Prof. Frondel, in Bezug auf die Steinkohle: War die Kohlestrategie der Bundesregierung seit den 60er Jahren im Nachhinein betrachtet sinnvoll?
Die letzte Zeche wird geschlossen. Damit endet eine lange Ära der Subventionen für Steinkohle, die in den Augen nahezu aller Ökonomen wenig sinnvoll und viel zu hoch waren. Das oft vorgebrachte Argument der Versorgungssicherheit von Befürwortern der Subventionen war fadenscheinig. Der Weltmarkt hat die sichere Versorgung immer gewährleistet.
Hat bei den Subventionen nicht auch die Beschäftigung von den Menschen, die im Bergbau gearbeitet haben, eine Rolle gespielt?
Das ist das Hauptargument für die Aufrechterhaltung der Milliarden Subventionen gewesen - aber ein künstliches. Viele Beschäftigte wurden angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels händeringend in anderen Branchen gesucht. Statt Anreize für einen Branchenwechsel zu schaffen, wurden z.B. mit der Frühverrentung Anreize zum Verbleib im Bergbau geschaffen.
Sie erwähnten bereits, dass die letzte Zeche des Ruhrgebiets "Prosper Haniel" nun geschlossen wird. Was geschieht mit den Menschen, die jetzt noch dort arbeiten?
Die Beschäftigten gehen früher oder später sanft in den Ruhestand. Es sind noch gewisse Aufräumarbeiten notwendig. Dazu wechseln sie für die nächsten fünf Jahre in eine Beschäftigungsgesellschaft, bevor sie in den Vorruhestand eintreten.
Kommen wir von der Steinkohle zur Braunkohle. Wie lange soll Braunkohle hierzulande noch gefördert werden? Gibt es einen Zeitplan?
Die Kohlekommission sollte ein Enddatum nennen, aber ist nicht wie geplant im Dezember zu einem Urteil gekommen. Aber man sollte hinterfragen, wie sinnvoll es ist, hier ein symbolisches Enddatum zu nennen. Es wäre klüger, die Entscheidung dem Markt, sprich den Zertifikatpreisen im Emissionshandel zu überlassen.
Führen Sie das bitte aus.
Die Zertifikatpreise sind deutlich gestiegen. Sie liegen momentan bei ca. 20 Euro die Tonne CO2, früher waren es gerade einmal fünf Euro. Es ist wahrscheinlich, dass der Preis mit knapper werdenden Zertifikaten ab den 2020er Jahren weiter steigt. In diesem Fall werden Kohlekraftwerke immer unrentabler und schließlich marktgetrieben abgeschaltet.
Zertifikate für CO2 waren ja eine Weile umstritten. Sie sind, wenn ich das recht verstehe, der Meinung, dass sie ihren Sinn erfüllen.
Definitiv, das war auch bei niedrigen Preisen schon der Fall. Der Emissionshandel sollte die Emissionen begrenzen. Diese Aufgabe hat er vollkommen erfüllt, es wurde nie mehr ausgestoßen als sich an Emissionszertifikaten in Umlauf befand. Der Zertifikatpreis war vielleicht anfangs zu niedrig, aber auch dieses Handicap sollte jetzt langsam überwunden sein.
Wie ist in der Frage der Braunkohle die derzeitige politische Situation?
Die ostdeutschen Bundesländer fordern 60 Milliarden Euro zur Abfederung des Ausstiegs vom Bund. Ich finde ehrlich gesagt den Versuch dreist, Gelder dafür abzuzwacken, dass Kohlekraftwerke in ferner Zukunft einmal abgeschaltet werden. Die Jahre 2035 oder 2038 waren als Enddatum mal im Gespräch. Dass wir uns in Deutschland solche Subventionsregime leisten, ist mir nach all der negativen Erfahrung in der Vergangenheit mit der Steinkohlesubventionierung wirklich rätselhaft.
Sind in dieser Frage wiederum die Arbeitsplätze ein Argument?
Weitgehend. Zugestandenermaßen zeigt sich gerade die Lausitz sehr abhängig von Beschäftigten im Braunkohlekraftwerk und -tagebau. Aber man hat bestimmt noch Zeit, den Strukturwandel einzuleiten und umzusetzen. Da muss etwas Neues geschaffen und Geld in die Hand genommen werden, ganz klar, aber 60 Milliarden Euro sind deutlich zu viel.
Wie lange werden wir in Deutschland schätzungsweise noch Kohlekraftwerke in Betrieb haben?
Mindestens bis zu dem Enddatum, was wohl in den 2030er Jahren liegen wird. Wenn es nach mir ginge, würden auch einzelne Kohlekraftwerke noch länger laufen. Insbesondere zur Überbrückung der sog. "Dunkelflauten". Das sind Zeiträume von 10-14 Tagen, in denen die erneuerbaren Energien kaum etwas zur Stromerzeugung beitragen.
Wäre es nicht aufwändig nur für diese Phasen Kohlekraftwerke zu behalten?
Nein, es wäre sinnvoll, abgeschriebene Kohlekraftwerke in Reserve zu halten und für kurze Zeit wieder ans Netz zu nehmen. Dunkelflauten sind relativ leicht prognostizierbar. Es stört also nicht, wenn ein Kohlekraftwerk einige Stunden braucht, um wieder hochzufahren. Diese Variante wäre viel kostengünstiger als beispielsweise die Verwendung von Erdgas. Ich würde nie alle Kohlekraftwerke nur wegen der Symbol-Kraft abschalten wollen.
Geht Deutschland durch den Ausstieg aus dem Kohlebergbau Know-How verloren?
Es gibt noch deutsche Unternehmen, die Technologie ins Ausland liefern und dort aktiv sind. In Zeiten der Globalisierung muss man sich keine Sorgen machen, dass in Deutschland kein Bergwerk mehr aktiv ist. Zumal im Ausland auch oft bessere geologische Verhältnisse herrschen.
Gibt es Schätzungen wie viel Kohle sich noch unter der Erde im Ruhrgebiet befindet?
Ich kann da keine Hausnummer nennen, aber es gibt noch sehr viel Steinkohle in Deutschland unter der Erde. Man sollte sie aber quasi als Schatz für spätere Zeiten da liegen lassen, solange es sich nicht rentiert sie zu bergen.
Könnte es denn sein, dass die Förderung irgendwann noch einmal zur Option wird?
Das glaube ich kaum. Das Preisniveau für Kohle müsste entsprechend hoch sein. Die Tendenzen sprechen aber dafür, dass Kohle in Zukunft weniger gefragt sein wird. Vom jetzigen Standpunkt aus hat die Kohle eigentlich wenig Zukunft. Man soll natürlich niemals nie sagen, aber momentan deutet alles auf das Gegenteil.
Kohle war der Kraftstoff, der Deutschlands Industrialisierung über mehr als 100 Jahre vorangetrieben hat. Ist das Ende des Kohleabbaus ein weiterer Schritt in Richtung Deindustrialisierung und Dienstleistungsgesellschaft?
Das Ende der Steinkohle führt erst einmal noch nicht dorthin. Das Ende der Braun- und Steinkohlekraftwerke, wenn es sich denn in den 2030er Jahren vollziehen sollte, wäre allerdings ein entsprechender Schritt. Wir müssen davon ausgehen, dass ein schneller Kohleausstieg dafür sorgt, dass die Versorgungssicherheit sinkt und die Strompreise steigen. Steigende Strompreise induzieren leider eine schleichende Deindustrialisierung. Das ist die größte Gefahr bei einem Kohleausstieg in Deutschland.
Prof. Frondel, danke für dieses Interview.