu steigenden Schulden und einem aufgeblähten Schattenbankensektor, den die Behörden nun einzudämmen versuchen.

Vor allem aufgrund positiver Handelsbilanzen in der Eurozone hat die Europäische Union einen beträchtlichen Leistungsbilanzüberschuss aufgebaut, der im Jahr 2014 mit etwa 182 Mrd. Euro sogar noch höher ausfallen wird als der entsprechende Wert für die asiatischen Schwellenländer Asiens. Angesichts eines Ölpreises, der noch immer bei mehr als 100 Dollar pro Fass liegt, bewegt sich der Gesamtüberschuss der ölexportierenden Länder in ähnlichen Dimensionen. Unterdessen weisen die Vereinigten Staaten weiterhin ein erhebliches Leistungsbilanzdefizit von 350 bis 400 Mrd. Dollar auf.

Starker Euro bremst Leistungsbilanzüberschuss

Überraschend dabei ist das anhaltende Wachstum des EU-Überschusses. Der Zusammenbruch der Importe in den geretteten Ländern – Griechenland, Irland, Portugal und Spanien – war angesichts des drastischen Rückgangs in diesen Ökonomien vollkommen vorhersehbar. Doch vor allem wegen des verhaltenen internationalen Umfeldes rechneten nur wenige Ökonomen damit, dass sich die Exporte dieser Länder so rasch erholen würden wie sie dies taten. Während Deutschlands Leistungsbilanzüberschuss etwa so hoch ist wie im Jahr 2007, verwandelte sich die gesamte Außenhandelsbilanz der geretteten EU-Staaten plus Italien (ebenfalls Teil des Umschwungs im Handel) von einem Vorkrisen-Defizit in der Höhe von 219 Mrd. Euro in einen für erwarteten Überschuss von etwa 44 Mrd. Euro.

Der steigende Euro (eine weitere Überraschung, insbesondere für viele Beobachter, die vor weniger als zwei Jahren noch an seinem Überleben zweifelten) wird den Leistungsbilanzüberschuss der Eurozone künftig bis zu einem gewissen Grad dämpfen. Ein Wechselkurs von knapp 1,40 Dollar stellt für viele europäische Exporteure, einschließlich deutscher Firmen, eine Herausforderung dar. Und gegenüber dem Yen und einer Reihe anderer Währungen von Schwellenländern hat der Euro noch stärker aufgewertet.

Dennoch ist der europäische Überschuss zu groß, um vernachlässigt zu werden und man wird sich erneut vor allem an Deutschland richten, seine Wirtschaft in Richtung einer höheren Binnennachfrage auszurichten. Damit ist für viele die Notwendigkeit eines fiskalischen Impulses verbunden. Doch die Regierung spielt nicht mit: Finanzminister Wolfgang Schäuble hat gerade einen ausgeglichenen Haushalt für 2015 präsentiert – den ersten seit 1969. Und während manche Beobachter „ein Ende der Lohnzurückhaltung“ in Deutschland fordern und damit höhere Ausgaben der Haushalte unterstützen, ist das eigentlich schon passiert.

Bedingungen für Investitionen verbessern

Dennoch kann die Regierung im Hinblick auf Investitionen noch einiges tun. Diese sind nämlich seit dem Jahr 2000 um beinahe vier Prozentpunkte des BIP auf etwas über 17 Prozent im Jahr 2013 gesunken – ein niedriger Wert, gemessen an internationalen Standards. Die Regierung könnte mehr Ausgaben in Richtung Infrastrukturinvestitionen verlagern. Noch wichtiger allerdings wäre, die Bedingungen für Unternehmensinvestitionen im eigenen Land zu verbessern, anstatt zuzusehen, wie deutsche Firmen ihre Investitionen ins Ausland verlagern.

Mit einer einfacheren und investitionsfreundlicheren Besteuerung, besseren Anreizen für Firmengründungen sowie F&E, weniger Bürokratie und keinen weiteren Energiekostensteigerungen würde Deutschland für Investoren attraktiver. Es wird seine Zeit dauern, bis es soweit ist. Doch angesichts der positiven Ertragslage und der hohen Barmittel des Unternehmenssektors könnte eine Neuausrichtung des Steuersystems rasch Wirkung zeigen. Aus einbehaltenen Gewinnen finanzierte Investitionen sollten ebenso attraktiv sein wie fremdfinanzierte. Und vorübergehende Anpassungen bei Abschreibungsbeträgen könnten ebenfalls Investitionen fördern.

Die Notwendigkeit von höheren Investitionen in Verkehr, Telekommunikation, Energie und Bildung ist natürlich nicht nur eine deutsche Sache. Angesichts der Schuldenprobleme der meisten europäischen Regierungen besteht die Herausforderung darin, mehr privates Kapital für diese Bereiche zu gewinnen. Bessere regulatorische Bedingungen für langfristige Investitionen und Ersparnisse wären ebenso hilfreich wie eine Ausweitung der Finanzierungsinstrumente für Infrastrukturinvestitionen – beispielsweise durch eine substanzielle Erhöhung des Angebots an Projektanleihen unterstützt durch die Europäische Investitionsbank.

Rückzug aus der ultralockeren Geldpolitik

Warum also nicht „Europäische Infrastrukturanleihen“ ins Leben rufen, die sich auf Einnahmen aus Investitionen oder Steuern jener Länder stützen, die diese Anleihen begeben? Das würde nicht nur die Arbeitsplatzschaffung und das langfristige Wachstum ankurbeln, sondern auch den Anstieg des europäischen Außenhandelsüberschusses eindämmen.

Allerdings ist die Herausforderung der Neuausrichtung der Weltwirtschaft auch eng mit der Geldpolitik der Zentralbanken verbunden. Im Hinblick auf die langsam aber sicher einsetzende erneute Ausbildung von Kredit- und Vermögenspreisblasen sollte das Ziel der Behörden darin bestehen, das Wachstum weiterhin ausgewogenen und nachhaltig zu gestalten – und damit exzessive Risikoübernahme zu verhindern.

Dies ist die Rechtfertigung für den schrittweisen Rückzug der US-Notenbank Federal Reserve aus der ultralockeren Geldpolitik. Etwas überraschend ist die Rücknahme der monatlichen Anleihenankäufe durch die Fed bislang von einer Schwäche des Dollar gegenüber dem Euro begleitet, was die externe Anpassung unterstützt. In Zukunft könnte sich dies allerdings ändern. Bleibt die Fed mit der Rücknahme ihrer geldpolitischen Impulse allein und die Anleiheerträge steigen weiter, wird das den Dollar fast sicher stärken.

Eine koordinierte Anstrengung zur Begrenzung der Wechselkursschwankungen ist sicherlich ratsam. Wenn alle Länder versuchen, ihre Währungen auf schwachem Niveau zu halten, wird die monetäre Expansion auf globaler Ebene übermäßig prolongiert. Der nach wie vor niedrige Inflationsdruck ist kein Grund, die Planung eines Ausstiegs aus der ultralockeren Geldpolitik zu verzögern. Im Gegenteil, derartige Diskussionen werden am besten geführt, wenn die Inflation gering und die Märkte ruhig sind. Als die Zentralbanken vor 20 Jahren angesichts steigender Inflation die Zinssätze erhöhten, kam es zu Panik auf den Märkten und die Anleiherenditen stiegen. Diesen Fehler sollte man nicht wiederholen, indem man wartet, bis der Inflationsdruck – geschürt von steigenden Öl- und Rohstoffpreisen sowie der wirtschaftlichen Erholung – wieder steigt.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

© Project Syndicate 1995–2014

Neueste Artikel