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Exklusiv Die merkwürdigen Kredite der Wirecard-Bank

Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München: Bis zur Pleite im Sommer war der Konzern ein Zahlungsdienstleister mit angeschlossener Bank
Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München: Bis zur Pleite im Sommer war der Konzern ein Zahlungsdienstleister mit angeschlossener Bank
© dpa
Jahrelang nutzte Wirecard seine eigene Bank für Millionendarlehen an ominöse Geschäftspartner – häufig dirigiert von Ex-Vorstand Jan Marsalek. Kredite erhielt aber auch eine Firma, an der Berlusconis Kinder beteiligt sind – und ein Fußball-Bundesligist

Heute ist Jan Marsalek auf der Flucht. Er steht auf der Fahndungsliste von Interpol und wird von einigen in Russland vermutet. Aber bis Juni dieses Jahres war der 40-jährige Österreicher der wohl zweitmächtigste Mann bei der heute bankrotten Wirecard AG, einem Zahlungsdienstleister mit angeschlossener Bank.

Anlegern und Banken hat Wirecard Verluste um die 20 Mrd. Euro beschert. Marsalek ist als möglicher Kopf einer Bande von Betrügern im Visier der Staatsanwaltschaft. Jetzt konnten dem „Stern“ und Capital bisher unbekannte interne Unterlagen auswerten, die zeigen, wie Marsalek bei Wirecard noch in den Jahren 2018 und 2019 den Abfluss von Geldern dirigierte – über die Wirecard-Bank, für die er eigentlich gar nicht zuständig war und die unter der Aufsicht der staatlichen Kontrollbehörde Bafin stand. Trotzdem konnte Marsalek bei der Wirecard-Bank für die Vergabe von Krediten in Millionenhöhe sorgen, zum Beispiel an eine Luxemburger Firma mit Hintermännern in Russland. Es waren Gelder, von denen man dann viele offenbar nicht wieder sah.

Als verloren galten jedenfalls bereits Ende vergangenen Jahres 6 Mio. Euro für die Firma Aviatec Holding Luxemburg, die die Russen Shamil I. und Leonid A. kontrollierten. Im Berichtssystem des Prüfungsverbands deutscher Banken sei die Wirecard Bank „bereits auffällig wegen hoher Zahlungsrückstände einiger Kreditnehmer, z.B. Aviatec“, hielt die Prüffirma KPMG schon im Dezember 2019 fest.

Noch am 11. März 2019 hatte sich Marsalek in einer Aktennotiz mit seiner steilen Unterschrift bei der konzerneigenen Bank für die Kreditnehmer stark gemacht: „Vor dem Hintergrund der Gesellschafterstruktur der Gesellschaft sowie der gesamthaften Geschäftsentwicklung der russischen Tochtergesellschaft besteht für das Management kein Zweifel an der Rückführung des Darlehens sowie der Tilgung der erforderlichen Zinszahlungen“, schrieb Marsalek.

Dabei waren bereits im Jahr 2018 in der russischen Presse ausführliche Berichte mit Betrugsvorwürfen gegen Shamil I. erschienen, einem ehemaligen Barmann und späteren Vertrauten des Putin-treuen Gouverneurs der Region Uljanowsk. Sogar die Vertretung dieser Region in Moskau leitete Shamil I. zeitweise, weswegen ihn die Prüffirma EY als „politisch exponierte Person“ einstufte – also als jemandem, bei dem man im Kreditgeschäft besondere Sorgfalt walten lassen musste. Zeitweise war seine Luxemburger Firma offenbar auch an einem gemeinsamen Projekt mit der staatlichen Rüstungsfirma Rostec beteiligt, die in Uljanowsk unter anderem Luftabwehrsysteme des Typs Pantsir herstellt – und auf der Sanktionsliste der US-Regierung steht. Inzwischen kontrolliert Shamil I. eine Firma in Genf und besitzt einen italienischen Pass. Das dürfte Marsalek als angeblichem Inhaber verschiedener Pässe gefallen.

Marsalek hatte sich für die Luxemburger Firma des Russen stark gemacht, weil die ein Tochterunternehmen namens Skytec in Russland besitze, das angeblich Dienstleistungen für Fluggesellschaften anbiete und „eine umfangreiche und erfolgreiche Geschäftsbeziehung“ mit Wirecard unterhalte. Doch bereits im August 2019 waren in Luxemburg alle Verwaltungsratsmitglieder der angeblich so zuverlässigen Firma zurückgetreten. Und gegen Ende des Jahres stellte man bei der Wirecard-Bank fest, dass die Luxemburger Firma ihre russische Tochter verkauft habe – angeblich an einen unbekannten Käufer. Die Beteiligung „wurde auskunftsgemäß ohne Wissen der Bank an einen Dritten veräußert“, sagte ein Bankmanager im Januar 2020 Prüfern der Firma KPMG, die im Auftrag des Aufsichtsrates eine Sonderuntersuchung bei Wirecard durchführten. „Verschiedene Versuche zur Kontaktaufnahme“ seien gescheitert.

Tatsächlich hatte der Verkauf offenbar bereits Ende 2018 stattgefunden – bevor Marsalek in seiner Aktennotiz auf das angeblich florierende Geschäft verwies. Der Käufer war eine Firma aus Florida, bei der ebenfalls Männer aus Russland im Hintergrund standen – und Marsalek erwähnte diese Firma namens Comepay ebenfalls in internen Papieren. Die Wirecard Asia Holding in Singapur, die unter Asienchef Marsalek operierte, gab Comepay dann sogar im April 2019 einen Kredit über 2,5 Mio. Dollar.

Millionen für eine Firma in Libyen

Neben Russland hatte Marsalek ein besonders Interesse für das Bürgerkriegsland Libyen; sogar eine eigene Söldnertruppe soll er dort geplant haben. Auch für ein Unternehmen, das in Libyen angeblich aktiv war, machte er sich gegenüber der Wirecard-Bank stark, in zwei Aktennotizen im Januar 2018 und Januar 2019. Die Firma hatte Zinszahlungen nicht geleistet? Das könne an „der sehr restriktiven Handhabung von Auslandszahlungen durch die libysche Zentralbank“ liegen, schrieb der Manager. Bereits in einer Aufstellung der Wirecard-Bank von September 2019 wurde der Kredit in Höhe von drei Millionen US-Dollar nach einem Zahlungsverzug von 458 Tagen als „defaulted“ aufgeführt – also als Ausfall, genauso wie der für die Luxemburger Firma der zwei Russen.

Für beide hatte die Wirecard AG als Konzernmutter der Bank die Kredite per Bürgschaft abgesichert. Gleiches tat sie für ein Darlehen in Höhe von 8 Mio. Euro für das Reisebusunternehmen eines im Sommer verstorbenen deutschen Geschäftspartners auf den Philippinen. Jener Mann war für den Konzern und seinen Asienchef Marsalek von großer Bedeutung: Neben seinem Busunternehmen in Manila führte er auch eine jener Firmen, über die Wirecard erhebliche Teile seines angeblichen Geschäfts mit Drittpartnern in Asien laufen ließ. Heute ist klar, dass ein Großteil davon nicht existierte.

Insgesamt umfasst eine Liste der Kreditnehmer der Wirecard-Bank, die dem „Stern“ und Capital vorliegt, 24 größere „Einzelkreditengagements“. Ein weiterer Kredit von dieser Liste in Höhe von 11,25 Mio. Euro wurde bereits im September 2019 als Ausfall eingestuft, nach einem Zahlungsverzug von 395 Tagen. Empfänger war die Bijlipay Asia Pte, ein Zahlungsdienstleister aus Singapur.

Später würden Bankmanager der Prüffirma KPMG versichern, inzwischen seien bei Bijlipay „alle aufgelaufenen Rückstände in 2019 beglichen“ worden. Auch hier unterschrieb Marsalek noch im Januar 2019 eine Aktennotiz, in der er sich für die Firma einsetzte. Man habe Mitte 2018 „eine temporäre Tilgungsaussetzung für die Monate August, September und Oktober 2018 vereinbart“, schrieb der Wirecard-Vorstand.

Bei dieser Firma war der langjährige Marsalek-Vertraute Henry O. „im Team“, wie es Marsalek in einer Befragung durch Vertreter der Prüfgesellschaft KPMG im November 2019 feststellte. Manchen gilt er als Handlanger von Marsalek.

Henry O. sei einfach „ein Urgestein der Paymentbranche“, erzählte der Wirecard-Manager noch im November 2019. Auf die Empfehlung von O. hin soll die Wirecard-Bank Kredite über 25 Mio. Euro an eine Firma in Singapur vergeben haben, die vom Ehemann einer Wirecard-Managerin geleitet wurde und die laut Marsaleks Angaben durch ihre „intelligente IT-Plattform“ hervorstach. Im September 2019 gab es auch hier Zahlungsrückstände.

„Viel High-risk-Geschäft gemacht“

Ein ehemaliger Finanzvorstand von Wirecard erzählte im Februar 2020 Prüfern von KPMG, was er über Henry O. wisse. Marsalek habe ihn ihm vor ein paar Jahren im Restaurant des Münchner Sternekochs Alfons Schuhbeck vorgestellt. Offenbar habe O. „viel high-risk Geschäft (‚adult und gambling‘) gemacht und damit erkennbar viel Geld verdient“.

„Adult“ ist ein Euphemismus für Porno, Gambling steht für die Spielbranche. „Dies“, so der Ex-Vorstand weiter, „sei auch ein Geschäftsfeld, in dem Wirecard aktiv sei und in dem es grundsätzlich möglich sei, in ein schwarzes oder graues Geschäft zu rutschen“.

Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek setzte sich bei der Wirecard-Bank persönlich für mehrere Kunden ein, unter anderem in Asien
Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek setzte sich bei der Wirecard-Bank persönlich für mehrere Geschäftspartner ein. Heute wird er von Interpol gesucht
© Wirecard

Der Name von Henry O. tauchte auch in einer Mail eines Wirecard-Bank-Vorstandes zu dem bereits erwähnten Kredit für die Luxemburger Firma der zwei Russen auf. „Bitte gebe mir noch eine Info, wie Herr O. das Geld verwenden will“, schrieb er an Marsalek in einem Postcriptum. Der Aufsichtsrat wolle hier mehr Informationen. Später versicherte der Bankmanager, mit dem Geld für O. sei ein separater Kredit über zehn Millionen gemeint gewesen, nicht das Geld für die Russen.

So oder so: Bei drei der größten Kredite der Wirecard-Bank waren also bereits im Herbst 2019 Ausfälle zu verzeichnen, nachdem sich Marsalek für die Empfänger besonders stark gemacht hatte. Trotzdem schien lange keiner ein Muster erkannt zu haben. Erst im Juli 2020 thematisierte ein Bericht der Innenrevision der Bank die erhebliche Rolle, die Marsalek bei der Ausgabe von Krediten gespielt habe – obwohl er gar nicht zuständig war. Nun ist auch von möglichen Straftaten zu Lasten der Bank die Rede.

Marsaleks Anwalt richtete jetzt auf Anfrage aus, man wolle zu Vorwürfen „derzeit keine Erklärungen abgeben“. Henry O. war für Anfragen nicht erreichbar.

Für die Bank gab es bei den Krediten an Marsaleks Favoriten seinerzeit scheinbar kein Risiko, denn immer wieder hatte die Wirecard AG eine Bürgschaft übernommen. Freilich ist dort heute auch nichts mehr zu holen. Jetzt stellt sich auch die Frage, ob die Kredite, die im Interesse der Mutterfirma oder deren Manager vergeben wurden, gegen bankaufsichtsrechtliche Vorgaben des Risikomanagements verstoßen haben. Das wirft die Frage auf, ob die Bafin hier nicht viel zu lange weggeschaut hat.

Auch dieser Vorgang müsse jetzt im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages aufgearbeitet werden, sagte der Grünen-Abgeordnete Danyal Bayaz: Es sei „völlig unverständlich, dass Jan Marsalek, ohne formale Rolle in der Bank, eigenmächtig Kreditentscheidungen gefällt hat“. Bei einem solch schwachen internen Kontrollsystem der Wirecard-Bank hätte die Bankenaufsicht „tätig werden müssen“.

Der Linken-Abgeordnete Fabio De Masi sieht das ähnlich: „Das Kreditgeschäft der Bank wurde offensichtlich aus dem Vorstand der Wirecard AG gesteuert“, sagte er dem „Stern und Capital: „Das hätte die Bafin bemerken müssen.“ Der FDP-Finanzexperte Florian Toncar stellte fest: „Die Legende, dass die von der Bafin beaufsichtigte Wirecard Bank sauber gewesen sei, bekommt immer mehr Kratzer. Ganz offenbar hat die Aufsicht auch hier geschlafen und geschlampt.“ Die Bafin wollte sich auf Anfrage unter Verweis auf ihre Verschwiegenheitspflicht nicht äußern.

Mit einer Bürgschaft der Wirecard AG war auch ein weiterer ominöser Kreditnehmer ausgestattet: eine Firma namens Juwel 143. VV UG mit Sitz in der Nähe des Berliner Alexanderplatzes. Hinter der Gesellschaft steckte die Firma Payleven, ein 2012 gegründetes Start-up, das Software und Kartenleser für Zahlungen via Smartphone oder Tablet entwickelte – nach dem Vorbild des US-Anbieters Square.

Bei Payleven mischten nicht nur die Berliner Start-up-Schmiede Rocket Internet der Samwer-Brüder und weitere Investoren mit, sondern auch Wirecard: 2013 schloss der Konzern mit Payleven eine Partnerschaft ab, bei der es um neue Lösungen für mobile Bezahlsysteme ging. Im selben Jahr vergab den Unterlagen zufolge die Wirecard-Bank 2013 ein sogenanntes Wandeldarlehen an Payleven – abgesichert durch den Mutterkonzern. 2016, im Zuge der Fusion von Payleven mit einem Wettbewerber, wurde dieses in ein Darlehen in Höhe von 8,5 Mio. Euro umgewandelt. Dabei behielt die Wirecard-Bank das Recht, den Kredit in Anteile an der Firma zu tauschen. Auch deshalb führte die Bank das Engagement bei der Berliner Firma als „Investitionsprojekt“.

Deal mit Eintracht Frankfurt

Auch bei diesem Kreditnehmer spielten schillernde Geschäftspartner eine Rolle, die als „politisch exponierte Personen“ gelten: die Familie des früheren italienischen Ministerpräsidenten und Milliardärs Silvio Berlusconi. Fünf Kinder von Berlusconi waren mit ihrer Investmentfirma B Cinque bereits 2013 bei Payleven eingestiegen.

Ein großer Teil des Wirecard-Geschäfts in Asien war offenkundig erfunden – aber es gab auch echte Kunden wie Aldi Süd. Ein Deal Eintracht Frankfurt kam zu spät
Wie man inzwischen weiß, war ein großer Teil des Wirecard-Geschäfts in Asien offenbar erfunden – aber es gab auch echte Kunden wie etwa Aldi Süd. Ein Deal mit Eintracht Frankfurt kam allerdings zu spät
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Mit der Fusion mit dem Berliner Fintech SumUp 2016 entstand ein Unternehmen, das damals immerhin bereits ein Zahlungsvolumen von rund einer Milliarde Euro abwickelte. Damals blieben auch die Berlusconis an Bord. Laut Handelsregister sind sie heute noch mit knapp 6,5 Prozent an jener Firma beteiligt, die Kreditnehmerin der Wirecard-Bank war. Allerdings wurde der Kredit selbst bis Ende 2018 zurückgezahlt, wie aus den Bankaufzeichnungen hervor geht. Anders als in anderen Fällen musste die Konzernmutter Wirecard AG nicht einspringen – aber sie hatte auch hier gebürgt.

Und noch ein sehr prominenter Name tauchte zeitweise auf der Liste der größten Kreditkunden der Wirecard-Bank auf: Eintracht Frankfurt. Die Eintracht Frankfurt Fußball AG, mit der der Traditionsverein am Spielbetrieb der Bundesliga teilnimmt, erhielt im Mai 2019 eine Kreditzusage der Bank in Höhe von 5 Mio. Euro – in diesem Fall laut der Aufstellung ohne Bürgschaft der Wirecard AG oder andere besondere Sicherheiten. Offensichtlich wurde die Kreditlinie aber nicht in Anspruch genommen.

Auf Anfrage wollte sich der Verein nicht zu der Geschäftsbeziehung äußern. In Bundesligakreisen ist zu hören, dass die Eintracht schon vor längerer Zeit einen Deal mit Wirecard für eine Zusammenarbeit geschlossen habe. Demnach sollte der Konzern nach einer entsprechenden Ausschreibung eigentlich in dieser Saison die Rolle als Payment-Dienstleister im Stadion sowie in den Eintracht-Fanshops übernehmen. Hintergrund ist, dass die Eintracht seit diesem Sommer auch Betreiberin der Frankfurter Arena ist, für die die Namensrechte aktuell bei der Deutschen Bank liegen – und massiv in den digitalen Ausbau investieren will. Als Payment-Dienstleister sollte Wirecard etwa Kartenlesegeräte stellen und bargeldlose Zahlungen von Fans an Würstchenbuden oder Getränkeständen abwickeln. Im Rahmen der Gespräche soll Wirecard dann auch einen Kredit der Bank zu sehr günstigen Konditionen angeboten haben. Nach der Pleite des Konzerns hat der Bundesligist inzwischen einen anderen Dienstleister verpflichtet.

Im Gegensatz zu vielen anderen Krediten, die die Wirecard-Bank in den vergangenen Jahren nach Asien und anderswo vergeben hat, ging es hier also um das Kerngeschäft des Konzerns: Zahlungsabwicklung. Wie inzwischen bekannt ist, machte Wirecard mit diesem eigentlichen Geschäft in den vergangenen Jahren allerdings hohe Verluste.

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