Niemand hat die Absicht, die Briten aus der EU zu drängen. Im Gegenteil: Seit ein „Brexit“ nicht mehr ganz ausgeschlossen werden kann, mehren sich die deutschen Liebeserklärungen an London.
Der Premier David Cameron geht zwar vielen auf die Nerven, weil er Jean-Claude Juncker nicht auf den Sessel des EU-Kommissionschefs lassen wollte. Und die Investmentbanker aus der City sind schon aus Prinzip suspekt. Unbestreitbar haben die Briten dann aber doch auch eine Menge Vorzüge. Gerade aus deutscher Sicht.
In einer EU, die zu Etatismus und Festungsdenken neigt, sind die Briten eine wichtige Stimme für die Freiheit und die Marktwirtschaft, für Weltoffenheit und liberalen Handel. Dass sie noch ein kleines bisschen in der Liga der großen Weltmächte spielen, mit ihren Verbindungen in ein weit gespanntes Commonwealth und einem Vetorecht im Uno-Sicherheitsrat, nützt der EU ebenfalls. Wenn sie doch nur etwas weniger schrullig würden, könnten diese Briten ein echter Leistungsträger für die künftigen Vereinigten Staaten von Europa sein!
Britische Schrullen
So richtig diese Lobeshymnen sind - sie gehen leider am Kern des Problems vorbei. Denn der Grund für die „Schrulligkeit“ der Briten ist nun einmal, dass sie diese Vereinigten Staaten von Europa überhaupt gar nicht wollen. Hier geht es nicht nur um ein paar bessere Deals und verständnisvollere Umgangsformen. Es geht um die Grundsatzfrage der gewünschten Entwicklungsrichtung. It´s the nation state, stupid!
Für die Deutschen ist klar, dass für Europa immer weiter auf nationale Souveränität verzichtet werden soll. Die überwältigende Wählermehrheit unterstützt diesen Kurs. Etlichen Briten geht dagegen schon der bisherige Souveränitätsverzicht zu weit; das Szenario des „Brexit“ ist aufgetaucht, weil weitere Schritte in diese Richtung wohl von einer Wählermehrheit abgelehnt würden. Großbritannien braucht den freien Handel und die enge Zusammenarbeit mit seinen Nachbarn. Für alles, was darüber hinausgeht, gibt es wenig Begeisterung.
Europäische Visionäre zitieren gerne Winston Churchill, der nach dem Zweiten Weltkrieg als einer der Ersten für die Vereinigten Staaten von Europa warb. Für Churchill verstand es sich allerdings damals von selbst, dass es sich um Kontinentaleuropa handeln müsse. Das Vereinigte Königreich mit seinem (schwindenden) Imperium war eine Welt für sich.
Die Briten wollen keinen engeren Zusammenschluss
Vom britischen Empire ist inzwischen fast nichts mehr übrig, selbst das Vereinigte Königreich wackelt, weil die Schotten mehr Unabhängigkeit wollen. Weshalb die Antwort darauf lauten soll, sich politisch noch enger mit dem Kontinent zu verschmelzen, leuchtet vielen Briten aber weiterhin nicht ein.
Nicht jeder Grundsatzstreit muss gleich zur Trennung führen – Politik ist ja auch die Kunst, die großen Richtungskonflikte so gut es geht immer in der Schwebe zu halten. In Sachen Europa haben sich die Fliehkräfte jetzt aber noch einmal deutlich verstärkt: Um die Währungsunion krisenfester zu machen, werden sich Deutschland und seine Euro-Partner künftig immer enger zusammenschließen müssen. Die Briten dagegen sind überzeugter denn je, dass es für sie richtig war, am eigenen Pfund festzuhalten.
„You can´t have the cake and eat it“
Der EU- und Euro-Veteran Jean-Claude Juncker steht wie kaum ein anderer für eine Vision der „ever closer union“, der immer engeren politischen Verschmelzung Europas. Deshalb hat er in Deutschland so viele Freunde – gerade deshalb hat er aber in Großbritannien so viele Feinde.
„You can´t have the cake and eat it“ heißt es im Englischen, wenn zwei schöne Dinge unvereinbar sind. Eine EU mit dem Mitglied Großbritannien ist auf Dauer nicht vereinbar mit einer EU, die sich zu einer Art von Vereinigten Staaten entwickeln will.
So sehr sich die Deutschen auch beides gleichzeitig wünschen mögen.