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Interview „Es wird mehr regionale Produktion geben“

Jens Hildebrandt
Jens Hildebrandt
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China schottet sich gegen eine Rückkehr des Virus aus anderen Ländern ab mit Folgen für Mitarbeiter, Lieferketten und Absatz deutscher Unternehmen. Jens Hildebrandt von der AHK in Peking über die Folgen der Pandemie für deutsche Unternehmen in China

Jens Hildebrandt ist Geschäftsführer der Deutschen Handelskammer in Peking

Capital: Herr Hildebrandt, die Auslandshandelskammern in China haben kürzlich deutsche Unternehmen in China befragt, wie sie unter den Folgen des Coronavirus leiden. Die meisten beklagten fehlende Lieferungen, weniger Nachfrage und Reisebeschränkungen. Wie äußern sich diese Probleme in den Unternehmen?

JENS HILDEBRANDT: Besonders die Reisebeschränkungen bereiten den Unternehmen aktuell ziemliche Kopfschmerzen. Am 28. März hat China die bereits erteilten Visa de facto außer Kraft gesetzt. Man muss jetzt bei den Auslandsvertretungen Chinas die Visa neu beantragen. Und wir kennen hier noch keinen Fall, in dem das erfolgreich geklappt hat.

Warum müssen deutsche Unternehmen denn unbedingt Menschen nach China fliegen?

Da gibt es mehrere Gründe: Zum einen sind da Mitarbeiter der deutschen Unternehmen selbst, die eigentlich in China arbeiten, aber aktuell noch im Ausland sind. Das sind nicht mehr ganz so viele. Ein Großteil der Mitarbeiter selbst ist wieder hier. Doch ich würde schätzen, dass 50 Prozent der Familien nicht in China sind. Das ist eine psychologische Belastung für alle, die hier arbeiten. Die dritte Gruppe sind dann Spezialisten, die gebraucht werden, um bestimmte Projekte voranzutreiben: Investitionsprojekte, Bauprojekte, spezialisierte Montage-Projekte – für diese Projekte braucht man Experten, die man nicht vor Ort hat. Die Experten kommen nun nicht mehr, die Projekte kommen also nicht voran.

Die Unternehmen klagten auch über Lieferengpässe. Über ein Zehntel der befragten Unternehmen haben sogar angegeben, dass sie sich vorstellen können, in Zukunft bestimmte Teile außerhalb Chinas zu beziehen oder herzustellen. Kommt dann auch Produktion nach Deutschland zurück?

Eher nicht. Bei den deutschen Unternehmen in China muss man unterscheiden. Ein Großteil ist mittlerweile hier, um für den chinesischen Markt zu produzieren. Das unterscheidet uns auch von amerikanischen Unternehmen, die viel für den Export aus China produzieren. Das schließt nicht aus, dass auch Vorprodukte hier gefertigt und in Deutschland oder anderswo weiterverarbeitet werden . Die Löhne sind in China aber mittlerweile einfach zu hoch, um hier in großem Umfang aus Kostengründen zu fertigen. In den meisten Fällen gilt: Die deutsche Wirtschaft ist in China für China. Diese Unternehmen werden keine Produktion für den chinesischen Markt nach Deutschland verlagern.

Wohin wollen die Unternehmen ihre chinesische Produktion dann verlagern?

Deutsche Unternehmen bemühen sich schon seit Jahren zusätzliche Kapazitäten zu China in anderen asiatischen Märkten zu schaffen, vor allem in Vietnam, Thailand und Malaysia. Das ist die China-Plus-Eins-Strategie. Damit minimieren sie auch das Risiko, das eine komplette Abhängigkeit von einem Land mit sich bringt. Man muss von verschiedenen Ländern aus liefern können.

Ist das nicht ein Trend, den es schon durch die zunehmende Unsicherheit durch den Handelskonflinkt zwischen den USA und China gab?

Der Trend hat sogar vor dem Handelskonflikt angefangen. Ein erster Treiber, die Produktion in anderen Ländern aufzubauen, waren die steigenden Lohnkosten in China. Der südasiatische Markt ist aber gleichzeitig als Absatzmarkt hochinteressant dank der hohen Bevölkerungszahl in den Ländern. Auch deswegen wollten Unternehmen zusätzliche Kapazitäten in Asien aufbauen. Der Handelskrieg kam dann noch dazu und hat die Bewegung verstärkt. Die Pandemie zeigt natürlich noch einmal, dass man sich nicht auf die Produktion in einem Land verlassen sollte. Covid-19 wird also noch einmal ein Brandbeschleuniger sein für China-Plus-Eins.

Welche anderen Trends erwarten sie in Folge der Pandemie?

Zwar werden Unternehmen bei der Produktion auf mehrere Länder setzen, doch innerhalb der Länder wird noch mehr lokalisiert werden. Es wird mehr regionale Produktion und regionale Zulieferbasen geben. Aber das braucht Zeit. Es dauert unheimlich lange, Lieferanten zu qualifizieren und aufzubauen.

Und in der Zwischenzeit? Welche Alternativen suchen sich produzierende Unternehmen dazu, dass sie aktuell keine Fachkräfte aus Deutschland einfliegen können?

Im Moment wird versucht, die Teams mit digitalen Kollaborationslösungen zusammenzubringen. Das wird sich aber wahrscheinlich nur für eine bestimmte Zeit aufrechterhalten lassen, weil es gerade bei Forschungs- und Entwicklungsprojekten um den Austausch von sensiblen Daten und Informationen geht. Aber wenn man in die Zukunft denkt und sagt: Ok, vielleicht wird internationales Reisen über einen längeren Zeitraum eingeschränkt, dann muss die Digitalisierung funktionieren und der Schutz und ungehinderte Transfer von Daten gewährleistet sein. Das wird ein Thema sein, das wir wahrscheinlich auch bei der chinesischen Regierung noch einmal adressieren werden. Hier gibt es das Cybersecurity-Gesetz, das klare Regeln für den Transfer von Daten ins Ausland festlegt. Darunter kann man technische Daten, die für die Entwicklung wichtig sind, nur unter bestimmten Voraussetzungen ins Ausland übertragen. Langfristig könnte ich mir vorstellen, dass deutsche Unternehmen auch im Bereich Forschung und Entwicklung mehr Verantwortung in die Regionen geben werden. Aber das ist bisher nur eine Vermutung.

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