Der Mann arbeitet daran, zum Staatsfeind Nr. 1 in Deutschland zu werden. Kaum hat der Bundestag mit großer Mehrheit und ebenso großem Bauchschmerzen die Verlängerung des Griechenland-Programms beschlossen, marodiert Yanis Varoufakis wieder durchs europäische Konsensgärtchen. Räsoniert über einen Schuldenschnitt (die Debatte hatte doch Wolfgang Schäuble für beendet erklärt), fordert Zahlungserleichterungen (noch mehr Geld für die gierigen Griechen) und droht, Staatsanleihen nicht zurückzuzahlen. Sind die Griechen nun endgültig verrückt geworden, konnte man sich am Wochenende fragen.
Ganz und gar nicht. Klar, Varoufakis stellt mal wieder einmal sein herausragendes Talent im Zerschlagen von Porzellan unter Beweis. Geschenkt. Denn in der Sache hat der griechische Finanzminister recht. Sein halbstarkes Auftreten dürfte zumindest diesmal eher der Verzweiflung als seiner Arroganz geschuldet sein. Denn die Syriza-Regierung hat ein Geldproblem. Und zwar nicht ganz prinzipiell oder irgendwann im Sommer, sondern aktuell und dringend: Wenn sie nicht schnell eine Lösung findet, ist Griechenland noch im März pleite.
Dabei ist es nicht etwa so, dass dieses Loch sich ganz unerwartet und plötzlich aufgetan hat. Jeder einzelne der 19 Finanzminister in der Eurogruppe kannte es. Schäuble kannte es. IWF-Chefin Christine Lagarde kannte es. EZB-Chef Mario Draghi kannte es. Die Fälligkeitstermine für griechische Zahlungen sind in den Kalendern ihrer Beamten akribisch vermerkt: 299 Mio. Euro am 6. März an den IFW. Weitere 336 Mio. Euro eine Woche später. 574 Mio. Euro an die EZB. Insgesamt rund 2 Mrd. Euro im März.
Das Loch wurde einfach ignoriert
Als die Eurogruppe und Griechenland sich im Februar in Brüssel über die Verlängerung des Hilfsprogramms geeinigt haben, mogelten sie sich an der Frage vorbei, wie Griechenland das bezahlen soll. Das Loch blieb in der Vereinbarung einfach unerwähnt. Fragte man damals Beteiligte der Verhandlungen, wie das Problem denn gelöst werden solle, hieß es: Keine Ahnung. Wird sich schon finden. Jeder Staatshaushalt habe ein bisschen Spielraum. Vielleicht werde Griechenland Lieferantenrechnungen verzögern. Schon damals schwante manchem aber, dass es so einfach nicht werden wird. Man sei halt so verärgert über die Griechen gewesen, dass „mehr einfach nicht drin war“, hieß es. Also ignorierte man das Loch.
Eine verständliche, wenn auch kurzsichtige Wut. Denn nun brennt es lichterloh. Die Einnahmen im griechischen Haushalt sind sogar niedriger als prognostiziert, da bleibt nicht viel Masse für Bilanzkosmetik. Also sucht Varoufakis nach einer anderen Lösung. Theoretisch möglich sind drei Optionen.
Erstens: Die Griechen tun das, was Ihnen Eurogruppen-Chef Jerome Dijsselbloem angeboten hat: Sie einigen sich im Turbo mit der Troika (pardon: den Institutionen) auf Reformen und bekommen dafür die nächste Tranche an Hilfsgeldern ausgezahlt. Auch die Auszahlung der sogenannten SMP-Profite, Gewinne der EZB aus dem Ankauf griechischer Staatsanleihen, ist an das Hilfsprogramm und die Erfüllung seiner Bedingungen gekoppelt. Varoufakis kann diese 1,9 Mrd. Euro nicht einfach abrufen. In der Praxis ist diese Option illusorisch angesichts der Kluft zwischen den politischen Vorstellungen von Syriza und den Sparwünschen der Troika. Zumal der Bundestag (und andere europäische Parlamente) der Auszahlung zustimmen muss, bevor überwiesen wird. Die Zeit rennt dieser Lösung davon.
Zweitens: Griechenland bezahlt den IWF einfach nicht. Oder der Währungsfonds gewährt, wie von Varoufakis anfangs vorgeschlagen, zumindest einen Aufschub. Beides ist unwahrscheinlich. Der IWF gehört traditionell nicht zu den nachgiebigen Gläubigern. Seine Forderungen stehen in der Gläubigerhierarchie ganz weit oben. „Ein Default gegenüber dem IWF macht dich zum Paria“, sagt ein Eurozonen-Insider. Staatsinsolvenz-Papst Kenneth Rogoff hat vor einigen Jahren einmal ermittelt, dass in der Geschichte des IWF praktisch jeder Schuldner früher oder später gezahlt hat. Ein realer Ausfall in der Geschichte sei „praktisch null.“ Auch Varoufakis scheint mit etwas Verspätung begriffen zu haben, dass man sich mit der Washingtoner Institution besser nicht anlegt. Griechenland werde „Blut aus dem Stein pressen“, um den IWF zu bedienen, erklärte er am Sonntag.
Dittens: Die Troika erlaubt Griechenland, das Volumen der T-Bills zu erhöhen. Die Regierung kann sich dann mit den Kurzläufern neues Geld verschaffen, indem sie die Papiere den Banken des Landes aufdrückt (andere Anleger wären schwerlich zu finden). Für diese Art prekärer Geldgeschäfte hatte die EZB eine Obergrenze von 15 Mrd. Euro verhängt. Varoufakis möchte 10 Mrd. Euro draufsatteln. Das Problem: Macht die EZB da mit, gibt das ihren Kritikern Futter, die finden, dass die Notenbank verbotene Staatsfinanzierung betreibt. Sie wird also zumindest Garantien verlangen – nach Lage der Dinge nicht von Griechenland sondern der Eurogruppe. Am Mittwoch kommt der EZB-Gouverneursrat in Zypern zusammen. Es wird kein spaßiges Treffen werden. Die Notenbank fühlt sich in der Rolle als Bankaufseher, Retter und Kontrolleur Griechenlands zunehmend unwohl.
Eine gemeinsame Lösung muss her
Man kann nun zwar der Meinung sein, dass das alles das Problem der Griechen ist. Der Hinweis von Schäuble ist ja richtig, dass Varoufakis in Brüssel unterschrieben hat, alle Verpflichtungen des Landes vollständig und pünktlich zu erfüllen: “Sobald er die erste Zahlung nicht pünktlich leistet, ist das ein sogenannter Default und was dann mit Griechenland passiert, das möchte ich an seiner Stelle nicht verantworten”, warnte Schäuble.
Aber wenn man das so sieht, dann hätte man die Griechen auch schon vor zwei Wochen in den Grexit rasseln lassen können. Ohne noch einmal eine Sonderrunde zu drehen. Also wird man eine Lösung finden müssen. Gemeinsam. Ein Loch ist ein Loch ist ein Loch. Bis es keines mehr ist.