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Kolumne Die britische Schicksalswahl

Für Großbritannien steht bei der Wahl viel auf dem Spiel. Auf drei kleinere Parteien wird es ankommen. Von Holger Schmieding
Der Union Jack: Das Symbol des Vereinigten Königreichs – doch die Einheit ist gefährdet
Der Union Jack: Das Symbol des Vereinigten Königreichs – doch die Einheit ist gefährdet
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank

Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Er schreibt hier regelmäßig über makroökonomische Themen.

Kommt nach der Eurokrise demnächst die britische Krise? Jenseits des Ärmelkanals steht an diesem Donnerstag eine Schicksalswahl an. Wird Großbritannien aus der Europäischen Union aussteigen und sich damit ins wirtschaftliche und politische Abseits katapultieren, wird Schottland das Vereinigte Königreich verlassen, kann das Land sein übermäßiges Doppeldefizit unter Kontrolle bringen, bevor es gefährlich wird? Dieser Urnengang könnte das Schicksal Großbritanniens weit mehr prägen, als es sonst bei Wahlen üblich ist.

Zunächst lohnt ein Blick zurück. Dank eines flexiblen Arbeitsmarktes und einer vergleichsweise geringen Regulierungsdichte im Dienstleistungssektor hat Großbritannien eine außerordentlich leistungsfähige Wirtschaft. Allerdings hat in den Jahren ab 1997 eine Labour-Regierung mit einer nahezu beispiellosen Ausgabenorgie die Staatsfinanzen ziemlich zerrüttet. Seit Ende der 1990er-Jahre sind die Staatsschulden in Großbritannien mehr als doppelt so schnell gestiegen wie in der Eurozone. Trotz einiger Reparaturarbeiten der konservativ-liberalen Koalition, die vor fünf Jahren an die Macht kam, lag das Haushaltsdefizit im Jahr 2014 mit 5,7 Prozent der Wirtschaftsleistung immer noch weit über dem der Eurozone mit 2,4 Prozent. Wie sehr die Briten über ihre Verhältnisse leben, zeigt sich auch im Defizit in der Leistungsbilanz, das im vergangenen Jahr mit 5,5 Prozent der Wirtschaftsleistung einen neuen Rekord erreichte.

Dank des guten Rufes, den sich das Land mit den harten Angebotsreformen der eisernen Lady Margaret Thatcher einst erarbeitet hatte, können die Briten sich heute ein solches Doppeldefizit für einige Zeit leisten. Der Markt gibt ihnen gerne Kredit. Aber je länger das Land die nötige Korrektur vor sich her schiebt, desto größer wird das Risiko, dass es dereinst doch einmal knallt.

Verfahrene Lage

Die Einschnitte im Staatshaushalt, mit denen die konservativ-liberale Koalition nach dem Lotterleben unter Labour den Fehlbetrag im Staatshaushalt zumindest eingegrenzt hat, haben vor allem eines bewirkt: Beide Regierungsparteien haben sich unbeliebt gemacht. Ihnen drohen erhebliche Verluste am Donnerstag. Eigentlich sollte das der Labour-Opposition zugutekommen - wäre da nicht das schottische Problem. Im vergangenen Sommer hat Labour gemeinsam mit der Londoner Regierung gegen die Unabhängigkeit Schottlands gekämpft. Das Referendum über den schottischen Austritt aus dem britischen Staatenverbund haben die Anhänger eines großen Britanniens zwar klar gewonnen, mit 55 Prozent zu 45 Prozent.

Aber seitdem gilt Labour in den Augen vieler traditionell links wählender Schotten als ein Verbündeter der Tories, also der Konservativen, die sich mit ihrer nur halbherzig betriebenen Sparpolitik bei den überdurchschnittlich auf Sozialtransfers angewiesenen Schotten besonders unbeliebt gemacht haben. Die Gewinne, die Labour in England einstreichen kann, dürften fast vollständig dadurch ausgeglichen werden, dass die schottischen Nationalisten der SNP auf Kosten Labours nahezu alle schottischen Parlamentssitze gewinnen könnten.

Laut Meinungsumfragen steht nur ein Ergebnis der Wahl nahezu fest: Keine Partei wird eine Mehrheit der 650 Sitze im Unterhaus erreichen. Die Konservativen liegen trotz erheblicher Verluste zwar leicht vor Labour. Aber da ihr liberaldemokratischer Koalitionspartner vermutlich etwa die Hälfte seiner 57 Sitze verlieren wird, könnte es für Premierminister David Cameron eng werden. Stattdessen hat sein Herausforderer von der Labour Partei, David Miliband, laut Umfragen etwas bessere Chancen, an der Spitze einer Koalitions- oder Minderheitsregierung in Nummer 10 Downing Street einziehen zu können.

Kleinere Parteien in der Hauptrolle

Für das weitere Schicksal Großbritanniens ist die Frage, welche Partei künftig den Premierminister stellen kann, allerdings eher zweitrangig. Das Abschneiden von drei kleineren Parteien könnte eine viel größere Rolle spielen.

Besonders gefährlich sind die englischen Rechtsnationalisten der UKIP, die mit billiger Polemik gegen Europa und Einwanderer Stimmung machen. Sie sind das Original, von dem die deutsche AfD eine etwas blasse Kopie darstellt. In Meinungsumfragen liegen sie bei etwa 14 Prozent, was ihnen angesichts des britischen Mehrheitswahlrechts nur etwa zwei Sitze bescheren würde. Sollte UKIP aber wider Erwarten einen weit größeren Erfolg erzielen oder sogar zum Zünglein an der Waage im Unterhaus werden, könnte dies das Risiko eines britischen EU-Austritts erheblich verschärfen.

Die Konservativen planen ein Referendum über die britische EU-Mitgliedschaft im Jahr 2017, Labour lehnt ein solches Referendum ab. Sollte Cameron an der Macht bleiben, könnte eine starke UKIP-Fraktion ihn in Verhandlungen mit der EU zu einer solch harten Haltung zwingen, wodurch bei den Gesprächen wenig herauskommen könnte. Damit würde ein britischer EU-Austritt gefährlich nahe rücken.

Sollte dagegen Labour die Wahl gewinnen, gäbe es zwar kein Referendum. Aber wenn UKIP dabei ein gutes Ergebnis erzielen würde, könnten sich in den Grabenkämpfen bei den Tories dann möglicherweise die Anti-Europäer durchsetzen. Das wiederum bahnte den Weg zu einem EU-Austritt, sobald Labour dereinst wieder die Macht verlöre. Bleibt UKIP dagegen klein, wird das EU-Thema in der britischen Diskussion wohl an Brisanz verlieren.

Ein gutes Ergebnis für UKIP birgt auch Gefahren für den Zusammenhalt des Vereinigten Königreichs. Denn nördlich der englisch-schottischen Grenze sind die englischen Nationalisten denkbar unbeliebt. Die Schotten mögen Europa, auch als Gegengewicht zu London. Eine starke Position für UKIP könnte in Schottland eine Abwehrreaktion auslösen. Selbst manche Schotten, die sich 2014 für den Verbund mit England ausgesprochen haben, würden sich womöglich lieber von einem England lösen wollen, das mit einem hässlichen Nationalismus nach UKIP-Art liebäugelt.

Kein „Brexit“ – aber ein weiteres Schottland-Referendum?

Ein starkes Ergebnis für die zweite Kleinpartei, die schottischen Nationalisten, riefe ganz andere Probleme hervor. Ein „Brexit“, der britische Austritt aus der EU, würde zwar in den Hintergrund treten. Das wäre für sich genommen gut für Wirtschaft und Finanzmärkte in ganz Großbritannien. Dagegen würde die Frage eines weiteren Referendums über die schottische Unabhängigkeit in einigen Jahren wieder akut werden.

Aber das wäre nicht einmal die größte Gefahr. Noch wichtiger könnte sein, dass die linkslastige SNP mehr noch als Labour schlicht mehr Geld ausgeben möchte, statt zu sparen. Da die schottischen Nationalisten ja ohnehin Großbritannien irgendwann verlassen möchten, hätten sie kaum Hemmungen, den britischen Staatshaushalt noch tiefer in die roten Zahlen zu treiben. Je mehr eine Labour-Minderheitsregierung auf die SNP angewiesen wäre, desto größer die langfristigen Gefahren für die britischen Staatsfinanzen.

Die dritte Kleinpartei, auf die es ankommen könnte, sind die Liberaldemokraten. Nach ihrem Höhenflug 2010 sind sie in den Umfragen wieder auf das mickrige Niveau abgestürzt, das sie vor 2010 oftmals hatten. Sie stehen für pro-europäische Vernunft und eine langfristig solide Haushaltspolitik. Vermutlich würden sowohl die Konservativen als auch Labour sie gerne als Koalitionspartner gewinnen. Je stärker die Stellung der Liberalen in solch einem Bündnis, desto besser könnte es in den kommenden Jahren für Großbritannien sein. Einerseits könnten die LibDems, wie sie kurz genannt werden, die anti-europäischen Neigungen einer konservativen Regierung im Zaume halten und somit entscheidend zum Verbleib Großbritanniens in der EU beitragen. Andererseits könnten sie in einem Bündnis mit Labour auf weiteren, wenn auch sanften, Korrekturen im Staatshaushalt bestehen. Sie würden damit den Einfluss des linken Flügels der Labour Partei und/oder der schottischen Nationalisten ausgleichen.

Für Großbritannien steht am Donnerstag viel auf dem Spiel. Auch in der europäischen Politik und an den Finanzmärkten werden wir dies ab Freitag wohl spüren, sei es durch einen Seufzer der Erleichterung oder einige Kapriolen. Selbst ein Lächeln der neuen Prinzessin vom Cambridge wird dies nicht überspielen können.

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